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Von Agrarwende keine Spur

Die Regierung habe faktisch nicht gehandelt, meint der Naturschutzbund„Künast vertraut den falschen Personen“, sagt Nabu-Experte Florian Schöne

von BERNHARD PÖTTER

Es sind nicht mehr die dümmsten Bauern, die die größten Kartoffeln haben. Wer heute als Landwirt mit allen Tricks und Kniffen arbeitet, braucht nur einen Internetanschluss. Dann kann er nämlich unter www.bsl-online.de oder bei www.transagro.de Gifte wie E 605, Brestan, Lindan oder Atrazin für seine Felder ordern – Substanzen, die in Deutschland schon lange verboten sind und nicht gehandelt werden dürfen.

Doch damit nicht genug der Bauernschläue. Will der Landwirt illegale Pestizide bestellen, fälscht er, zusammen mit dem Händler, einfach die Unterlagen, wie es etwa ein Bauer im Siegerland machte. Statt des verbotenen Gifts stand nur „Pflanzenschutzmittel“ auf der Rechnung.

Diese Beispiele für massive Verstöße gegen die deutschen Bestimmungen beim Einsatz von Giften auf dem Acker hat der Journalist Andreas Schlumberger im Auftrag des Naturschutzbundes (Nabu) zusammengetragen. Sein Bericht „Giftspritze außer Kontrolle“ zeigt laut Nabu, „dass in Deutschland vielfach gegen die gesetzlichen Bestimmungen für den Umgang mit Pflanzenschutzmitteln verstoßen wird“. Nicht viel besser klingt das Fazit einer zweiten aktuellen Nabu-Studie zum Thema „Pflanzenschutz in Deutschland“. Die Untersuchung fragt, ob das erklärte Ziel der deutschen Agrarpolitik erreicht wird, immer weniger Gifte in der Landwirtschaft einzusetzen. Ergebnis: „Die Pflanzenschutzpolitik ist hinsichtlich der Minimierung des Pestizideinsatzes an ihre Grenzen geraten. Eine neue Strategie ist erforderlich.“

Die beiden Berichte legte der Nabu gestern der Öffentlichkeit vor (www.nabu.de). Die Untersuchungen zeigen, dass das agrarindustrielle System der Verflechtung zwischen Bauernverband, Chemieindustrie, Beratungsverbänden und Forschungsinstituten aus der Zeit vor einer grünen Landwirtschaftsministerin Künast weiter wächst und gedeiht. Umweltschützer, Behörden und Bauern sind einig: Die Künast’sche Agrarwende greift bei der Pestizidpolitik bisher nicht.

„Die Agrarlobby ist sehr erfolgreich, wenn es darum geht, ihre Positionen zu verteidigen“, sagt Nabu-Agarexperte Florian Schöne. So erreichten die Obstbauern am Bodensee im vergangenen Frühjahr eine Ausnahme vom Verbot, Antibiotika zu spritzen – sie drohten mit massenhaftem illegalem Einsatz der verbotenen Substanz. Die Obstbauern im Alten Land bei Hamburg wiederum hatten eine solche Ausnahmeregelung, Pestizide auch direkt neben Wassergräben zu sprühen. Trotzdem hielten sie die Vorgaben nicht ein und setzten in großem Stil verbotene Mittel in ihren Gärten ein (taz vom 21. 2. 2002). Jetzt ergaben die Recherchen des Nabu, was die Bauern immer geleugnet hatten: Auf Äpfeln aus dem Alten Land fand das Staatliche Untersuchungsamt Oldenburg Reste der Spritzmittel. Das bedeutet: Entweder die Äpfel werden mit verbotenen Giften gespritzt – oder die Äpfel mit dem Etikett „Altes Land“ kommen aus anderen Anbaugebieten.

Der Vorwurf der Umweltschützer: Anders als bei den Bestimmungen zur Tierhaltung, wo unter dem Druck der BSE- und der MKS-Skandale Veränderungen durchgesetzt wurden, „hat sich beim Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden bisher kaum etwas getan“, sagt Schöne. „In den letzten vier Jahren hat die Bundesregierung faktisch nicht gehandelt.“ Nur langsam komme die Strategie zur Reduzierung der Giftmengen, die immerhin im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und SPD verabredet wurde, in Bewegung. So treffen sich nächste Woche zum ersten Mal alle Beteiligten zum runden Tisch. Bei der Neuordnung der Verbraucherschutzbürokratie wanderte die Kompetenz für die Zulassung von Pestiziden aus der Biologischen Bundesanstalt (BBA) zum neu geschaffenen Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Doch die Experten sind nach wie vor dieselben mit ihrer traditionellen Nähe zur Chemie auf dem Acker.

Doch der schwarze Peter geht nicht so sehr an die einzelnen Bauern: Verantwortlich für den massiven Pestizideinsatz auf Deutschlands Äckern sind vor allem die „agrarpolitischen Rahmenbedingungen“, heißt es in der Studie „Pflanzenschutz in Deutschland“. Die industrielle Landwirtschaft zwingt die Bauern, möglichst viel Getreide oder Obst zu möglichst niedrigen Preisen zu produzieren – und dabei die chemische Keule zu schwingen. Dabei sind die Landwirte selbst die Leidtragenden: Studien zeigen, dass für Landwirte der Umgang mit den Giften das Risiko für Blutkrebs, Lymphkrebs und Parkinson deutlich erhöht. Schließlich drohe mit den Pestizideinsätzen eine „erhebliche Gefährdung für Mensch und Umwelt“. Und die Bauern wissen offenbar selbst am besten, dass die Giftspritze nicht die Lösung ist. In Befragungen des Umweltbundesamtes (UBA) und der BBA gaben die meisten Landwirte an, sie kämen mit deutlich weniger Pestiziden als erlaubt aus: Auch wenn der Einsatz der Gifte um die Hälfte verringert werde, blieben die Erträge fast gleich.

Allerdings beschweren sich die Obstbauern darüber, dass es nicht zu viele, sondern zu wenige Pesitzidsorten auf dem Markt gibt. Seit Juli 2001 dürfen Mittel nur noch bei den Pflanzen eingesetzt werden, für die sie zugelassen sind: Ein Pflanzenschutzmittel für Getreide darf nicht auf Petersilie gespritzt werden, auch wenn es gegen den gleichen Schädling wirkt. Doch für manche Kulturen haben die Chemiefirmen keine eigenen Wirkstoffe entwickelt, klagt Herbert Knuppen von der Bundesfachgruppe Obstbau. „Für deutsche Himbeeren, Erdbeeren, Äpfel und Pflaumen gibt es kaum wirksame und legale Pflanzenschutzmittel.“ Kontrollen hätten gezeigt, dass nicht zugelassene Pflanzenschutzmittel „in Einzelfällen“ verwendet wurden, was zu „empfindlichen Strafen“ geführt habe.

Knuppen unterstützt eine bundesweite Dokumentation des Pestizideinsatzes. Bisher nämlich gibt es keine flächendeckenden Daten über Einsatz und Wirkung der Giftstoffe. Das wird erst im neuen rot-grünen Naturschutzgesetz gefordert. Nach Nabu-Angaben werden jährlich 35.000 Tonnen Gifte in Deutschland verkauft, von denen nur 1 Prozent überhaupt die Pflanzen erreicht. 42 Prozent aller Lebensmittel in Deutschland sind mit Pestizidrückständen belastet; auch die Belastung der Gewässer hat sich seit Ende der 80er-Jahre kaum verringert.

Das Bundesverbraucherministerium wehrt sich gegen den Vorwurf der Untätigkeit: „Wir haben die Strukturen verändert und durch das neue BVL die Risikobewertung vom Management getrennt“, meint Sabine Kolloge vom Ministerium. Auch seien zusammen mit den Ländern, wo das Künast-Ministerium ein „Vollzugsdefizit“ sieht, die Kontrollen bei Händlern und Bauern verschärft worden. Beim runden Tisch zur Reduktion der Pestizide werde die Strategie für die Zukunft festgelegt. „Alle diese Veränderungen wirken aber nicht von heute auf morgen.“

Der Weg zu mehr Transparenz ist beschwerlich. So hat etwa die Bundesfachgruppe Obstbau ein System zur Qualität und Sicherheit von Obst und Gemüse entwickelt, das die Herkunft des Obstes und den Pestizideinsatz dokumentieren soll. Doch der Lebensmittelhandel hält nichts davon, seine Produkte in geprüfte und ungeprüfte Ware zu unterscheiden. Wohl auch, weil 70 Prozent des in Deutschland verkauften Obstes importiert werden – aus Gegenden, wo die Kontrollen noch weitaus lascher sind.

Die Regierung habe faktisch nicht gehandelt, meint der Naturschutzbund„Künast vertraut den falschen Personen“, sagt Nabu-Experte Florian Schöne

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Nabu-Studien ist mit Bedacht gewählt. Denn in die Pestizidpolitik gerät Bewegung. Die EU überarbeitet ihre Richtlinien zum Pflanzen- und zum Wasserschutz. Laut Nabu ist es möglich, den Einsatz der Pestizide bis 2008 um die Hälfte zu reduzieren. Nötig sei dafür ein Bund-Länder-Programm mit konkreten Fristen, Kriterien und Finanzierungsplänen. Auch sollten die Anwendungsrichtlinien der so genannten guten fachlichen Praxis einheitlich festgelegt werden. Eine Pflanzenschutzabgabe könnte Geldmittel aufbringen, mit denen bessere Kontrollen bezahlt würden.

Für Fortschritte auf diesem Gebiet ist Renate Künast allerdings auch von den Agrarministern der Länder abhängig – denn die Kontrolle der Pestizideinsätze und die Beratung der Bauern obliegt den Ländern. Deren Ämter sind allerdings überlastet und durch Bürokratie gehemmt. 500 kommunale Ämter müssen ihre Erkenntnisse an 33 Behörden, 40 Untersuchungsämter und 16 Ministerien weiterleiten. Als die EU-Kommission 2001 die deutschen Kontrollgremien untersuchte, beklagte sie daher auch einen Mangel an Transparenz und die verworrene rechtliche Lage.

Doch die Bundesministerin müsse für eine Agrarwende auch im Pestizidbereich durchaus mehr tun, finden die Umweltschützer. So könne sie etwa die Forschung für den biologischen Pflanzenschutz fördern, die Aus- und Fortbildung der Landwirte reformieren, die Anwendungsbestimmungen für den Einsatz der Gifte verschärfen oder über die EU einzelne Mittel mit hochgiftiger Wirkung schneller auf die schwarze Liste setzen.

Obstbauexperte Knuppen fordert von der Industrie, Mittel zu entwickeln, die Nützlinge besser schützen. Außerdem regt er zielgenauere Spritzgeräte an. Aber: „Genauer zu spritzen heißt, mehr und nicht weniger Mittel zur Verfügung zu haben.“ Immerhin würde jedes Mittel auf Umweltverträglichkeit getestet und Deutschland habe die schärfsten Tests. „Früher wurde einmal im Jahr DDT gespritzt, dann war Ruhe. Das will heute natürlich niemand mehr.“

Künast könnte auch im eigenen Haus mit der Veränderung beginnen. Seit Jahren beklagen sich die Umweltschützer über den zuständigen Referatsleiter für den Pflanzenschutz. Der Fachmann für den Einsatz von Pestiziden gilt als „untragbarer Betonkopf“, der der Abhängigkeit der Bauern von der Chemie das Wort rede. „Künast vertraut den falschen Personen“, sagt Nabu-Experte Schöne. Das könnte die Ministerin ändern: Momentan läuft eine Ausschreibung, um den „Sachverständigenausschuss für Pflanzenschutz“ des Ministeriums neu zu besetzen – das entscheidende Gremium für die Zulassung von Pestiziden.

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