piwik no script img

Visual Poem im Theater BremenVerbundensein ist fast ein Witz

Regisseur Alexander Giesche verwandelt Kae Tempests Essay „On Connection“ in ein Visual Poem. Als Solo auf großer Bühne entwickelt es echte Magie.

Nadine Geyersbach performt auf der leeren Bühne. Percussionist Paul Amereller begleitet sie diskret Foto: Foto: Eike Walkenhorst / Theater Bremen

Es plätschert. Und das reicht ja schon, um Bilder ins Bewusstsein zu rufen: Ein Mythos braucht nicht viele Requisiten. Eine Quelle, unbestimmte Ränder und ein Spiegel – das genügt, um die Erz-Erzählung von Narziss zu wecken. Selbst in Köpfen, die davon nichts wissen, die diese Ur-Szene der Selbsterkenntnis nicht zu kennen glauben: Sie ist ja immer mitgelieferter Ballast noch der kulturfernsten Bildungsbiografie.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Im Bremer Theater am Goetheplatz fällt hinten auf der großen, fast leeren Bühne, an der Schwelle zum Lointain, ein Strahl klaren Wassers aus dem Schnürboden. Schon beim Reinkommen zur Uraufführung von Regisseur Alexander Giesches Visual Poem „Verbundensein“ am vergangenen Samstag plätschert es. Schon vor dem Anfang hat es angefangen.

Und neben dem helltönenden Quell steht eine Spiegelwand, in der die Zuschauerschaft sich selbst sieht; aus den ersten Reihen noch, mit etwas Mühe, jeder Einzelne als sein eigenes Gesicht, weiter hinten dagegen nur als andersheller Fleck in dieser in den Raum gestaffelten Masse, in die er sich aufgelöst hat, das Publikum halt. Ein Wir?

Giesches Inszenierung reagiert auf Spoken-Words-Poet Kae Tempests im ersten Corona-Lockdown geschriebenes und publiziertes Büchlein „On Connection“. Persönlich stammt der Essay zugleich aus einer Phase tiefgreifender Änderung.

Sich mit der Dohle identifizieren

Er zeugt nämlich auch vom Lebensereignis der Transition von Kate zu Kae, von einer Frau, die sich falsch in ihrem Körper weiß, in einen nonbinären Menschen, der sich mit der altenglischen Bedeutung seines neuen Namens identifiziert: Eichelhäher oder Dohle. „Ovid sagt, die Dohle hat den Regen gebracht“, heißt es in their Kommuniqué, den der Guardian im Sommer 2020 abgedruckt hat.

Tatsächlich wirkt auch der Essay „On Connection“ in seinen autobiografischen Fragmenten am berührendsten. In ihnen sind Ängste spürbar, wird das Unglück des Körpers benannt, ein Ringen um die Person, die Ich sagt, bestimmt den Rhythmus. Die diskursiven Passagen bleiben ohne diesen Hintergrund schwach. Gedanklich sinken sie mitunter auf Ratgeberniveau herab. Vor allem, wenn Tempest die erste Person Plural benutzt.

Das We verleiht dem Text dann eine autoritär-pastorale Geste, einen Verkündigungston: „Um unser Gleichgewicht wiederzuerlangen“, heißt es da (als hätte es je so etwas wie ein Gleichgewicht gegeben), müssten wir die Fähigkeit wiedererlangen „to go deep, to ‚turn away from outer things‘. To face what is in ourselves“.

Hätte Giesche diese raunende Aufforderung, „sich dem zu stellen, was in uns ist“, hier unmittelbar in Szene gesetzt? Mindestens wirkt es so, und gerade dank einer so lapidaren, fast schon banalen Bildgebung, die es mehrere Minuten lang ohne jede Aktion, ohne Auftritt, ohne Musik, ohne Lichtwechsel auszuhalten gilt, vermag der Text, wenn er dann später auf die Bühne kommt, sein Pathos zu überwinden.

Er wird also ironisiert, aber romantisch, und nicht im zerstörerischen Spott verlacht. Er bleibt in der Schwebe, umwallt von Bühnennebeln. Er glänzt, er irisiert. Poetisch.

Das gelingt und wird sehenswert vor allem, weil Schauspielerin Nadine Geyersbach ihn verkörpert. Nur vom diskreten Schlagzeug Paul Amerellers unterstützt, muss sie den zweistündigen Abend als Solo bestreiten.

Ganz allein, nur durch die eigene Präsenz, durchs Agieren, Rennen, Hin-und-Her-Tigern gelingt es Nadine Geyersbach, die 320 Quadratmeter Bühnenfläche im Großen Haus zu einer intimen Sphäre zu komprimieren. ie verdichtet sie zu ihrem Raum. Und durch sie hindurch scheint die Person Kae Tempest, ohne dass sie deren Rolle zu spielen vorgibt.

Die Aufführung

Verbundensein. Visual Poem von Alexander Giesche nach Kae Tempest. Wieder am 10. und 13. 5. sowie am 3., 9. und 24. 6., jeweils 19.30 Uhr. Theater Bremen, Großes Haus

Ein Visual Poem unterscheidet sich markant von herkömmlichen Bühnenfassungen einer erzählerischen Vorlage. Deren Qualität ist nicht entscheidend. Wichtig ist, dass sie ein szenisch-theatrales Denken und Nachdenken befeuert.

Giesche hat das Genre erfunden und 2012 bis 2014 in seiner Zeit als Artist in Residence am Theater Bremen entwickelt, um es später dann an den Münchner Kammerspielen und als Hausregisseur im Schauspielhaus Zürich zu perfektionieren. Zuvor noch in Studio- und auf Raumbühnen experimentierend, hat er in der Schweiz damit den staatstheatralen Guckkasten erobert.

Größter Erfolg war 2020 „Der Mensch erscheint im Holozän“, eine Arbeit, die ihre Motive in Max Frischs gleichnamiger Erzählung gefunden hatte: ein echtes Bühnenereignis trotz Corona, das zum Berliner Theatertreffen eingeladen, als Schweizer Theaterproduktion des Jahres ausgezeichnet sowie mit dem 3sat- und dem Nestroy-Preis geehrt wurde.

Seither hat sich etwas geändert: Giesche gestaltet mittlerweile mit Anka Bernstetter zusammen seine Theaterräume, auch den der „Verbundensein“-Produktion. Die vorherigen Visual Poems waren optisch stark durch Bühnenbildnerin Nadia Fistarols geradezu überwältigend sinnliche Bildsprache geprägt.

Giesches neue Vorstellung vom Raum erweist sich dagegen als karg und abstrakt: Ein Podest fürs Schlagzeug, rechts, in der Mitte steht ein vielleicht 30 Zentimeter hoher Beleuchtungsroboter, dessen Wendigkeit ausprobiert wird. In unterkühltem Licht muss Geyersbach als Vor-Leserin langer Passagen des Essays auftreten. Sie muss, mit Hulk-Händen, seine Gewalt und im Kuschel-Hoodie seine Unsicherheit performen, seine poetischen Aufschwünge und den Gedankenflug ausagieren.

Hängend an einer kreisenden Scheinwerfer-Traverse fährt sie Karussell mit dem Text, scheint ihm Schwerelosigkeit zu verleihen, scheint sie aus ihm zu beziehen, hebt ab, macht Sätze, als wäre sie auf dem Mond.

Bildgewaltig ist das an keiner Stelle, weil die Herstellung der Szene selbst zum Thema gemacht wird und in der Realisierung transparent bleibt. Ihrer Entstehung wird Zeit gegeben, manchmal quälend viel Zeit, sodass ein Empfinden dafür wächst, gemeinsam auf das nächste Bühnenereignis zu warten, das sich so lange schon ankündigt. Zum Beispiel: Umständlich nestelt Geyersbach an den Karabinerhaken herum, mit denen sie sich mit der Scheinwerferaufhängung verbindet, bevor sie mit wirklich ihr herumfliegt: Safety first!

Oder: Nach und nach entschwebt Amereller in seinem Schlagzeugdeck auf einem Podest in den Bühnenhimmel, bis er wirklich, den Blicken entzogen, nur noch akustisch wahrnehmbar ist. Oder: Geyersbach schmiert ein Ständermikrofon erst mit Brennpaste aus einem Blecheimer ein. Dann wird dieser scheppernd und unter Dank dem Technik-Team zurückgegeben. Ein Feuerzeug wird erbeten.

Brennendes Mikro

Schließlich zündet sie das Ethanolgel wirklich an und der Verstärker spielt das Lodern und Knacken der Flammen in den Saal. Freiwillige aus dem Zuschauerraum bauen, auf Knien kriechend, aus waschekörbeweise auf die Bühne geschafften VHS-Kassetten Schlangenreihen. Und die fallen dann wirklich um, wie Dominosteine, rattattatátt!

Beifall brandet auf, einmütig, ein Moment des Verbundenseins: Die Erlösungsfunktion, die der Essay Kunst zuschreibt, ist auch sehr billig zu haben, fast als Witz.

„You don’t have to be engaged in ‚art‘ to feel empathy or access the depths“, schreibt Tempest ja auch, also mit „Kunst“ muss man am Ende nichts am Hut haben, um „Zugang zur Tiefe“ zu finden. Man solle halt anfangen, auf Dinge zu achten, „die ich für gewöhnlich nicht beachte“.

Das Bild aber, in das sich die Bühne dabei verwandelt hat, ist das einer Trümmerlandschaft, trostlos, über die Geyersbach irrt, unverbunden, einsam. Allein mit dem Buch, aus dem sie vorliest. Vielleicht ist der Essay ein viel traurigerer Text, als er selbst glaubt. Darin, das sichtbar zu machen, liegt die Schönheit von Giesches Visual Poem.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare