Von Rocklängen zu „Recession Brunette“: Was uns Mode über die Wirtschaftslage sagt
Fashion kann uns zeigen, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Und was Menschen sich leisten können und was eben nicht.
![Eine Frau färbt zu Hause Haare Eine Frau färbt zu Hause Haare](https://taz.de/picture/7518850/14/37637483-1.jpeg)
H aare blond färben? Not in this economy! Denn wer hat heutzutage schon Geld, alle paar Wochen zum Friseur zu rennen und den Ansatz nachzufärben? Das ist zumindest die Annahme der Fashion Girlies, die ihre Haare diesen Winter lieber braun färben oder mit Verlauf hin zu dunkleren Spitzen (Balayage) tragen.
„Recession Brunette“ nennt sich der Trend, bei dem man mit einem kurzen Blick in den Geldbeutel doch lieber very demure bleibt und kostensparend färbt. Die Rezession, also die Zeit des wirtschaftlichen Abstiegs, soll wohl auch nicht vor unserem Ansatz Halt machen. Noch hat sich die Wirtschaftswissenschaft nicht damit beschäftigt, ob es einen Zusammenhang zwischen Haarfarben und dem Zustand unserer Wirtschaft gibt, daher ist „Recession Brunette“ wohl eher kein zuverlässiger Konjunkturindikator.
Solche Indikatoren sind die Glaskugel der Finance Bros. Denn sie sollen dabei helfen zu verstehen, wie sich die Wirtschaft entwickeln wird oder bereits entwickelt hat. Dabei unterscheidet man zwischen Frühindikatoren, wie zum Beispiel Gewinnerwartungen von Unternehmen, Präsenzindikatoren, die die aktuelle Lage widerspiegeln, das BIP zum Beispiel und Spätindikatoren.
Bei Letzteren blickt man in harten Zeiten nur betrübt in die Daten, um sich die Krise, die manchmal schon jahrelang wütet, bestätigen zu lassen: Ach, es wurden wirklich so viele Leute entlassen? Erstaunlich!
Von Minirock zu Konjunktur
Unter die eher lustigen Indikatoren fiel lange der „Hemline Index“, der einen Zusammenhang zwischen der Länge von Röcken und Kleidern und der Wirtschaft sah. Und wenn man sich so ein paar einzelne Daten aus dem vergangenen Jahrhundert rauspickt, scheint das gar nicht so weit hergeholt: In den 1960ern zum Beispiel trug zum ersten Mal eine Frau einen Minirock, es begann auch in der Mode eine Zeit des Umschwungs und der selbstbewussten Frau. Gleichzeitig boomte zum Beispiel in den USA die Wirtschaft, Arbeitslosigkeit sank und Löhne stiegen.
Schaut man sich dagegen die 1990er Jahre mit ihren US-Rom-Coms an, rocken die Frauen auch vermehrt wieder längere Kleider und Röcke, besonders zu Beginn der 1990er Jahre litt die US-Wirtschaft unter einer schlechten wirtschaftlichen Lage. Ein Zeichen, sich lieber bequem zu kleiden.
Zwei Beispiele zementieren natürlich keinen Trend. Wissenschaftler*innen aus Rotterdam schauten sich die Rocklängen zwischen 1921 und 2009 an und verglichen sie mit Daten zur wirtschaftlichen Lage der USA. Sie sagen, die Rocklänge hängt drei Jahre hinter der wirtschaftlichen Stimmung, die sie beeinflusst. Was auch Sinn ergeben kann, denn bis Mode von den Designer*innen über den Laufsteg zu uns Shopping-Mäusen ankommt, dauert es eben eine Weile.
In einer Welt der Micro Trends, wo Social Media gefühlt jede Woche die neue Rocklänge und Haarfarbe vorhersagt, sind solche Theorien natürlich hinfällig. Und trotzdem zeigen solche Beobachtungen, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist und was Menschen sich leisten können und was eben nicht.
Und das ist momentan in Deutschland nicht sehr viel. Obwohl viele Leute weiterhin einen Job haben und die Nachfrage nach Arbeitskraft noch hoch ist, sorgen sich viele um ihren Arbeitsplatz. Dazu kommen die weiterhin hohen Preise für Lebensmittel und Miete und ein Lohn, der nicht adäquat zu diesen Teuerungen steigt. Würde die Theorie des Rocksaums noch greifen, wir würden beim Treppensteigen stolpern.
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