Vor 50 Jahren starb „Padre Pio“: Ein Heiliger für alle Fälle
Immer mehr ItalienerInnen kennen ihre Kirchen nur noch von außen. Bei „Padre Pio“ stimmen noch die Besucherzahlen.
Es war die erste Begegnung mit Padre Pio. Viele, viele weitere sollten ihr folgen, denn dem Kapuzinerpater mit dem Namen „der Fromme“ entkommt man in Italien einfach nicht. Millionen betrachten ihn als ihren ganz persönlichen Schutzpatron, und egal ob beim Schlüsseldienst, beim Bäcker, im Schnellimbiss oder der Reinigung: Immer wieder hängt das Konterfei des Padre an der Wand, gerne hinter der Kasse.
Doch auch draußen an der frischen Luft ist man nicht sicher vor ihm, von Rom abwärts gibt es kaum ein Dorf in Süditalien, in dem die Bewohner nicht per Spende in eine mehr oder weniger hässliche Padre-Pio-Statue, meist aus Bronze, seltener aus Marmor, investiert hätten.
Schließlich hatte der vor einem halben Jahrhundert, am 23. September 1968 im Alter von 81 Jahren Gestorbene deutlich mehr zu bieten als seine Mitbrüder aus dem Kapuzinerorden. Schon in jungen Jahren, im September 1918, hatten sich bei ihm an beiden Händen die Stigmata, die Wundmale eingestellt, ganz wie beim gekreuzigten Jesus. Gegner auch aus der Kirche lästerten, es handle sich wohl um Psoriasis oder um ganz banal selbst zugefügte Verletzungen.
Segen für den kaputten Fiat
Doch Pio ließ sich nicht beirren. Und ganz wie Jesus wurde der 1887 in ärmlichsten Verhältnissen in Süditalien geborene Mann, eigentlich hieß er Francesco Forgione, bald durch Wunder berühmt. Natürlich, er hat Kranke geheilt, aber das haben so gut wie alle Heiligen im katholischen Programm. Francesco-Pio hatte mehr zu bieten. Er bekam auch die wundersame Mehrung der Oblaten für die Kommunion hin, als die mal bei einer gut besuchten Messe nicht reichten, und er brachte angeblich auch den völlig kaputten Fiat eines Pilgers bloß durch seinen Segen zum Laufen.
Das machte ihn schon zu Lebzeiten unter Italiens frommen Menschen recht prominent. Tagelang standen sie zu Tausenden an, im apulischen San Giovanni Rotondo, um bei ihm die Beichte ablegen zu dürfen. Die Amtskirche allerdings betrachtete das Treiben des von Jesus-Stigmata Versehrten mit Misstrauen, brandmarkte ihn gar als „Schwindler“ und „Psychopathen“. Seinem Erfolg tat das keinen Abbruch – erst recht nicht in den Zeiten der auch in Italien fortschreitenden Säkularisierung.
Nur noch 30 Prozent der Italiener können heutzutage zu den eifrigen Gläubigen gezählt werden, die es regelmäßig zur Messe zieht, weitere 30 Prozent bezeichnen sich zwar als Katholiken, machen aber eigentlich nicht mehr mit, und unter den Jüngeren liegen die Werte dramatisch niedriger.
Während die Kirchen sich leeren, darf Padre Pio sich weiter über Massenandrang freuen. Zu seinem Kloster, wo er auch bestattet ist, pilgern jedes Jahr fast sechs Millionen Menschen. Eben das, was dem Vatikan schon vor Jahrzehnten nicht schmeckte, macht ihn wohl so attraktiv: Bei ihm fühlen sich Menschen nicht bloß mit ihrem Glauben, sondern mit ihrem Aberglauben an einen, der es schon richten wird, gut aufgehoben. Das trug ihm 1999 die Selig-, dann schon 2002 die Heiligsprechung ein.
Selbstverständlich, dass Pio am kommenden Sonntag gebührend gefeiert wird: Es gilt seinen 50. Todestag zu begehen, praktischerweise im Doppelschlag mit dem 100. Jubiläum des Auftauchens der Wundmale. Eine Sonderbriefmarke bekommt der Heilige von der italienischen Post, und natürlich ein feierliches Hochamt, mit Kardinälen, Bischöfen – und Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin