Visafreiheit für Kubaner in Nicaragua: Migration als Druckmittel
Durch die Visafreiheit für Kubaner*innen in Nicaragua droht ein Exodus Richtung US-amerikanische Grenze. Das dürfte Absicht sein.
Seit die US-Regierung Barack Obamas das Ende der Vorzugsbehandlung für kubanische Migrant*innen in die USA verkündet hatte – damals noch im Zuge der versuchten Wiederannäherung beider Nationen –, ist die Auswanderung aus Kuba schwieriger geworden. Mit der Schließung des US-Konsulats in Havanna nach angeblichen Ultraschallattacken auf diplomatisches Personal ist die direkte Ausreise Richtung USA faktisch unmöglich.
„Auch wenn das Endziel für fast alle die USA sind, werden fast beliebige andere Staaten als Zwischenstation gesehen, wenn man nur dorthin gelangen kann“, sagt Bert Hoffmann, Kuba-Experte am Hamburger Giga-Institut. „Wenn Nicaragua nun – als einziges Land auf dem lateinamerikanischen Festland – die visafreie Einreise für alle Kubaner erlaubt, dann geht es weniger um Tourismus oder Familienbesuche, sondern um ein neues Zwischenziel zur Auswanderung“, sagt Hoffmann.
Erst seit dem 15. November hat Kuba seine Flughäfen wieder geöffnet, die pandemiebedingt über ein Jahr geschlossen waren. Noch gibt es nicht wieder regelmäßige Direktflüge nach Nicaragua, doch das dürfte sich rasch ändern. Bislang hat die Staatszeitung Granma nicht einmal offiziell über den nicaraguanischen Schritt berichtet. Aber längst hat die Nachricht in Kuba die Runde gemacht und Pläne werden geschmiedet, wie es weitergehen könnte, wenn man erst einmal in Nicaragua angekommen sei.
Nicaraguas Wahlfarce Anfang November zur Bestätigung Daniel Ortegas im Präsidentenamt hat in Lateinamerika fast niemand anerkannt – aus Havanna allerdings gab es Solidaritätsadressen und herzliche Glückwünsche. Umgekehrt versicherten Nicaraguas Sandinist*innen der kubanischen Regierung ihre Unterstützung, als die sich Mitte November mit der Ankündigung oppositioneller Demonstrationen konfrontiert sah, auch wenn die nach massiven Repressionsoperationen nicht stattfanden. Anfang der Woche verkündete Nicaragua seinen Austritt aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) – wieder unter großem Beifall der Regierung Kubas.
Der zu erwartende Ausreiseschub von Kubaner*innen, die über Nicaragua Richtung Mexiko und USA gelangen wollen, soll offenbar Druck erzeugen, um die Regierung Biden zur Aufhebung der gegen beide Länder gerichteten US-Sanktionen zu bewegen – eine Methode, die an die belarussisch-polnische Grenze erinnert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett