Volkswirt über Erbschaftsteuer: „Geld gewann gegen den Rechtsstaat“
Verfassungswidrige Privilegien bei der Erbschaftsteuer müssten abgeschafft werden. Davon ist Volkswirt Gerhard Schick überzeugt.
taz: Herr Schick, schützt das neue Ampelbündnis die Privilegien der Finanzeliten?
Gerhard Schick: Es sieht stark danach aus. Die Ampel würde – wie die Koalitionen vor ihr – wohl große Rücksicht auf die Interessen sehr wohlhabender Menschen nehmen. Die Steuergerechtigkeit bleibt so auf der Strecke.
Die Schuldenbremse wird nicht angetastet, der Spitzensteuersatz ebenso wenig. Auch soll es keine neuen Substanzsteuern geben. Ist das finanzpolitisch sinnvoll?
Ich habe massive Zweifel, dass diese Gleichung aufgeht. Eigentlich bräuchte der Staat mehr Einnahmen. Wir benötigen mehr Spielraum für staatliche Investitionen in Klimaschutz und die Infrastruktur. Das sieht übrigens auch die Mehrheit der Ökonomen so. Die finanzpolitischen Leitplanken der Ampel sind falsch gesetzt. Aber ob an ein paar Stellen unsinnige Privilegien für Superreiche gestrichen werden, werden erst die Verhandlungen zeigen.
ist promovierter Volkswirt und Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. Sie bekämpft Finanzkriminalität und setzt sich für ein stabiles Finanzsystem ein. Schick legte 2018 sein Bundestagsmandat nieder, um die NGO mitaufzubauen. Davor war er viele Jahre der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion – und wurde für seine Kompetenz parteiübergreifend geschätzt. (us)
Sie werben als Bürgerbewegung Finanzwende für die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Warum?
Es gibt einen Korrekturbedarf, dem sich die Ampel nicht stellt. Gerade Ausnahmen für sehr reiche Menschen, welche die Gesellschaft jedes Jahr Milliarden kosten, müssen endlich abgeschafft werden. Durch die Niedrigzinspolitik der EZB sind die Werte von Aktien und Immobilien wahnsinnig nach oben geschossen. Vermögende haben in den vergangenen Jahren gigantische Gewinne gemacht, ohne etwas dafür zu tun. Diese Gewinne müssen zumindest konsequent besteuert werden. In den USA wird nicht ohne Grund über eine Sondersteuer für Milliardäre diskutiert.
Die Ungleichheit in Deutschland ist hoch. Die obersten 10 Prozent besitzen zwei Drittel des Vermögens, die untere Hälfte besitzt fast nichts. Warum ist das ein Problem?
In Maßen ist Ungleichheit okay, sie gehört zu einer Marktgesellschaft dazu. Aber wenn über Jahre die Geldkonzentration am oberen Rand massiv zunimmt und die Reallöhne zurückgehen, können Menschen am unteren Rand ihre Kredite nicht mehr bedienen. Zu hohe Ungleichheit produziert also Finanzcrashs wie den im Jahr 2008. Außerdem hat es mit Leistungsgerechtigkeit nichts zu tun, wenn Menschen, die Glück bei der Geburtslotterie hatten, mit einem riesigen Startvorteil ins Rennen gehen.
Gibt es noch andere Effekte von Ungleichheit?
Zu hohe Ungleichheit schadet der Demokratie. Das Kräfteverhältnis stimmt dann nicht mehr. Sehr wenige, sehr reiche Menschen können Politik in ihrem Sinne beeinflussen. Das beobachten wir in den USA, wo wenige Milliardäre einen großen Einfluss auf den Ausgang von Wahlen haben. Aber wir sehen solche Effekte auch in Deutschland, etwa bei der Erbschaftsteuer.
Sie meinen die harte Lobbyarbeit von Verbänden gegen eine Erbschaftsteuerreform?
Ja. Die deutsche Politik duldet bei der Erbschaftsteuer seit 2006 einen skandalösen, nämlich verfassungswidrigen Zustand. Schwerreiche Firmenerben werden durch die Rechtslage massiv begünstigt. Wer eine Immobiliengesellschaft mit 3.000 Wohnungen erbt, zahlt weniger Erbschaftsteuer als jemand, der 3 Wohnungen erbt. Karlsruhe hat die Privilegien für reiche Menschen zwei Mal bemängelt, weil sie dem Gleichheitsgrundsatz in der Verfassung widersprechen.
Die Merkel-Regierung hat die Erbschaftsteuer 2016 angepasst. Sie hat damals reagiert, oder?
Aber nicht ausreichend. Die Privilegien sehr reicher Erben sind vom damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble kaum beschnitten worden. Finanzstarken Lobbyverbänden gelang es, die öffentliche Debatte komplett zu drehen. Es stand nicht mehr die Verfassungswidrigkeit der Steuer im Vordergrund, sondern die Sorge um Arbeitsplätze.
Der Verband der Familienunternehmer warnte etwa vor massiven Jobverlusten, wenn Unternehmen in ihrer Substanz besteuert würden. Die Steuer treffe das Betriebsvermögen, lautete das Argument.
Es gibt keinen Beleg dafür, dass durch eine faire Erbschaftsteuer bei einer Firmenübergabe Jobs verloren gehen. In heiklen Fällen wird die Steuerlast für die Erben einfach gestundet. Es war eine völlig faktenfreie Debatte, die mich verstört hat. Ich war damals ja noch Bundestagsabgeordneter der Grünen. Milliardäre waren stärker als das Verfassungsgericht. Das Geld gewann gegen den Rechtsstaat.
Selbst der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann kämpfte 2016 für die Privilegien großer Familienunternehmen. Wie fanden Sie das?
Kretschmann und seine Leute kämpften 2016 eindeutig auf der falschen Seite, auch in Grünen-internen Runden. Deshalb konnten die Grünen in der Debatte nicht kraftvoll aufspielen. Für mich ging dadurch etwas kaputt, auch im Verhältnis zu Teilen meiner Partei. Nicht nur Union und FDP, auch Kretschmann ignorierte die Vorgaben des Verfassungsgerichts, aus Rücksicht auf das große Geld. Wenn aber das Grundgesetz für Politiker keine rote Linie mehr ist, was denn dann?
Wenig später verließen Sie das Parlament, um eine NGO zu gründen. War die Debatte über die Erbschaftsteuer ein Grund für diese Entscheidung?
Sie war nicht der einzige, aber ein Grund, ja. Wenn Sie als Parlamentarier feststellen, dass die Verfassungsgrenze nicht eingehalten wird, dass Sie in einem Bergaufspiel gegen eine finanzkräftige Lobby sind, die völlig faktenfrei behaupten kann, was sie will, dann muss man das Spielfeld erweitern. Wir BürgerInnen müssen etwas tun, um den Rechtsstaat vor der Macht des Geldes zu schützen. Dafür ist eine NGO das richtige Instrument.
Was fordern Sie von der Ampelkoalition?
Die Ampel muss die verfassungswidrigen Ausnahmen für sehr reiche Menschen bei der Erbschaftsteuer abschaffen.
Warum sollte sie? Die FDP hat schon durchgesetzt, dass es keine Steuererhöhungen gibt.
Es geht nicht um eine neue Steuer, es geht um die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit. Keine der drei Parteien kann den momentanen Zustand gegenüber ihrer Klientel rechtfertigen. Die FDP versteht sich als Rechtsstaatspartei, sie hat viele Jahre die Justizminister gestellt. Olaf Scholz’ SPD will die Partei der sozialen Gerechtigkeit sein und nicht die Partei des großen Geldes. Und die Grünen verweisen an anderer Stelle immer gerne auf Urteile des Verfassungsgerichts, etwa beim Klimaschutz.
Ist das realistisch? SPD-Chef Walter-Borjans hat nach den Sondierungen eine Reform der Erbschaftsteuer gefordert, wurde aber zurückgepfiffen – auch von führenden Grünen.
Wenn Milliardäre bereit sind, ihr Geld für verfassungswidrige Privilegien einzusetzen, legen sie die Axt an den Rechtsstaat. Ein neuer Finanzminister, der seinen Amtseid ernst nimmt, darf die so entstandene Situation nicht akzeptieren. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
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