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Von Waldtauchern und BaumruinenVor lauter Bäumen

Die Ausstellung „Through a Forest Wilderness“ zeigt den Wald als Kunstort – in der Kunsthalle Wilhelmshaven und dem Nauenburger Holz.

Margita Titlova Ylovskys „Bewegung von Baum und Körper“ (1980) Foto: Margita Titlova Ylovsky

Wilhelmshaven taz | Der Wald und sein Wohl sind ja den Deutschen lieb. Ein in den 1980er-Jahren hierzulande beklagter Zustand hat es als Lehnwort „le waldsterben“ sogar bis ins Französische geschafft – allerdings mit dem ironischen Tenor, dass es sich bei der Sache eher um eine deutsche Hysterie handele, denn um einen wissenschaftlich belegbaren Befund. Als Ursache wurde damals „saurer Regen“ für die Erosion ganzer Forstpartien ausgemacht. Weitere augenfällige Ursachen wie falsche Bestockung oder Trockenheit werden erst aktuell in Erwägung gezogen.

Die der Ratio verpflichteten und mit rund 50 Prozent mehr Waldfläche als ihre deutschen Nachbarn gesegneten Franzosen scheinen sich offensichtlich bis heute kaum der urwüchsigen Magie des Waldes zu erwärmen.

Zumindest legt dies die Künstlerliste des umfassenden Recherche- und Ausstellungsprojektes „Through a Forest Wilderness“ nahe, das die Kunsthistorikerin Petra Stegmann erarbeitet hat und ab 2017 im Brandenburgischen Kunstverein Potsdam und dem Berliner Grunewald aufgeführt hat. Denn unter den Teilnehmer*innen, von denen sie 70 künstlerische Positionen in und mit dem Wald bis in die 1960er-Jahre zurückverfolgt, findet sich kein*e Einzige*r aus der Grande Nation.

Stegmann, seit Oktober 2018 nun Leiterin der Wilhelmshavener Kunsthalle, zeigt jetzt hier neuerlich einen dokumentarischen Auszug von rund zehn dieser Aktionen, parallel hat sie einen Freiluftparcours mit acht Stationen im Neuenburger Holz beim friesischen Zetel angelegt. Dort finden auch Führungen, Künstlergespräche und Performances in freier Natur statt.

Das künstlerische Arbeiten im Freien hat eine globale wie lange Geschichte, sie reicht von Naturstudien oder einer Freilichtmalerei der Impressionisten bis zur Land Art US-amerikanischer Veteranen wie Walter de Maria, Michael Heizer oder auch James Turrell mit seinem Licht-Observatorium Roden Crater in der Wüste Arizonas.

Hinaus in den Wald

Sie ließen mit schwerem Gerät schon mal ganze Topografien überformen – Maßstäbe und demiurgische Fantasien, die man bei den Waldkünstler*innen nun gern vergessen darf. Denn konzeptionell mitunter radikale, in ihrer Art aber behutsame, kleine, oft symbolische und in der Regel ephemere Handlungen zeichnen ihre Kunst aus.

Der Gang in den Wald, das Verlassen institutioneller Räume wie Galerien oder Museen hatte oft auch einen politischen Unterton und mag ihn in manchen Ländern immer noch haben: Stegmann hat einen historischen Schwerpunk im sozialistischen Mittel- und Osteuropa ausgemacht, dort entzogen sich Künstler im Alternativraum Wald auch staatlicher oder ideologischer Kontrolle.

Mythologische Aufladung des Waldes

In den nordischen Ländern mit ihren Baumheiligtümern wie der Weltenesche Yggdrasil kommt eine mythologische Aufladung des Waldes hinzu, im Westen Deutschlands war es eine, manchmal romantische, Umweltbewegtheit. Sie war auch in Joseph Beuys’ „Stadtverwaldung“ spürbar, der Setzung von 7.000 Eichen während der 7. Documenta 1982 in Kassel, die er auch als spirituelle Regenerierung eines Teils des Planeten verstanden wissen wollte.

Nicht alle vorgestellten Künstler arbeiten explizit mit dem Wald oder dem Baum als Sujet. In den 1950er-Jahren etwa zog bereits die japanische Künstlergruppe Gutai mit partizipativen Kunstformen ins Freie, jedoch stand hier eine neue Praxis in der Kombination künstlerischer Gattungen im Vordergrund. Auch die drei kroatischen Künstler der Gruppe Gorgona, die 1986 mit ihrer absurd theatralischen Aktion „Das Bild platzieren“ in den verschneiten Wald gingen, wollte sich so, symbolisch und marktkritisch, von einem Werk minimalistisch konzeptioneller Malerei der 1960er-Jahre trennen.

Längst war diese Kunstauffassung durch einen Neo-Expressionismus verdrängt, ein Käufer fand sich nicht mehr und der Bildaufbau – schwarzer Balken auf monochrom silbernem Hintergrund – korrelierte bestens mit dem winterlich abstrakten Forst. Das zurückgelassene Bild wurde von den Akteuren noch mehrfach besucht, sein Verschwinden in Wald und Schnee fotografisch begleitet.

Totgeschwiegenes Waldsterben

Politisch eindeutig griff dann 2006 der Este Villem Jahu zum Gewehr und exekutierte, vor ebenfalls verschneiter Waldkulisse, ein pseudo-suprematistisches Bild. Auch diese abstrakte Kunst rund um die russische Oktoberrevolution war ab den späten 1920er-Jahren ja in Ungnade gefallen, ihre Vertreter wurden verfolgt, mitunter hingerichtet. Oder eine Gruppe Künstler im Thüringischen, die mit Rohrstücken, Schnüren und einer Luftpumpe eine Baumruine „wiederbeleben“ wollte: Ein Verweis auf das auch in der DDR während der 1980er-Jahre empfundene, von der offiziellen Politik jedoch totgeschwiegene Waldsterben.

Mit akrobatischer Raffinesse stieg ab 2009 die Polin Cecylia Malik jeden Tag auf einen anderen Baum, häufig in den Straßen ihrer Heimatstadt Breslau, um auf einen Schutz dieser für Klima und Lebensqualität komplexen Lebewesen hinzuweisen.

Gefährlicher Charme

Through a Forest Wilderness

bis 27. 10., Kunsthalle Wilhelmshaven und Neuenburger Holz, Infos: throughaforestwilderness.org

Und mit geradezu versponnen lyrischen, sukzessiven Ritualen praktiziert die russische Gruppe „Kollektive Aktionen“ seit 1997 im Moskauer Forst: Erst wurden 13 Bücher verpackt und vergraben, ein Batteriewecker mit zehn Jahren Laufzeit aufgestellt, die Stellen mit Kartoffeln beworfen, irgendwann Unterholz beseitigt, ein aufgehängter Regenschirm in Flammen gesetzt, 2005 ein Buch ausgegraben, ein Eisenstab mit einem Knauf in Schildkrötenform in den Boden gehämmert, auch er wieder umgesetzt … Wer denkt da nicht an die verlorenen Seelen etwa eines Dostojewski, ihren absurden Ausbruch aus gesellschaftlichen, religiösen, politischen Zwängen?

Ein Pionier dieser Kunstform ist der 1938 in Stockholm geborene Bengt af Klintberg. Im Hauptberuf Professor für Ethnologie und Folklore, begann er in den 1960er-Jahren mit Events in Geiste des Fluxus. Er stellte etwa Eisbrocken aus einem Teich im Wald aus, verfolgte, wie sie auftauend verschwanden. Ein historischer Taucheranzug, den er geschenkt bekam, inspirierte ihn 1973 zu seinen Variationen des „Forest Diver“: mal schwebend über den Bäumen, mal sie umschlingend.

Das Utensil ist nun in Wilhelmshaven zu sehen. Klintberg betont den gefährlichen Charme des Waldes, in dem man sich im wahrsten Sinne des Wortes verlieren kann. Das wiederum wäre ein Erkenntnisvorgang wie ihn Petra Stegmann liebt: Nicht umsonst zitiert sie im Titel ihres Projektes den schottisch-amerikanischen Naturphilosophen John Muir, der dem Aufenthalt im Wald eine transzendierende Wirkung beimisst, die dem Menschen innere Klarheit und tiefere geistige Einsicht zu bescheren vermag.

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