Vogelbestand in Niedersachsen und Bremen: Manche Vögel sind noch da
Wer in Niedersachsen Vögel beobachten will, hat es zunehmend schwer: Die Bestände schwinden drastisch. Die „Rote Liste der Brutvögel“ ist alarmierend.
„Erschreckende Ergebnisse“ hatte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) zu den 212 in Niedersachsen brütenden Arten mitzuteilen: 43 Prozent aller Arten fallen in die Gefährdungskategorien der Roten Liste, weitere 14 Prozent stehen auf der Vorwarnliste.
Von einem „ungeheuren Aderlass an heimischer Biodiversität“ spricht Diplom-Biologe Thorsten Krüger von der Staatlichen Vogelschutzwarte im NLWKN, Mitautor der Studie. „Das Verschwinden von Arten und der Rückgang der Individuenzahlen in unserer Landschaft haben eine neue Dimension erreicht.“
Die Studie spiegelt den Stand von 2021 und mahnt, es sei „noch nie zuvor bei einem so großen Anteil heimischer Brutvogelarten ein negativer Bestandstrend innerhalb der letzten 24 Jahre festzustellen“ gewesen. 15 der 212 Arten seien ausgestorben oder „verschollen“, 36 vom Aussterben bedroht, elf stark gefährdet, 22 gefährdet, acht extrem selten geworden. 30 stehen auf der Vorwarnliste.
Intensive Landwirtschaft großes Problem
Das sei besorgniserregend, resümiert die Studie. Die Ursachen seien „allenthalben bekannt“, Wege aus der Krise „umfangreich dargelegt“. Es gebe indes „erhebliche Defizite“ in der Anwendung zur Verfügung stehender Instrumente.
Besonders gravierendes Beispiel: das landwirtschaftliche Offenland. 15 von 20 primär hier siedelnden Arten sind gefährdet oder bereits ausgestorben, drei weitere stehen auf der Vorwarnliste – ein Resultat intensivierter Landnutzung durch die Agrarwirtschaft, die Lebensräume verändert und zerstört, Nahrungsangebote verringert, die Landschaft mehr und mehr von allem leerräumt, was keinen Profit bringt.
Die Rote Liste zeige den „Handlungsdruck“, sagt Lies. Und dann zählt er auf, dass es ja besser wird. Eine „ganz wichtige Säule, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken“, sieht er im niedersächsischen Weg, einer Vereinbarung zwischen Landesregierung, Landvolk, der Landwirtschaftskammer und Natur- und Umweltverbänden, den Natur- und Artenschutz zu fördern und sorgsam mit der „Ressource Landschaft“ umzugehen. Das werde „auch den Vogelschutz konsequent wie noch nie angehen“.
Auch das von der EU geförderte Projekt „GrassBird Habitats“ führt er an. Außerdem brauche Vogelschutz „internationale Antworten“.
Naturschutzbund widerspricht Umweltminister
Der Naturschutzbund (Nabu) Niedersachsen sieht die Lage weniger optimistisch. „Aus unserer Sicht ist derzeit keine Trendumkehr zu erwarten“, sagt Nabu-Sprecher Matthias Freter. „Dazu benötigt es Änderungen in der Gesetzgebung. Erst wenn konsequent Maßnahmen beschlossen werden, die dem Vogelschwund entgegenwirken, wäre eine Besserung in Sicht.“
Vögel sterben an Autoscheiben, durch die Jagd, durch Flächenversiegelung. Manchmal werden sie aber auch durch Gutes gefährdet. Ein Problem: Windkraftanlagen, die Vögel schreddern. Ein anderes: Baumaßnahmen für die energetische Gebäudesanierung. Dabei würden „häufig aus Unkenntnis wichtige Brut- und Ruheplätze für gefährdete Tierarten zerstört“, sagt Freter.
Und dann ist da noch Agrarminister Cem Özdemir (Grüne), der den Landwirten Flächen wieder freigibt, die dem Schutz von Biodiversität und Böden hätten dienen sollen. Eigentlich hätten sich vier Prozent der Anbauflächen ab 2023 erholen sollen. Das ist jetzt hinfällig, wegen des Ukraine-Krieges. Die Entscheidung „schadet auch hier Insekten und damit den Vogelbeständen zusätzlich“, sagt Freter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus