: Von innen groß machen
■ Workshop zu Kleinwüchsigkeit: Drei Prozent aller Neugeborenen sind „zu klein“ / Jetzt hoffen Eltern und Wissenschaftler auf Erfolge durch die Behandlung mit Hormonen
Johanna ist acht und in den Augen „Normalwüchsiger“ winzig klein und zerbrechlich. Zusammen mit ihrer Mutter Ursula Rosen ist sie an diesem Wochenende auf Einladung des in Bremen ansässigen Bundesverbandes Kleinwüchsiger Menschen und ihrer Familien (BKMF) in Bremen. Zum zweiten Mal treffen sich Mitglieder des Selbsthilfeverbandes und andere Fachleute aus Pharmazie und Medizin. Dieses Jahr geht es um „intra-uterinen Kleinwuchs“, das heißt um Kinder, die aufgrund einer mangelhaften Versorgung in der Gebärmutter „zu klein“ zur Welt kommen.
„Ach, machen Sie sich keine Sorgen, das wächst sich schon zurecht“ bekämen viele betroffene Eltern von ihren KinderärztInnen zu hören, sagt Dr. Hartmut Wollmann von der Uni-Kinderklinik Tübingen. Der Spezialist für die Behandlung kleinwüchsiger Kinder warnt davor, statt auf die eigene innere Unruhe auf einen Kinderarzt zu hören, der sich mit diesen relativ seltenen Krankheitsbildern nicht auskennt.
Etwa drei Prozent aller in einem Jahr geborenen Kinder sind laut Wollmann kleiner als 47 Zentimeter und leichter als 2500 Gramm. Damit fallen sie unter das Maß, das als normal gilt. Ein Großteil dieser Kinder erreicht dennoch im Erwachsenenalter eine Körpergröße von mindestens 140 (Frauen) und 150 (Männer) Zentimetern, abhängig von der genetisch bedingten „Zielgröße“. Etwa 4000 bis 5000 blieben allerdings ihr Leben lang deutlich kleiner, erklärt Wollmann. Sie müssten sich mit sozialen Stigmata, unerreichbaren Klingelknöpfen und als Erwachsene häufiger als „Große“ mit Krankheiten wie Diabetes herumschlagen.
Johannas Mutter und Monika Frank-Boßler – deren Tochter Nadine ebenfalls an einer Form intra-uterinen Kleinwuchses erkrankt ist – erzählen vom Alltag mit den Knirpsen. „Von innen groß machen“ ist die Devise und „man darf die Kinder nicht in Watte packen“. Stattdessen müssten gemeinsam Lösungswege und Hilfsmittel gesucht werden, mit denen die Kinder selbstständig die vorprogrammierten Schwierigkeiten meistern können. Zum Beispiel sei der Schulranzen zu schwer, sagt Frank-Boßler. Alternativen: Ein Rollkoffer oder eine zweite Garnitur Schulbücher – eine für zu Hause, eine für die Schule. „Die Angst, dass was passiert, muss man verlieren“, ergänzt Ursula Rosen. Johanna könne ihre Situation recht gut selbst einschätzen und wisse sich zu helfen, indem sie einfach auf Schränke raufspringt, wenn sie an etwas nicht rankommen. „Wenn ich es nicht ertragen kann, gucke ich halt weg.“ Wichtig sei es, die Kinder ernst zu nehmen und entsprechend ihrer geistigen und nicht körperlichen Größe zu behandeln. Viele SchulärztInnen machen den Fehler, die Einschulung häufig hinauszuzögern – mit dem Argument, das Kind sei doch noch so klein. „Das ist sie nächstes Jahr auch noch“, ist Rosens Entgegnung.
Neben diesen Wegen, mit der Diagnose „Kleinwuchs“ offensiv umzugehen und das Umfeld mit dieser besonderen Normalität zu konfrontieren, gebe es jetzt auch Studien über die Erfolge von „nebenwirkungsarmen“ Hormonbehandlungen, sagt Wollmann. Einige Kinder hätten tatsächlich aufgeholt, allerdings könne man aufgrund der kurzen Laufzeit des Projektes noch nicht sagen, wie groß die Kinder am Ende würden.
Der Alltag für ein kleinwüchsiges Kind sei übrigens nicht nur stressig, sondern auch mal ganz angenehm, erzählt Rosen. „Johanna sagt immer, sie käme immer umsonst ins Schwimmbad, werde viel getragen und manchmal tut es wohl einfach gut, etwas besonderes zu sein.“
Eiken Bruhn
Bis zum 20.April läuft noch ein Malwettbewerb für Kinder von sechs bis zwölf mit der Diagnose „Kleinwuchs“. Informationen beim BKMF, Hillmannplatz 6, 28195 Bremen. Tel.: 502122 oder 507873. Internet: www.bkmf.de .
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