Von wegen Gleichberechtigung: Bayern emanzipiert
Zur „Osnabrücker Mahlzeit“, dem Grünkohlessen des Verkehrsvereins Osnabrück, sind nur Männer zugelassen. Bayerische Gerichte finden sowas falsch.
Ein solcher Weckruf ist jetzt in Osnabrück ertönt. Er gilt der „Osnabrücker Mahlzeit“ des Verkehrsvereins Stadt und Land Osnabrück (VVO). Die gibt es seit Mitte der 1950er-Jahre, als reine Männerrunde: Frauen dürfen dabei zwar servieren, mitessen allerdings nicht. Rund 1.300 „Herren“ kommen hier einmal im Jahr zum politischen und wirtschaftlichen Netzwerken zusammen, essen Grünkohl, Kasseler, Mettwurst, Bauchspeck und Kartoffeln und wählen dabei in der stadteigenen OS-Halle ihren Grünkohlkönig, Ehrenkette inklusive.
Der Weckruf kommt aus dem bayerischen Memmingen, und so skurril er sich anhört, so grundsatzbildend ist er zugleich: Genau wie Männer, hat das dortige Landgericht Mitte vergangener Woche in einem Berufungsverfahren verkündet, dürfen auch Frauen beim Memminger Fischertag im Stadtbach Forellen fangen. Bisher waren die Fischer, rund 1.200, allesamt Männer, und am Ende stand ihr Fischerkönig fest. Traditionswahrung rechtfertige keine Ungleichbehandlung, so das Gericht, auch nicht bei privaten Vereinen.
Der Memminger Verein greift zur Schere: Er wird künftig Frauen zulassen. Was der VVO für seinen „vermeintlich größten Männerstammtisch Europas“ aus dieser süddeutschen Einsicht lernt, ist noch offen.
Rats(mitglied)er sind grünkohlberechtigt
„Es darf keine geschlechtsspezifische Ausgrenzung geben!“, sagt Diana Häs, frauen- und gleichstellungspolitische Sprecherin der Ratsfraktion der Osnabrücker Grünen. „Wir haben diese antiquierte Männerklüngelei stets kritisiert.“ Besonders pikant: Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) ist stellvertretender Vorsitzender des VVO, die Stadt Zuschuss zahlendes Mitglied, jedes Ratsmitglied (mit Glied) also grünkohlberechtigt.
Schon 2019 hatten die Grünen im Stadtrat gefordert, die Vertreter*innen der Stadt seien zu beauftragen, in der nächsten Mitgliederversammlung des VVO durchzusetzen, dass zur Mahlzeit „zukünftig ohne Ansehen des (mutmaßlichen) Geschlechts eingeladen wird“. Das Ergebnis: abgeschmettert, vorrangig durch CDU und SPD. „Ein Denken wie bei der Katholischen Kirche“, sagt Häs. „Es war so, es ist so, es bleibt so.“
Die Osnabrücker Mahlzeit ist ein Schwergewicht. Wer Amt und Würden hat, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Macht, taucht bei dem auf, was Felix Osterheider, der Vorsitzende des VVO, fälschlich zum „Brauchtum“ verklärt. Unter den „Majestäten“ des Osnabrücker Grünkohls sind Ratsherren und Bürgermeister, Unternehmer und Stadtdirektoren.
Die Liste reicht vom Superintendenten bis zum Bischof, vom Bundesminister bis zum EU-Parlamentarier, externe Ehrengäste inklusive. 2014 war Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) König, der frühere Oberbürgermeister von Osnabrück. 2019 hängte sich Stephan Weil (SPD) die Kette um, Niedersachsens Ministerpräsident.
„Mit Frauenfeindlichkeit hat das nichts zu tun“, versichert Rüdiger Kuhlmann, Geschäftsführer des VVO. „Im Moment führen wir eine interne Debatte, auch über die Durchführung einer gendergerechten Veranstaltung. Aber das ist alles noch nicht in trockenen Tüchern.“
Wahrscheinlichste Option: Die VVO-Männer essen im Frühjahr weiterhin unter Männern Grünkohl, damit die alten Granden nicht verärgert sind. Die VVO-Damen essen im Sommer weiterhin, wie seit 2004, unter Frauen Spargel. Und zusätzlich gibt es eine dritte Veranstaltung, geschlechteroffen, eine „Osnabrücker Mahlzeit 2.0“. Zu der könnte dann die Königswahl wandern. „Eine Idee ist auch“, sagt Kuhlmann, „sie durch die Einladung von Prominenz aufzuwerten“.
Eine Option, mit der auch Anna Kebschull leben könnte, die Landrätin (Grüne) des Landkreises Osnabrück, neben Griesert qua Amt stellvertretende Vorsitzende des VVO. Häs hält das allerdings für keine gute Idee: „Zusätzlich zum Vorhandenen einfach was Neues aufzulegen, ist keine Lösung. Hier geht es um Geschlechtergerechtigkeit!“
Warum es so schwierig ist, die Männermahlzeit einfach zu öffnen, erklärt Kuhlmann so: „Das ist ja nur was für Mitglieder, und von denen sind nun mal nur 30 Frauen. Würden wir das Grünkohlessen für Frauen öffnen, kämen vielleicht so 60 oder 80, und ob die sich dann da wohlfühlen? Viele der Frauen sagen auch: Wir wollen lieber unter uns sein. Und es gäbe womöglich Männer, die träten dann aus.“
„Tradition heißt nicht, dass sich nichts ändern darf und soll“, sagt ein Sprecher der Stadt Osnabrück auf taz-Anfrage. Man begrüße die Ergänzung um eine „weitere hochkarätige Veranstaltung, die ganz besondere Gäste willkommen heißen möchte“. Da sei dann „jede und jeder willkommen“. Der alte Zopf bleibt also vermutlich. Aber daneben wächst ein neuer. Komische Frisur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin