Von „Pace!“ zu „Putin!“: O Lire! O Scheiß! Die Partisanen können einem leidtun
Italien, das „Land der Diebe und Bademeister“, begeistert unseren Autor nicht mehr wie früher. In der deutschen Literatur hat die Abneigung Tradition.
D ass Italien mich nicht mehr so begeistert wie eigentlich mein ganzes Erwachsenenleben lang, habe ich in der letzten Kolumne schon angedeutet. Das liegt aktuell vor allem an einem großen Teil der italienischen Linken, die ausgiebig „Pace, pace!“ rufen, was aber immer nur als „Putin, Putin!“ rüberkommt.
Als ich diese kretinhafte Friedensliebe auf Kosten der Ukrainer:innen in meinem sozialen Medium mit dem Satz kommentierte, die Partisan:innen der Resistenza würden sich im Grabe wälzen vor Scham über ihre heutigen Landsleute, war ich gleich viele Freundschaften los. Aber wie es bei den „Sopranos“ so oft mit fast schon antikem Fatalismus heißt: „Whadda ya gonna do?“, übersetzt etwa: Da kannste nix machen.
Und was sind schon meine Kritteleien am Stiefelvolk etwa gegen die ungleich härtere Gangart eines seiner größten Schriftsteller und Moralisten, Ennio Flaiano. Der spricht vom „Land der Diebe und Bademeister (die auf den Sommer warten)“, von Individuen, die ihre eigene Freiheit über alles schätzen und die der anderen verachten, klagt schließlich über das „Land der Lebensmittelmystifizierung“; womit wir uns häppchenweise den Gefilden dieser Kolumne nähern.
In der neuen Biografie über den Dichter Rolf Dieter Brinkmann (1940–1975) hat mich nämlich überrascht, wie sehr zu seiner Zeit das italienische Essen in Deutschland noch in Verruf stand, während man heute kaum den Kochtipps entkommt, die einem den angeblich existenziellen Unterschied von carbonara, cacio e pepe und gricia einrühren wollen. Leider habe ich die Brinkmann-Bio schon wieder in die Bücherei zurückgebracht, kann also die Warnungen, die er vor seinem Stipendiatenaufenthalt in der Villa Massimo von schon romerfahrenen Kollegen bekam, hier nicht wörtlich wiedergeben.
Der große Rom-Meckerer der deutschen Literatur
Faszinierend fand ich aber jedenfalls noch, dass auch in dieser neuen Bio nicht erwähnt wird, dass Brinkmann seine polternde Abneigung gegen alles Italienische auch auf die Sprache ausweitete. Ein Dichter, der verlautbarte, dass alles ein Gedicht werden könne, „wenn man es nur genau genug sieht“, schreibt viele der italienischen Wörter, die er sah, schlicht falsch: „tabacci“ statt tabacchi, „marcelleria“ statt macelleria, „buena sera“ satt buona sera, „commerziale“ statt commerciale – dies nur Beispiele aus den Gedichten „Canneloni in Olevano“ und „Hymne auf einen italienischen Platz“, die dann programmatisch endet: „O Lire! O Scheiß!“
Am Ende sind die Deutschen möglicherweise doch am meisten davon fasziniert, was hinten rauskommt. Aber, ach – nein! Brinkmann – „ein ganz eigenartiger und erstaunlicher und wirklich künstlerischer Mensch“ (Jörg Fauser) –, können wir nicht so liegen lassen: Bei aller Engstirnigkeit, die ihn (so viel Bildungshuberei darf sein) mit dem anderen großen Rom-Meckerer der deutschen Literatur, Johann Gottfried Herder, verbindet, hat er doch die schöne Frage gedichtet:
„Wo ist, frage ich, das Fenster, das nach Süden offen ist?“ Und wer bekäme nicht Appetit bei diesen genudelten Versen: „Was ich meine, ist, daß schwierig ist zu / beschreiben, wie gut Cannelonis schmecken, die heiß, / leise zischend, auf heißen Tellern nach einiger / Zeit Wartens in den großen, kalten Saal gebracht werden, / wo die Spiegel abgeblättert sind und der Gasofen nicht / sehr wärmt, und es ist gut, sich gut zu fühlen.“
Und oh ja, das ist es! Oder anders gesagt: La vita è trotzdem bella!
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