Vor 75 Jahren erhielt die HU ihren Namen: Ein Markenname mit Bestand
1949, kurz vor DDR-Gründung, kam die Humboldt-Universität zu ihren Namen. Warum der Staatssozialismus diesen beibehielt, weiß eine HU-Historikerin.
Denn die galt auf einmal als null und nichtig. Kaum jemand wollte sich damit beschäftigen. Aber eine Dozentin, aus der DDR wie er selbst stammend, tat das ausführlich. Und überhaupt war in den 1990ern die DDR an der HU ständig präsent.
Denn es waren die Jahre des großen Umstrukturierens des wissenschaftlichen Lehrbetriebs und der Evaluierungen. Was gab das für heiße Diskussionen über Rektoren, Dozenten, Inhalte, Studienordnungen. Beliebte Professor:innen mit DDR-Vergangenheit wurden auf eine „reine Weste“ hin untersucht und durften sich auf die Professur, die sie gerade noch innehatten, bewerben. Oft genug bekam aber jemand aus dem Westen den Job. Eine prägende Erfahrung in einem Jahrzehnt ständigen Wandels.
Was nie zur Debatte stand, war der Name der Universität. Dabei hätte man ja auf die Idee verfallen können – so wie es Berlin nach der Wende mit vielen Straßennamen tat –, die Uni wieder wie früher zu benennen. Also ganz früher.
Vom Preußenkönig gegründet
Im Jahr 1809 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. als „Universität zu Berlin“ gegründet, nahm sie ein Jahr später den Lehrbetrieb auf. Von 1828 bis 1945 trug sie dann den Namen ihres Gründers und hieß „Friedrich-Wilhelms-Universität“. 1949 schließlich taufte man die „Universität zu Berlin“, wie sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder genannt wurde, um: nach den Universalgelehrten Wilhelm und Alexander von Humboldt.
Doch wie kam es, dass die größte und älteste Universität Berlins im sowjetisch besetzten Teil der Stadt diesen Namen erhielt? Eine Frage, die Gabriele Metzler, Professorin am Institut für Geschichtswissenschaften und Vorsitzende der historischen Kommission beim HU-Präsidium, beantworten kann.
Die Frage nach der Umbenennung „stellt sich eigentlich sofort nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Metzler der taz. „Es besteht damals allgemeiner Konsens, dass man die Universität nicht unter dem Namen Friedrich Wilhelm weiterführen kann. Schon sehr früh gibt es eine stillschweigende Einigung darüber, dass es auf eine Humboldt-Universität hinausläuft. Als die ‚Universität Berlin‘ Ende Januar 1946 offiziell wiedereröffnet und den Lehrbetrieb aufnimmt, geht dieser Name sogar durch die Presse, ohne dass er zu diesem Zeitpunkt offiziell feststeht. In den ersten Entwürfen zu einer Satzung der Universität, die 1947/48 entsteht, ist ‚Humboldt-Universität‘ bereits präsent.“
Der neue Name war in der Welt
Es gibt zwar kein Dokument darüber, dass der Universitätsleitung irgendwann eine Urkunde mit dem neuen Namen überreicht wurde. Aber ein wesentliches Datum gibt es: „Am 8. Februar 1949, dem Tag der Wahl und der Investitur des neuen Rektors Walter Friedrich, wurde der neue Name der Universität offiziell verkündet“, erklärt Metzler. Ein entsprechendes Schreiben von Paul Wandel, Präsident der Zentralverwaltung für Volksbildung, später der erste Minister für Volksbildung der DDR, wurde in der Presse abgedruckt – und der neue Name war in der Welt.
Von Kaisers Gnaden
1809 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. als „Universität zu Berlin“ gegründet, trug die Uni seinen Namen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Von SED-Gnaden
Seit dem 8. Februar 1949 trägt die Universität den Namen der Humboldt-Brüder Wilhelm und Alexander. Der hatte auch nach der Wende Bestand.
Und die Studierenden?
Die HU gehört zu den 20 größten Hochschulen in Deutschland und den renommiertesten Universitäten weltweit. Hier studieren in 171 Studiengängen rund 45.000 (die Universitätsklinik Charité mitgezählt) junge Menschen aus aller Welt. (heg)
Weiß man, wer die Idee mit den Humboldts hatte, und vor allem warum? Das sei nicht so genau zu ermitteln, sagt Professorin Metzler. „Wir wissen etwa, dass Edwin Redslob, der damalige Mitherausgeber des Tagesspiegels, zu dieser Zeit viel über diese Idee geschrieben hat.“
Zunächst bezog man sich auf Wilhelm von Humboldt, den liberalen preußischen Bildungspolitiker, auf den die Initiative zur Gründung der Universität zurückgeht. Später kommt auch Alexander von Humboldt ins Spiel. „Das macht es auch der SED und der Verwaltung mit Paul Wandel an der Spitze leichter, den Namen zu akzeptieren“, sagt Metzler.
„Wilhelm von Humboldt stand für Humanismus und die Freiheit der Wissenschaft, Alexander von Humboldt für den naturwissenschaftlichen Fortschritt. Insofern ist sein Name in dieser Situation ganz wichtig, um den ‚Humboldt‘ politisch durchsetzen zu können – mit Wilhelm alleine wäre das vermutlich bei der von der SED beherrschten Bildungsveraltung gar nicht möglich gewesen.“
Klare Abkehr vom Preußentum
Spielte bei der Namensfindung Ideologie denn keine Rolle? Die Sowjets saßen doch mit im Boot?
„Ja, natürlich spielt die Ideologie eine Rolle“, sagt Gabriele Metzler. „Es geht zum einen um eine klare Abkehr vom Preußentum. Der Staat Preußen selbst wird 1947 aufgelöst – und die Friedrich-Wilhelms-Universität war die zentrale preußische Universität. Die Professoren der Universität verstanden sich einem berühmten Zitat zufolge als ‚geistiges Leibregiment der Hohenzollern‘. Von dieser Tradition will man weg“, erklärt Metzler.
Es gehe aber auch „um Antifaschismus und darum, den Geist der neuen Demokratie in der Universität zu verankern. Das schlägt sich auch in den Versuchen der Neuordnung der Universität nieder. Die Satzung von 1949 definiert ganz klar antifaschistisch-demokratische Ziele neben den allgemeinen wissenschaftlichen-akademischen Aufgaben, die die Universität hat.“
Eine ganze Zeit lang wird aber durchaus, vor allem seitens der SED, erwogen, die Namen Marx und Engels in den Universitätsnamen einfließen zu lassen. „Das war zum Beispiel die Position von Paul Wandel“, sagt Metzler. „Weniger Chancen hätte gehabt – auch das gab es kurz als Überlegung –, Lenin oder Stalin als Namenspatron zu wählen. Aber die realistische Alternative wäre tatsächlich Marx oder Engels gewesen.“ Nach Marx benannt wird dann die Leipziger Universität.
Zu einer Marx-Universität in Berlin kam es nicht. „Zum einen wird aus der Universität selbst heraus Druck aufgebaut zugunsten der Benennung nach Humboldt. Der Studentenrat zum Beispiel gibt im März 1947 ein einstimmiges Votum dafür ab.
Und die sowjetische Besatzungsmacht?
Aber auch die sowjetische Besatzungsmacht kann sich mit dem Namen anfreunden und stellt die Weichen in Richtung Humboldt-Universität. Ihr Interesse war, möglichst auch bürgerliche Kreise für ihre Politik zu gewinnen. Genau diese bürgerlichen Wissenschaftler hätte man mit einer Benennung nach Stalin oder Lenin verprellt.“
Das Ganze muss auch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass sich im Westteil der Stadt zu dieser Zeit die Freie Universität von der Universität Unter den Linden abspaltet. Studierende wechseln nach Dahlem, auch Professoren, die dort im Herbst 1948 die Gründung der FU vorantreiben. „Diese Entwicklung gehört dazu“, fasst Metzler zusammen, wenn es darum geht, warum die Wahl auf die Humboldts fiel.
Der Name hatte Bestand, auch in DDR-Zeiten. „Pläne zu einer Umbenennung gab es nicht. Der Akzent in der Traditionspflege lag stärker auf Alexander – dem Mann der Völkerverständigung, der internationalen Verbindungen, der Naturwissenschaften.“ Und, auch das lässt sich sagen: Die Wahl erwies sich „als kluger Zug“, „Humboldt“ habe sich „zum Markennamen entwickelt“. Deshalb wollte auch nach der Wende niemand die Umbenennung.
Karl Marx hat es aber doch noch in die Humboldt-Universität geschafft, schon im Mai 1953, zu seinem 70. Todestag: mit einem bekannten Zitat, das in riesigen Lettern am Treppenaufgang im Hauptfoyer prangt.
Es handelt sich dabei um die 11. Feuerbachthese des Kapitalismuskritikers, der ja derzeit neu entdeckt wird: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Marx hatte übrigens von 1836 bis 1840 an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität Jura studiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert