Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral: Mehr auf die soziale Frage achten!
Umfragen ergeben: Der Klima-Volksentscheid scheiterte wohl nicht nur am Quorum. Teilnehmer eines Podiums fordern breitere Bündnisse für die Zukunft.
Ein weiteres Ergebnis, das die Organisationen diese Woche im Haus der Demokratie vorstellte: Für den größten Teil der Befragten steht der Klimaschutz selbst nicht zur Debatte – es ging ihnen tatsächlich um die konkrete Frage, ob das Land per Gesetz verpflichtet werden sollte, sein Klimaneutralitätsziel um ganze 15 Jahre vorzuziehen. Von den an der Umfrage Beteiligten, die sich im März „enthalten“ hatten, indem sie zu Hause blieben, sagten 80 Prozent, sie seien grundsätzlich für mehr Anstrengungen beim Klimaschutz. Dasselbe gilt immerhin noch für 67 Prozent derer, die mit Nein stimmten.
Der beim Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ zur Abstimmung gestellte Gesetzentwurf hatte Ende März den Gefallen einer schmalen Mehrheit von 50,9 Prozent gefunden (Nein: 48,7 Prozent). In Kraft treten konnte er dennoch nicht, weil das notwendige Quorum einer Mindestzustimmung von 25 Prozent der BerlinerInnen deutlich verfehlt wurde. Sprich: Statt mindestens 607.518 Ja-Stimmen erhielt der Entwurf lediglich 442.210.
Im Vorfeld der Abstimmung hatte es heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob die zeitliche Trennung des Volksentscheids von der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus einen Erfolg verhindern würde. Dagegen sprachen schon vor den nun veröffentlichten Zahlen die Ergebnisse vom 12. Februar: Damals gelang der CDU der Sprung zurück an die Spitze, das konservative bzw. klimaskeptische Lager insgesamt konnte 42 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Aber auch in den Reihen der damals noch regierenden rot-grün-roten Koalition war das Ziel von „Berlin 2030 klimaneutral“ alles andere als unumstritten.
Eine andere Dynamik
Bei der auf die Präsentation der Zahlen folgenden Podiumsdiskussion im Haus der Demokratie meldete Oliver Wiedmann, Berliner Büroleiter von Mehr Demokratie e.V., gewisse Zweifel an dieser Theorie an: Zwar legten die Ergebnisse vom Februar das nahe, aber bei einem kombinierten Wahlkampf wäre „die Dynamik eine ganz andere gewesen. Insofern wissen wir es nicht genau.“ Wiedmann warb für ein Ende der Mindestbeteiligung bei Volksentscheiden: „In Bundesländern wie Bayern und Sachsen, die kein Quorum haben, sind die Beteiligungen am höchsten – denn da kommt es dann drauf an.“
Christoph Bautz von der Petitionsplattform Campact äußerte deutliche Kritik an der Strategie der InitiatorInnen des Volksentscheids: Das Ganze in dieser Form zu starten, sei „nicht geschickt“ gewesen: Die notwendigen Maßnahmen in nur sieben Jahren durchzuführen, sei „nicht realistisch“ gewesen, auch habe die Initiative auf keinen entsprechenden Plan verweisen können. „Und dann hatten viele Leute Angst, dass sie sich die Folgen nicht leisten könnten.“ Dass Angst den Diskurs bestimmt habe, sei auch an den Grünen nicht spurlos vorübergegangen – die reihten sich bekanntlich erst sehr spät und zögerlich ins Ja-Lager ein.
Bautz betonte, es sei wichtig, von Anfang an breite Bündnisse zu schmieden. Andere Initiativen hätten es geschafft, Gewerkschaften, Sozialverbände oder andere gesellschaftliche Akteure ins Boot zu holen, die dann „mit ihrem jeweiligen Milieu gesprochen haben“. Bei Campact habe man sich ein anderes Zieljahr gewünscht, etwa 2035: „Das wäre realistischer gewesen, da hätte man dann auch die Umweltverbände, die Grünen und die Linke stärker dabeigehabt.“
Ein späteres Ziel für die Erreichung der Klimaneutralität sei aber genau deshalb nicht möglich gewesen, sagte Michaela Zimmermann, Sprecherin der Initiative Klimaneustart Berlin, die den Volksentscheid ins Leben gerufen hat: „Das war ja das Ergebnis von Debatten, die wir geführt haben. Fridays for Future haben gesagt: Unter 2030 unterstützen wir euch nicht.“
Ein noch späteres Zieljahr wie 2040 habe man dagegen nie in Betracht gezogen – auch wenn laut den nun vorgestellten Umfragen sich dann 32 Prozent der mit Nein Stimmenden auf die Ja-Seite geschlagen hätten. Das widerspreche einfach den wissenschaftlichen Erkenntnissen, so Zimmermann: „Dafür wären wir nicht zwei Jahre auf die Straße gegangen.“ Man habe im Übrigen auch um die Unterstützung von Sportverbänden oder Mietervereinen geworben, aber dafür hätten oft die Ressourcen nicht gereicht: „Um das zu vermitteln, muss man lange Klinken putzen. Die haben oft gesagt: Das ist nicht unser Thema.“
Zu abstrakte Ziele
Die Zeit-Journalistin Vanessa Vu hatte nach dem verlorenen Volksentscheid mit vielen Menschen in den äußeren Stadtteilen gesprochen, wo das „Nein“ dominierte. Sie berichtete, auch dort befürworteten viele grundsätzlich mehr Klimaschutz. Die Ziele des Entscheids seien aber in Teilen zu abstrakt geblieben, gleichzeitig hätten viele das Projekt mit der „Letzten Generation“ gleichgesetzt: „Es gab da die Wahrnehmung, dass Klimaschutz eine ideologische, aktivistische Sache sei“, und gleichzeitig den Wunsch, dass das Problem „technokratisch und nüchtern“ behandelt werde.
Das war wiederum ein Stichwort für Campact-Mann Christoph Bautz: Er finde das Engagement und die praktizierte Gewaltfreiheit der „Letzten Generation“ zwar beeindruckend. „Aber wenn ich auf der Straße sitze und Menschen blockiere, rein vom Bild her also sage: ‚Du bist schuld‘, dann treibt das die Polarisierung voran. Man klebt sich vor die Leute, die dann mit Nein stimmen.“ In die Zukunft gerichtet lautete Bautz’ Forderung, die Bewegung solle ihre Aktionen stattdessen stärker gegen das reichste Prozent der Gesellschaft und die Politik richten: „Wir müssen bei allem auch immer die soziale Frage stellen.“
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