Von SPD vermasselter Machtwechsel in Hessen: Abweichler dürfen in Fraktion bleiben
Der Vorstand von Hessens SPD will die vier Abgeordneten, die eine Machtübernahme verhindert haben, nicht aus der Fraktion werfen. Ein Ortsverein leitete indes ein Parteiausschlussverfahren ein.
WIESBADEN ap/afp/dpa Nach dem gescheiterten Regierungswechsel in Hessen zeichnet sich eine vorgezogene Landtagswahl im Winter ab. Die Grünen schlugen nach dem geplatzten Bündnis mit der SPD den Weg zu einer Auflösung des Landtags ein. Die CDU schloss zwar eine Regierungsbildung im jetzigen Wiesbadener Landtag nicht aus, rechnet aber bei einer Neuwahl mit Stimmengewinnen. "Wir haben sicher bessere Chancen als vorher", sagte der Vize-Landesvorsitzende und Innenminister Volker Bouffier am Dienstag im Bayerischen Rundfunk. Zurückhaltend äußerte sich die SPD, die bei der nächsten Wahl mit Stimmenverlusten rechnen muss. Die neue Situation müsse besonnen analysiert und besprochen werden, sagte SPD-Generalsekretär Norbert Schmitt am Dienstag in Wiesbaden: "Dafür nehmen wir uns die notwendige Zeit."
Die vier Abweichler in der SPD-Fraktion dürften nun nicht den Kurs bestimmen, sagte Schmitt. Jetzt gelte es, die Stimmung der Parteibasis aufzunehmen.
Am Vortag hatten vier Abweichler in der SPD-Fraktion das Vorhaben ihrer Vorsitzenden Andrea Ypsilanti zunichte gemacht, sich zur Ministerpräsidentin eines rot-grünen Minderheitskabinetts wählen zu lassen. Sie begründeten dies mit Bedenken gegen die Linkspartei, deren Stimmen für die Wahl und die Tolerierung von Rot-Grün notwendig gewesen wären.
Im Landesvorstand wurde den vier Abgeordneten Jürgen Walter, Dagmar Metzger, Silke Tesch und Carmen Everts nahegelegt, auf ihre Mandate zu verzichten. Es gebe jedoch keine Versuche, sie aus der Fraktion auszuschließen, sagte Fraktionsgeschäftsführer Reinhard Kahl der Onlineausgabe der "Financial Times Deutschland".
An der Parteibasis gab es erste Forderungen nach einem Parteiausschluss der vier. Bereits am Montag hatte der Darmstädter Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, Horst Raupp, einen Ausschlussantrag gegen Jürgen Walter, Dagmar Metzger, Carmen Everts und Silke Tesch angekündigt. Am Dienstag leitete der Frankfurter Ortsverein Bonames offiziell ein derartiges Verfahren ein. "Das Verhalten dieser vier Genossen ist eindeutig parteischädigend", hieß es in dem entsprechenden Antrag an das Schiedsgericht des SPD-Bezirks Hessen Süd zur Begründung.
"Nach diesem menschlich und politisch enttäuschenden Verhalten von vier Abgeordneten muss die neue Situation nunmehr ruhig und besonnen analysiert und besprochen werden", sagte der hessische SPD- Generalsekretär Norbert Schmitt. Er warf den Abweichlern vor, sich in "maßloser Selbstüberschätzung" über das Votum zweier Parteitage hinweggesetzt zuhaben. Dort war Ypsilantis Weg jeweils mit großer Mehrheit gebilligt worden.
Der südhessische SPD-Vorsitzende Gernot Grumbach hatte die abtrünnigen Abgeordneten Jürgen Walter, Dagmar Metzger, Carmen Everts und Silke Tesch nach einer Tagung des Landesvorstands am Montagabend zur Mandatsniederlegung aufgefordert. An den Sitzungen von Parteiführung und Fraktion in Wiesbaden nahmen die Vier selbst nicht teil.
Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering kündigte ein Gespräch mit der hessischen SPD-Spitze über das weitere politische Vorgehen in dem Bundesland an. Das Treffen sei bereits terminiert. Dabei werde man "miteinander darüber reden, was man jetzt wie tun kann, um da neu aufzubauen und neues Vertrauen bei den Menschen zu gewinnen", sagte Müntefering in Berlin.
Als Termine für eine Neuwahl waren am Dienstag in Wiesbaden der 18. Januar oder der 8. Februar 2009 im Gespräch - abhängig davon, ob der Landtag sich im November oder Dezember auflöst. Bis zur nächsten Landtagssitzung am 18. November müsse klar sein, ob das Parlament eine neue Regierung bilden könne oder sich auflöse, sagte Bouffier: "Wir bemühen uns um eine Bündnisoption, eine stabile Regierung. Wir werden mit der FDP und den Grünen reden, wir werden auch mit der SPD reden, wenn dort überhaupt jemand gesprächsfähig ist."
Die Ablösung von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sei bereits zum zweiten Mal an der SPD gescheitert, erklärten Landesvorstand und Landtagsfraktion der Grünen am Montagabend. Sie empfahlen deshalb einem für kommenden Samstag einberufenen Parteirat, "sich für eine baldmögliche Auflösung des Hessischen Landtags und damit Neuwahlen auszusprechen". Für die Auflösung des Parlaments sind 56 Stimmen notwendig. CDU und FDP kommen zusammen auf 53 Stimmen, die Grünen haben 9 Abgeordnete.
Der FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn hatte Neuwahlen bereits am Montag als "sauberste Lösung" bezeichnet. Er begrüßte den Sinneswechsel der Grünen. Die Liberalen setzten sich dafür ein, dass es möglichst bald stabile Verhältnisse gebe, sagte eine Sprecherin. Hahn habe Koch und den Grünen-Vorsitzenden Tarek Al-Wazir zu einem Dreiergespräch eingeladen, für das es aber noch keinen Termin gebe.
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