Vom Destillieren daheim: Die sieben Düfte der Brennnessel
Mit einer Destillieranlage kann man Schnaps brennen oder veredeln. Man kann aber auch ohne Alkohol Spaß haben – indem man Aromen zerlegt.
Für gewöhnlich machen sich Menschen vorm Kauf eines Gegenstandes nicht mit den dafür zuständigen Zollvorschriften vertraut. Die sind komplex, trocken und als Lektüre daher nicht sonderlich attraktiv. Und was soll schon passieren?
Attraktiv ist dafür der Gegenstand, um dessen Kauf es hier gehen soll: eine rot schimmernde Schönheit, die von außen ein wenig an einen Samowar erinnert – eine Heimdestillerie. So ein Gerät kauft in der Regel, wer Alkohol herstellen, vulgo: brennen, oder ihn mit Geschmack versehen will. Ersteres ist für Normalsterbliche verboten, das war mir vorher klar. Zweiteres hielt ich für legal.
Und wie könnte eine geschmacklich ziemlich neutrale Flüssigkeit – der ideale Ausgangsstoff ist Wodka – wohl aromatisiert werden? Durch Dinge mit Aroma! Immer eine gute Idee sind Lärchenzapfen, die beinahe das ganze Jahr über pflückbar sind und nach Waldspaziergang schmecken. Will man schnell viel Effekt, eignen sich hingegen Minze oder Verbene besonders gut.
Was auch immer man schließlich nimmt, man füllt es in ein Sieb und hängt dieses in den bronzefarbenen Brennkessel der Destillerie, auf dessen Grund Maische oder Flüssigkeiten erhitzt werden. Beim Erhitzen entsteht Dampf, der steigt nach oben, nimmt dabei die Aromen des Siebinhalts auf, weiter führt sein Weg in ein elegant geschwungene Rohr, wo er sich absetzt und zu Tröpfchen kondensiert. Bis schließlich aus dem anderen Ende des Rohrs, etwa zwanzig Minuten nach der Hitzezufuhr, die erste Flüssigkeit tropft: das Destillat, klar, aromatisch und alkoholgeschwängert.
Noch konzentrierter schafft man das Aroma übrigens ins Endprodukt, wenn man die Kräuter, Zapfen und Blüten nicht nur ins Sieb legt, sondern zusätzlich vorher mehrere Tage in die zu destillierende Flüssigkeit. Mazerieren nennt man das.
Der Zoll hat was dagegen
So geht das bei mir einige Monate, es wird gesammelt, mazeriert, erhitzt und gekostet. Verlassen haben die Destillate meine Wohnung nicht, doch es ist an der Zeit, es zuzugeben: Das war illegal. Was ich erst herausfinde, als ein Fernsehsender anfragt, ob er mich beim Destillieren filmen darf. Logo. Als die Fernsehleute aber wiederholt wissen wollen, ob das Hantieren mit Alkohol in der Destillerie rechtlich wirklich unbedenklich sei, rufe ich beim Zoll an. Heraus kommt: „Nüscht mit Alkohol.“
Die grundlegende Herstellung von Alkohol ist lediglich angemeldeten Destillerien erlaubt; dazu landwirtschaftlichen Betrieben, die etwa im Besitz von Streuobstwiesen sind, aus deren Beständen eine Maische angesetzt und qua Vergärung Alkohol erzeugt werden kann. Für Heimdestillateure meiner Facon gilt ein undramatisches Verbot, da man in einer Einzimmerwohnung ohnehin davon absehen sollte, im großen Stil Dinge zu vergären, die Nachbarn und so.
Ärgerlicher: auch das sogenannte Reinigen von Alkohol ist verboten. „Reinigen“, das ist die Bearbeitung von alkoholischen Endprodukten aus dem Supermarkt – also beispielsweise das erneute Destillieren eines Wodkas.
In den letzten Monaten war es in meinem Umfeld en vogue, den eigenen „Gin“ herzustellen: Wacholder und alle anderen Zutaten – Botanicals genannt – werden dabei in Wodka mazeriert, gefiltert und abgefüllt. Das ist erlaubt. Die ganze Chose nochmals durch die Destillerie zu jagen, hingegen nicht. Aber gut, dann destillieren wir vor der Fernsehkamera eben mit Kräuterwasser. Schade bloß, dass das Thema der Sendung „Hedonismus“ ist.
Zapfen, Blüten, Kräuter, Früchte, Blätter, Pilze, Samen
Nun muss Hedonismus ja nicht zwingend mit Alkohol zu tun haben. Und der Spaß am Sammeln der Botanicals bleibt der gleiche. Zapfen, Blüten, Kräuter, Früchte, Blätter, Pilze, Samen – alles, was riecht, eignet sich zum Destillieren. Am besten lösen sich ihre Aromen in neutralem Alkohol. Ist aber ja verboten. Es bleibt daher nur die Herstellung von Hydrolat, sprich: Pflanzenwasser, bekannt und beliebt aus der Kosmetik und der Hausapotheke.
Und so kommen wir zum erfreulichen, ja, ich würde meinen, gar philosophischen Teil des Destillierens: der Trennung von Stoffen. Denn wer eine Sache ergründen will, der zerlegt sie, egal ob es sich um Autos oder Argumente handelt.
Nun hat jedes Blatt Basilikum, jeder Apfelschnitz, aber auch jeder Döner und jedes Paar Schuhe verschiedene aromatische Schichten. Die nehmen wir zeitgleich wahr, olfaktorisch geschulte Menschen wie Parfumeure können diese Lagen aber definieren und auseinanderhalten. Eine Destillerie tut nichts anderes: Stoffe werden in ihre unterschiedlich flüchtigen Bestandteile zerlegt; auch die Aromenkomponenten werden so aufgeschlüsselt und besser unterscheidbar.
Dabei kommen für gewöhnlich zu Beginn die fruchtigen und süßlichen Aromen aus der Blase geflossen, mit der Zeit wird es dann opulenter und erdiger, gegen Ende mitunter sogar bitter. Immer, wenn ich denke, jetzt könnte es ein wenig anders als vorher schmecken, wechsle ich das Behältnis, welches das Destillat auffängt, sodass ich am Ende um die sieben Schnapsgläser vor mir stehen habe, deren Inhalte alle unterschiedlich schmecken.
Erst minzig-frisch, am Ende wie ein Schwelbrand
Werfen wir testweise etwa mal eine Brennnessel in den Brennkessel. Die schmeckt erst frisch und minzig und macht Mut zu mehr. Doch bereits ab Glas drei bricht sich ein animalischer Geruch Bahn, ein bisschen wie eine nasse Pferdedecke oder Kuhfladen. Im Folgenden beginnt der Kuhfladen mit Kokelaromen zu konkurrieren und beim letzten Glas riecht die Wohnung dann leider für Tage, als hätte man einen Bauernhof abgefackelt.
Aber zum Glück gibt es ja auch Gewächse wie Rosen, Lavendel, Eukalyptus und Ingwer, da wiederum duftet es wochenlang wie Flitterwochen in einer finnischen Sauna. Und auch hier kommt Aroma für Aroma, Tropfen um Tropfen. Destilliert man eine Rose, so bekommt man von der ersten floralen Süße bis zum dornigen Bitter jeden aromatischen Charakterzug von ihr mit: Wer einmal destilliert hat, kennt das Wesen der Dinge. Und plötzlich wird auch klar, weshalb es Essenzen und Öle zu kaufen gibt und warum die so viel kosten.
Unser Autor stand schon als Kind auf Skiern, heute verspürt er wegen des Klimawandels vor allem eines: Skischam. Für die taz am wochenende vom 15. Februar nimmt er Abschied von der Piste und fährt ein letztes Mal. Außerdem: Wer gewinnt die Bürgerschaftswahlen in Hamburg? Auf Wahlkampftour mit den Kandidaten der Grünen und der SPD. Und: Waffel kann auch Döner sein, Obstdöner. Über das heilendste Gericht der Welt. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Zur eigenen Herstellung dergleichen eignen sich beispielsweise Lavendelblüten, Melisse, Orangenblüten oder Pfefferminze, die allesamt heilsame ätherische Öle enthalten. Wer einen sogenannten Ölabscheider besitzt, kann das Öl vom Wasser trennen und bekommt bei zwei Litern Ausgangsflüssigkeit die dramatisch geringe Menge einer Parfümprobe heraus. Wer keinen Ölabscheider besitzt, seiht die einzelnen Fettaugen mit der Pipette von der Blumenwasseroberfläche ab – dann ist es etwa halb so viel. Man muss zwar sehr viel destillieren, um eine kleine Hausapotheke anzulegen, aber es ist möglich.
Letztlich ist Destillieren so etwas wie das aromatische Pendant zum „From Nose to Tail“-Hype, demgemäß jeder Teil eines Tieres verwendet und verzehrt werden soll. Allerdings ist die Destillation die profundere Weise, eine Entität in ihre Bestandteile zu zerlegen, da schlichtweg alles destilliert werden kann. Nicht aus jeder Sache lässt sich eine Leberknödelsuppe herstellen – ein Hydrolat hingegen schon. Wusste auch schon Jean-Baptiste Grenouille aus Grasse auf der Suche nach dem perfekten Duft. Destillieren, das ist die praktische Philosophie der aromatischen Dinge. Mit oder ohne Schnaps.
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