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Vogelwartin übers Alleinsein„Einmal bin ich hochgeschreckt“

Anne de Walmont hat sieben Monate auf der Insel Trischen mitten im Wattenmeer Vögel gezählt und dabei kaum eine Menschenseele zu Gesicht bekommen.

Kein Mensch weit und breit: die Hütte des Vogelwarts auf der Insel Trischen Foto: Moritz Mercker/dpa
Gernot Knödler
Interview von Gernot Knödler

taz: Frau de Walmont, wie kann man sich darauf freuen, ein halbes Jahr lang keinen Menschen zu sehen?

Anne de Walmont: Ich finde, dass es sehr leicht ist, sich darauf zu freuen. Viele Menschen in der Stadt sind ständig im Stress. Es ist trubelig, es gibt unglaublich viele Einflüsse, viele Menschen. Zu wissen, dass man sich dem für eine gewisse Zeit entziehen kann, finde ich verlockend.

Sie hätten aber auch den Horror Vacui bekommen können, gerade weil Sie es als Schneiderin gewöhnt waren, dauernd mit Leuten konfrontiert zu sein.

Das wurde ich im Vorfeld oft gefragt. Ich habe mich da aber nicht gesorgt, weil ich mir sicher war, dass ich so etwas sehr gut kann: völlig raus zu sein und mit mir selbst zurechtzukommen. Das ist vielleicht nicht jedermenschs Sache. Für mich war das jedenfalls genau das Richtige.

Haben Sie sich psychologisch auf Ihren Au­fenthalt vorbereitet?

Eigentlich nicht. Ich war im Vorfeld sehr viel mit der fachlichen Vorbereitung beschäftigt: Mir noch ein paar Kenntnisse anzueignen, war wichtig, sodass ich im Kopf sehr darauf fixiert war. So waren dann auch die ersten Tage auf der Insel: Dass ich mich erst mal in meine Aufgaben einarbeiten musste. Das Runterfahren hat ein bisschen gedauert.

Im Interview: Anne de Walmont

31, arbeitet als selbstständige Damenschneiderin in Bremen. Im Rahmen eines FÖJ hat sie schon auf Pellworm ein Jahr lang Tiere beobachtet

Was haben Sie gemerkt nach den paar Tagen?

Mein Kopf war freier. Ich konnte vor der Hütte sitzen, in die Ferne gucken und nichts weiter tun und denken. In der Stadt war das für mich überhaupt nicht möglich: Egal, wo ich hinguckte, habe ich Dinge gesehen, die entweder schnell an mir vorbeirasten oder die Gedanken ausgelöst haben, sodass ich ständig beschäftigt war im Kopf. Das konnte ich nach einigen Tagen ablegen. Es war sehr schön.

Ist denn gar niemand vorbeigekommen in der ganzen Zeit?

Doch, denn auf Trischen gibt es kein Trinkwasser. Ich brauchte auch ab und zu Lebensmittel. Deswegen kam der Inselversorger Axel Rohwedder mit seinem kleinen Motorboot einmal die Woche vorbei, wenn es Wind und Wetter zuließen, und hat mir Trinkwasser in Kanistern und Lebensmittel gebracht, die ich dann über den Strand gezogen habe. Von Zeit zu Zeit kamen auch Fachleute vorbei, um mit mir zusammen Beringungen und Kartierungen vorzunehmen. Ich habe auch nur selten telefoniert. Mein privates Handy hatte dort keinen Empfang und die Nummer des Diensthandys habe ich nur an sehr wenige Menschen rausgegeben.

Sie haben einen Blog gemacht, auf den es auch Reaktionen gab. Wie wichtig war das?

Das war super. Ich habe nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen den Blog lesen und nett kommentieren. Das gab mir den Ansporn, immer wieder neue Beiträge einzustellen. Gleichzeitig war es ein bisschen skurril: Ich war da ganz alleine, wusste aber, die Öffentlichkeit kriegt über den Blog und Zeitungsartikel teilweise genau mit, was ich da mache.

War das auch ein Zeitvertreib?

Als solchen würde ich das nicht bezeichnen, sondern als eine von vielen Aufgaben, die ich hatte. Es war nicht so, dass die große Langeweile ausgebrochen wäre. Es gab immer etwas zu tun, aber ich konnte eben alles sehr in Ruhe machen.

Wie sah so ein Tag aus auf Trischen?

Je nachdem, was Wind und Wetter und die Vögel so wollten. In der Regel bin ich mit der Sonne aufgestanden, habe ich mir schnell einen Kaffee gekocht und mich dann zwei Stunden vor die Hütte gesetzt und alles notiert, was über die Insel zog. Das waren meine Lieblingsstunden. Danach gab's Frühstück und das, was so anstand. Mal wurden die Salzwiesen kartiert oder die Brutvögel. Mal gab es große Springtiden-Zählungen, bei denen alle Vögel der Insel erfasst wurden. Mal hab' ich einfach so beobachtet und dabei Seehunde gesehen. Manchmal musste ich eine Aufgabe verschieben, weil Sturm war.

Hat sich Ihre Beziehung zu den Tieren verändert?

Ich habe angefangen, mit den Vögeln zu reden. Wenn mein erster Blick morgens aus dem Fenster auf einen Fitis traf und am Vormorgen hatte da auch ein Fitis gesessen, habe ich laut gedacht: Ach, guten Morgen, schön, dass du auch wieder da bist! Die Vögel waren mir näher, einfach weil ich sie rund um die Uhr beobachtet habe – auch wenn es immer andere Vögel waren.

Haben Sie sich trotzdem auch mal richtig einsam gefühlt?

Nö. Ich war halt alleine, aber ich war nicht einsam, weil ich ja wusste: Das sind sieben Monate; das ist für mich eine Auszeit, die mit einer sehr guten, sinnvollen Arbeit verbunden ist. Ich wusste, nach sieben Monaten komme ich zurück und die Menschen, die ich vorher um mich hatte, werden wieder da sein und mich genauso gut wieder aufnehmen.

Gleichwohl mussten Sie, mit allem, was da passierte, alleine zurechtkommen.

Ja, aber ich wusste auch immer, dass ich Menschen im Notfall telefonisch erreichen kann. Axel Rohwedder, der Inselversorger, hatte immer ein offenes Ohr, wenn irgendwas war. Natürlich musste ich mir in bestimmten Situationen überlegen: Wie gehe ich damit um, weil ich niemanden neben mir hatte, mit dem ich mich hätte beraten können oder der hätte mit anpacken können. Aber dafür finden sich immer Lösungen.

Hatten Sie auch mal Angst?

Angst nicht. Ich bin auch im Dunkeln am Strand lang gelaufen. Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Einmal bin ich morgens hochgeschreckt, weil ich ein ungewohntes Geräusch hörte. Man kennt irgendwann alle Geräusche auf der Insel. Ich schreckte hoch und war mir sicher: Es hat jemand an die Hüttentür geklopft. Ich war unglaublich nervös, schaute aus dem Fenster, das in der Tür ist, und sah einen kleinen Vogel, der mit voller Wucht dagegen geflogen ist.

Die Insel liegt mitten im Wattenmeer nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Haben Sie eine Sturmflut erlebt?

Ein paar Mal hatte ich Land unter. Das war schon ganz beeindruckend. Ich hab mir natürlich vorher die Wasserstandsvorhersage angeschaut und musste entsprechende Vorkehrungen treffen, weil ein paar Sachen unten auf der Salzwiese standen. Die mussten eine Etage höher. Meistens sind Sturmfluten mit starkem Westwind verbunden. Dann tobt westlich der Düne das Meer und nach und nach schiebt sich immer mehr Wasser auf die Insel. Irgendwann ragen nur noch die Hütte und die Dünenkette heraus. Auf der Ostseite ist das Wasser aber fast glatt, weil es durch die Dünen geschützt wird. Land unter war also nicht so spektakulär, wie ich mir das vorgestellt hatte.

Kamen Sie sich nicht verloren vor, so ganz alleine auf dem Meer?

Ich fand das vor allem beeindruckend. Die Vorstellung, mit der Hütte quasi über dem Meer zu schweben, ist ein gutes Gefühl und aufregend. Meistens war das auch verbunden mit Sonnenschein und das war unglaublich schön.

Wonach hatten Sie Sehnsucht?

Manchmal nach einem Eiskaffee mit Vanilleeis. Ansonsten fand ich es gut, festzustellen, mit wie wenigen Dingen man auskommt und wie seltsam es ist, in was für einem Überfluss wir leben.

War es schwierig zurückzukommen?

Darüber habe ich mir viele Gedanken gemacht. Ich habe mich gefreut auf alles, was da eventuell kommen würde, war aber auch nervös, wie das sein würde, wieder in der Stadt zu sein. Ich kam an und war anderthalb Tage noch auf dem Dorf, weil ich fand, eine langsame Eingewöhnung wäre ganz gut. Dann bin ich in die Stadt gefahren und es waren gleich ganz viele Menschen um mich. Es war laut, es waren viele Autos unterwegs. Das war sehr schnell wieder sehr normal. Allerdings sind mir ein paar Sachen aufgefallen, die vorher untergegangen sind, etwa, dass es in Bremen ganz schön stinkt. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich möchte gar nicht tief einatmen. Unterm Strich war ich erstaunt, wie wenig Probleme ich hatte, mich wieder einzugewöhnen.

Gab es ein Moment der Entfremdung mit Freunden und Bekannten?

Nee. Ich war sofort auf einem Geburtstagswochenende und hab da unglaublich viele Leute getroffen und meinte mehrmals an diesen Tagen: Das ist ja verrückt, ich hab das Gefühl, ich war gar nicht weg. Als hätten wir einfach da angeknüpft, wo wir aufgehört haben. Die Insel war auch gar nicht Thema, sondern wir haben über Sachen gesprochen, über die wir sieben Monate vorher auch gesprochen hatten.

Nicht alle, die allein sind, fühlen sich einsam. Umgekehrt kann sich einsam fühlen, wer mitten unter Menschen ist. Mehr über die Grenzbereiche eines oft verleugneten Gefühls lesen Sie in der taz am Wochenende oder im eKiosk.

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