Vom Maschsee bis an die Moskwa: Männerabend mit und ohne Würstchen
Wie geht Politik ohne Würstchen und Seilschaften? Die Kritik am „System Schröder“ zeigt gesellschaftlichen Fortschritt, wirft aber auch Fragen auf.
D as ist schon ein ganz besonderes Vergnügen: Letzte Woche saß ich bei einer Lesung zur „Moskau Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit“ im Publikum, während vorne die zwei verehrten FAZ-Kollegen Reinhard Bingener und Markus Wehner erklärten, wie gut Schröders Männerkumpanei zu Putins Chauvinismus gepasst hat und andersherum.
Hach, dachte ich für einen Moment, es gibt ja vielleicht doch so etwas wie Fortschritt, wenn selbst die FAZ versteht, was toxische Männlichkeit ist, auch wenn sie das lieber anders nennt.
Nun haben die Kollegen ein kluges Buch geschrieben, in dem es um sehr viel mehr geht als um die Frage, wer wann mit wem Bier oder Wodka getrunken hat, denn es gab ja noch andere Einfallstore die Russland genutzt hat: die heilige Kuh der Ostpolitik, die halbgare Liberalisierung des Energiemarktes, die Gier und die Blindheit in Teilen der deutschen Wirtschaft, der CDU und CSU.
Das ist alles sehr spannend, aber auch sehr komplex und deshalb beugt sich das geneigte Publikum am Ende dann doch lieber über die saftigen Schmankerl, hier: die legendären Herrenabende in der Villa des langjährigen Schröder-Kompagnons Götz von Fromberg, seines Zeichens Rechtsanwalt und Rocker-Verteidiger mit Faible für alles, was nach Geld oder Macht oder Prominenz riecht – sofern es männlich ist.
Nudelsalat und Krökeln
Diese Abende, so will es die Legende, sagen viel über das System Schröder, die Maschsee-, Niedersachsen- und später eben Moskau-Connection. Und deshalb werden mit großer Hingabe immer wieder die gleichen Details kolportiert: Bouillonwürstchen! Nudelsalat! Krökeln! (Immerhin weiß jetzt die ganze Republik wie Tischkickern in Hannover heißt).
Was ich daran ein bisschen seltsam finde: Glaubt wirklich jemand, dass Herrenabende und Männerseilschaften eine Erfindung Schröders sind? Schon klar, in den meisten Golf- und Segelclubs ist sicher die Verpflegung besser, bei Rotariern und Lions Clubs gibt man sich auch noch die Mühe, das Ganze mit Wohltätigkeit zu garnieren, aber Studentenverbindungen?
Oder auf dem Land: Schützenvereine? Ist das nicht irgendwie der gleiche Summs, im Großen wie im Kleinen? Männer saufen miteinander und schustern sich dann Posten und Aufträge zu? Oder geht es hier darum, dass jetzt sogar Proleten mitmachen? Dass die Seilschaften einfach noch nicht so alt und verwittert sind und deshalb unangenehm auffallen?
Geht Politik eigentlich auch ohne? Oder muss man sich zwangsläufig mit ein paar alten Vertrauten umgeben, weil man dieses Geschäft sonst nicht überleben kann? Und wie funktioniert das nun heute, wo fast alle Parteien und Fraktionen diverser werden?
Und nun? Vergeschwisterung beim Spieleabend?
Von politisch bedeutsamen Frauenabenden höre ich selten. „Mädelsabende“ kenne ich aus dem privaten Umfeld, aber die haben oft mehr mit Prosecco und Konsum zu tun als mit Macht, klingen ja auch schon so.
Aber vielleicht haben wir die Phase der billigen Retourkutschen ja auch längst übersprungen. All diese jungen, neuen Kolleg*innen legten ja viel Wert darauf, auch gemeinsam zu feiern und Spaß zu haben, bemerkte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen Volker Bajus (59) bei einer der ersten Pressekonferenzen in dieser Funktion.
Das sei ein bisschen ungewohnt für jemanden wie ihn, der von einer eher protestantischen Arbeitsmoral herkomme. Aber er sei ja lernfähig.
Bitte sehr, es gibt doch Hoffnung und alte weiße Männer, die besser sind als ihr Ruf. Und in 30 Jahren schreiben wir darüber, wie sich die Dings damals in Hannover mit dem X vergeschwisterte, um sich die Republik unter den Nagel zu reißen. Beim Spieleabend! Mit veganen Würstchen! Das wird fein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen