Völkermord Ruanda: Afrikas dreißigjähriger Krieg
Im Völkermord an Ruandas Tutsi starben 1994 eine Million Menschen. Heute trägt eine neue Generation den alten Konflikt grenzüberschreitend aus.
E in Tag im Krieg kann sich, selbst erlitten, wie eine Ewigkeit anfühlen. Jahrzehnte Krieg können gedanklich vorbeigehen wie im Flug. Im Osten der Demokratischen Republik Kongo fliehen Millionen vor Kämpfen zwischen Kongos Armee und der von Ruanda unterstützten Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März), ihr tägliches Überleben ist nicht gewährleistet, und es werden immer mehr.
Und zugleich sind die Elendslager am Rand der Provinzhauptstadt Goma direkt an Ruandas Grenze Teil eines alten Konflikts mit Millionen Toten, der sich in diesen Tagen erneut gefährlich zuspitzt. Am 7. April jährt sich in Ruanda der Beginn des Völkermords an den Tutsi zum 30. Mal. Die Erwartung einer Neuauflage war lange nicht so hoch wie heute.
Allein am 22. und 23. März war in Dialogen zwischen Kongolesen auf der Plattform X zur Frage, wie Kongo zum Frieden finden könnte, unter anderem zu lesen: „Frieden heißt, die M23 zu bekämpfen und dann nach Kigali zu gehen, um das Krebsgeschwür Kagame unschädlich zu machen.“ „Wir müssen kämpfen, bis es in Ruanda zwölf Millionen Tote gibt.“ „Der Krieg wird lange dauern, aber Ruanda wird früher verschwinden als Kongo.“ „Die Israeliten warteten über 40 Jahre unter ägyptischer Herrschaft, auch die Hutu werden wieder die Oberhand gewinnen.“ „Bereitet eure Grabstätten vor.“
Vermutlich waren viele dieser Schreiber noch nicht geboren, als radikale Hutu-Generäle in Ruanda 1994 zur Tat schritten, um die Tutsi des Landes auszurotten. Um eine ausgehandelte Machtteilung mit der tutsi-geführten Rebellenarmee RPF (Ruandische Patriotische Front) zu sabotieren, putschten sie in Kigali gegen Präsident Juvénal Habyarimana. Sie töteten ihn und ihre anderen Gegner; zu Zehntausenden wurden in Häusern, an Straßensperren oder an Fluchtorten Tutsi niedergemetzelt von der Präsidialgarde, der Armee und paramilitärischen Milizen der Hutu-Jugend namens Interahamwe.
Kollektives Töten, als Aufräumen inszeniert
Das Töten wurde inszeniert als kollektives Aufräumen, bei dem die braven Hutu das Land von den bösen Tutsi säubern, von Ungeziefer und Unkraut. Nach nur wenigen Wochen waren Hunderttausende Tutsi tot. Bis die RPF unter Führung des heutigen Präsidenten Paul Kagame das Morden stoppte und die Täter verjagte, waren es eine Million.
Unter dem Schutz französischer Eingreiftruppen zogen sich Ruandas Völkermordgeneräle in das benachbarte Kongo zurück, das damals noch Zaire hieß. Mehrfach hat Ruanda dort gegen sie eingegriffen, aber bis heute sind Reste der einstigen Völkermordarmee unter dem Namen FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) im Ostkongo präsent, geduldet vom kongolesischen Staat, und träumen von der Rückeroberung Ruandas.
Das ist längst auch ein kongolesischer Konflikt, denn auch in Kongo gibt es ruandischsprachige Bevölkerungen, geteilt in Hutu und Tutsi. Kongos Tutsi trauen Kongos Staat nicht, da dieser sich mit Ruandas Völkermordtätern verbündet hat, und unterhalten eigene bewaffnete Gruppen. Kongos Staat traut Ruandas Staat nicht, da dieser kongolesische Tutsi-Rebellen unterstützt, und rüstet gegen Ruanda auf. Ruandas Staat traut Kongos Staat nicht, da dieser die flüchtigen ruandischen Völkermordtäter unterstützt, und unterstützt die kongolesischen Tutsi-Kämpfer.
Aktuell verlieren alle Akteure in diesem ewigen Teufelskreis die Geduld. Kongos Tutsi-Rebellen halten die Grenzmetropole Goma umzingelt und verstärken den militärischen Druck. In den Elendslagern rundherum bilden sich Milizen unter dem Namen Wazalendo (Patrioten) als paramilitärische Hilfstruppe gegen die M23.
Aufgeputschte Jugendtruppen, damals wie heute
Kongos Wazalendo von 2024 sind strukturell identisch mit Ruandas Interahamwe von 1994: aufgeputschte und leicht manipulierbare Jugendtruppen, die die Tutsi zum kollektiven Feind erklären und von offizieller Seite ermutigt und aufgerüstet werden. Das „patriotische“ Lager der DR Kongo will nicht nur Kongos Tutsi auslöschen, sondern auch Ruanda erobern, dessen Präsident Kagame als Urheber allen kongolesischen Übels gebrandmarkt wird.
Das ist in der DR Kongo zunehmend Mainstream. Quer durch alle politischen Lager wurde im Wahlkampf 2023 Härte gegen Ruanda gefordert. Die Wazalendo erklärten offiziell ihre Unterstützung für Kongos Präsidenten Felix Tshisekedi, und er rief im Wahlkampf zum Krieg gegen Ruanda auf. Nach seiner Wiederwahl will er davon nichts mehr wissen, aber er sollte nicht davon ausgehen, dass seine Unterstützer ihn nicht beim Wort nehmen.
Der Druck von außen ist groß
Sollte Tshisekedi jetzt doch noch in Richtung Verhandlungen einschwenken, und der regionale Druck in diese Richtung ist groß, könnte ihm die Kontrolle entgleiten. Dann droht ihm ein ähnliches Schicksal wie Habyarimana vor 30 Jahren, die Extremisten könnten sich verselbständigen und der Krieg überschwappen.
Die regionale Dimension erzeugt zusätzliche Brisanz. Im Nachbarland Burundi regieren ehemalige Hutu-Rebellen, die einst gemeinsam mit ruandischen Hutu-Milizen in Kongos Wäldern standen. Burundis Präsident Évariste Ndayishimiye traf im Januar in Kinshasa Wazalendo-Führer und rief zum Regimewechsel in Ruanda auf; Burundi könnte zum Sprungbrett für Kongos Krieg gegen Ruanda werden.
In Ruandas nördlichem Nachbarland Uganda hat Präsident Yoweri Museveni, der einst die Gründung der RPF in Uganda ermöglichte, soeben seinen Sohn Muhoozi Kainerugaba zum Armeechef ernannt, der sich öffentlich als Beschützer der Tutsi präsentiert.
Der Jahrestag des Völkermords in Ruanda ist dieses Jahr mehr als ein Gedenktag. Er findet in einem Klima der Mobilisierung statt, die auf allen Seiten umso leichter fällt, als die junge Generation von heute den Horror von 1994 nicht selbst miterlebt hat. „Die Gräber sind noch nicht voll“, lautete 1994 ein viel zitierter Mobilisierungsspruch, der die Hutu-Milizen zum Töten anspornen sollte. 2024 stehen wieder Totengräber bereit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag