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Virologe über Corona und Antigentests„Ein gefährliches Geschäftsmodell“

Wird Sars-CoV-2 im ÖPNV übertragen? Der Freiburger Virologe Hartmut Hengel sagt, da gebe es eine Datenlücke. Und warnt vor neuen Antigentests.

Ob und wie viele Menschen sich im öffentlichen Nahverkehr anstecken, ist nicht nachzuverfolgen Foto: Christoph Söder/dpa

t az: Herr Hengel, die Corona-Infektionszahlen steigen rasant an. Lässt sich die Pandemie überhaupt noch lokal oder regional eindämmen?

Hartmut Hengel: Das hängt davon ab, wie wir als Gesellschaft uns gegen das Virus verhalten. Es gibt erfolgreiche Beispiele der Viruskontrolle, wenn man nach Japan blickt oder nach Vietnam, Südkorea oder nach Neuseeland, das sind sicher die Länder, die bisher am erfolgreichsten damit umgegangen sind. Sie zeigen, dass man die Virusausbreitung mit einer konsequenten Strategie und Eindämmungsmaßnahmen durchaus auch unter ungünstigen Bedingungen kontrollieren kann. Diese Beispiele sind Grund für Optimismus. Es ist einfach die Frage, wie gut organisieren wir uns in Deutschland und wie gut halten wir als Gesellschaft zusammen.

Wie gut ist die bisherige Strategie Deutschlands?

You can always do better. Ja natürlich können wir noch besser werden, aber im Vergleich zu anderen Ländern haben wir in der ersten Welle vielen Menschen das Leben gerettet. Inzwischen wissen wir über das Virus noch einiges mehr. Also sind die Ausgangsvoraussetzungen für die Kontrolle der zweiten Welle insgesamt objektiv gar nicht so schlecht. Es hängt jetzt von uns ab.

Dabei sind die Maßnahmen hierzulande gar nicht so strikt: Längst fahren hier wieder volle Busse und Bahnen, während der ÖPNV etwa in Argentinien seit März drastisch heruntergefahren ist. Warum wird die Infektionsgefahr international so unterschiedlich bewertet?

Das liegt daran, dass es nur sehr begrenzt verlässliche, harte wissenschaftliche Daten zur Übertragung in öffentlichen Verkehrsmitteln gibt. Es gibt wenige konkrete Infektionsketten, die man zurückverfolgen konnte. Das heißt natürlich nicht, dass es solche Übertragungen nicht gibt. Da sie aber nicht ausreichend dokumentiert sind, gibt es in dieser Hinsicht einen großen Ermessensspielraum, und der wird in Argentinien anders gehandhabt als in Deutschland.

Warum ist es so schwierig, Ansteckungen auf Bus und Bahn zurückzuführen?

Bild: Jürgen Brandel
Im Interview: Hartmut Hengel

ist Direktor des Freiburger Instituts für Virologie, Altpräsident der Gesellschaft für Virologie und sitzt im wissenschaftlichen Beirat des Paul-Ehrlich-Instituts, das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen und biomedizinischen Arzneimitteln zuständig ist.

Dort werden bei der Nutzung ja keine Adressen hinterlegt. Wenn man sich jetzt aktuell bei den Gesundheitsämtern erkundigt und feststellt, dass die Mehrheit der gemeldeten Infektionen gar nicht mehr rückverfolgbar ist, dann könnte das natürlich durchaus auch so interpretiert werden, dass immer mehr Infektionen in öffentlichen oder halböffentlichen Räumen stattfinden.

Dann liege ich nicht falsch, wenn ich mich auch mit Maske frage, wie sicher es ist, mich nach Feierabend in den übervollen Linienbus mit Abständen deutlich unter einem Meter zu quetschen?

Streng wissenschaftlich gibt es bisher wenig valide Berichte, die wirklich beweisen, dass es in solchen Situationen des öffentlichen Nahverkehrs zu Übertragungen gekommen ist. Aber die Plausibilität spricht dafür, abhängig davon, wie dicht das Verkehrsmittel ist, wie die Belüftungsverhältnisse sind und welche persönlichen Schutzmaßnahmen man praktiziert.

Reicht es als Belüftung, wenn im Linienbus an jeder Station die Türen geöffnet werden?

Wenn sich viele Menschen in einem Abteil aufhalten, das nicht belüftet ist, und jemand ist dabei, der das Virus über Aerosole verteilt, dann gibt es eine Infektionsgefährdung. Deswegen ist es der Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Maske so wichtig. Sie sind eine Barriere bei dem, der infiziert ist und bei dem, der durch die Virusausscheidung exponiert wird. Die Erfahrungen aus den Krankenhäusern zeigen, dass man dadurch die Übertragung deutlich reduzieren kann. Langfristig erhoffe ich mir allerdings, dass Forschung, Entwicklung und Industrie weitere technische Möglichkeiten der Luftsterilisation erarbeiten.

Immer mehr Städte erlassen an stark frequentierten Straßen eine Maskenpflicht. Besteht unter freiem Himmel überhaupt ein nennenswertes Risiko?

Ich kann mir vorstellen, dass das Ansteckungsrisiko auch steigt, wenn viele Menschen unter freiem Himmel in einer Schlange stehen und dort eben keinen Abstand halten. Aber von einem vorbeifahrenden Radfahrer infiziert zu werden, das halte ich für wenig wahrscheinlich.

Und im Supermarkt oder beim Friseur?

Es besteht kein hohes Risiko, aber es bleibt doch ein gewisses Risiko. Ich persönlich gehe zum Friseur – mit Mund-Nasen-Schutz.

Man hat den Eindruck, dass trotz mehreren Monaten Datenerhebung eigentlich weniges sicher ist. Stimmt das?

Es gibt Virusübertragungen, die sehr gut dokumentiert sind, zum Beispiel in Schlachthöfen oder bei großen Hochzeiten oder großen Gottesdiensten oder Partys, das ist alles recht gut belegt. Aber zu dem relativen Risiko, das von Kontakten in der Bahn oder der Straßenbahn ausgeht, wissen wir noch wenig.

Viele Menschen haben Angst vor der Schmierinfektion, überall wird desinfiziert und doch gab zuletzt Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, medienwirksam Entwarnung.

Man kann nicht definitiv ausschließen, dass man das Virus auch dadurch aufnehmen kann, dass man mit ungeschützten Händen eine infizierte Oberfläche berührt und sich dann ins Gesicht fasst. Wenn man alle Erkenntnisse der letzten Monate zusammennimmt, ist aber wahrscheinlich die Übertragung über Aerosole dominierend.

Bei der Spanischen Grippe ist die zweite Welle deutlich schlimmer ausgefallen als die erste. Wird uns das in Deutschland mit Covid-19 auch passieren?

Ich wage da keine Prognose. Ich hoffe natürlich, dass wir gelernt haben und das Virus im Griff behalten. Eigentlich sind wir jetzt besser vorbereitet, wir haben mehr Ausrüstung und eine bessere klinische Organisationserfahrung, um auch auf lokale Häufungen von schwer kranken Patienten reagieren zu können. Die Spanische Grippe ist in vielerlei Hinsicht anders abgelaufen. Sie betraf vor allem junge Erwachsene. Jetzt haben wir eine ganz andere Situation: Es geht um vor allem um den Schutz älterer Menschen, um vorerkrankte Menschen, um Herz-Kreislauf-erkrankte Menschen.

Wenn es um die allgemeinen Zahlen geht, bemängelt etwa das Ifo-Institut, dass die Daten auf Länder- und Regionalebene schon in Deutschland schwer vergleichbar seien. Ist das tatsächlich ein Problem?

Jeder Wissenschaftler kämpft gegen Datenlücken, und natürlich bin ich auch dafür, die Datenqualität zu verbessern. Aber ich denke, wir haben insgesamt eine recht gute Datenlage. Die allgemeinverständliche Kommunikation der Daten wurde kritisiert, natürlich können wir uns auch in dieser Hinsicht – gemeinsam mit den Medien – verbessern. Andererseits wissen wir ziemlich genau, wie viele Tests in Deutschland durchgeführt werden.

Halten Sie Testungen von kommerziellen Anbieter*innen für sinnvoll, um die Labore zu entlasten?

Schlecht wäre es – und leider tut die Politik dies gerade -, immer mehr Tests von Veterinärinstituten oder nicht akkreditierten Einrichtungen, in denen es keine Fachleute gibt, durchführen zu lassen. Testungen sollten von Expert*innen durchgeführt und interpretiert werden, wenn man verlässliche Diagnosen und Zahlen haben will. Und übrigens braucht man auch valide Testmethoden. Derzeit werden ja vorgeblich preiswerte und schnelle Antigentests propagiert – die halte ich aber für höchst problematisch.

Was ist an den Antigentests problematisch?

Sie sind bisher nicht hinreichend validiert, aber trotzdem abrechnungs- und erstattungsfähig und daher ein neues, gefährliches Geschäftsmodell, also werden manche Menschen sie fordern und Ärzte sie anwenden. Was bislang über sie bekannt ist, zeigt aber eine sehr erhebliche Sensitivitätslücke. Wenn nur jeder zweite Neuinfizierte als solcher erkannt wird, ist das in meinen Augen fatal. Denn die Infizierten, die nicht erkannt wurden, laufen dann ja weiter herum und können andere Menschen anstecken.

Ist das schon vorgekommen?

Genau solche Fälle haben wir gerade erlebt. Wenn Sie mich fragen, was wir tun müssen, um die zweite Welle erfolgreich zu verhindern, dann ist das ein entscheidender Punkt: Es geht nicht nur darum, dass die Bevölkerung motiviert wird, Masken zu tragen. Es geht auch darum, dass die Politik keine untauglichen Tests zulässt. Hier besteht Handlungsbedarf, und zwar dringend.

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3 Kommentare

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  • Wie kommt der Mann zu der Behauptung verinärmedizinische Labore seien weniger geeignet eine PCR durchzuführen und ihre Einbeziehung sogar schädlich?



    Dafür hätte ich tatsächlich gerne einen Faktenüberprüfung liebe TAZ!

    hier z.B eine Meinung aus dem Friedrich-Löffler Institut: „Ich fände es richtig, diese Expertise zu nutzen“, sagte Thomas Mettenleiter, der das Frie­drich-Loeffler-Institut (FLI) – das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit – leitet. Ob Human- oder Veterinärmedizin, die Diagnostik sei in diesem Fall im Grundsatz die­selbe. Außerdem sei die Automatisierung in den Veterinärlaboren wegen der dort übli­chen hohen Stückzahlen weit fortgeschritten.



    www.aerzteblatt.de...oV-2-Tests-pruefen

    oder hier (www.zeit.de/wissen...ung-bundeslaender):

    "In der Tierärzteschaft wird das als Diskriminierung wahrgenommen", sagt Thomas Mettenleiter, Leiter des Friedrich-Löffler-Instituts, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit.

    Der Virologe erzählt von den Zehntausenden Laborplätzen aus dem veterinärmedizinischen Bereich, die auf Proben warten. Die meisten blieben ungenutzt.



    Technisch mache es aber überhaupt keinen Unterschied, ob eine Virenprobe von einer Kuh oder einem Menschen stamme. Wie man die Gene der Viren nachweise, das Verfahren sei exakt dasselbe. "Aus unserer Sicht ist es sogar so: Covid-19 ist eine Zoonose, also ein Erreger, der eigentlich bei Tieren heimisch ist. Das ist exakt unser Fachgebiet", sagt Mettenleiter.

    Was könnte also dagegen sprechen? Es könnte eine Geldfrage sein.



    Bei den Krankenkassen dürfen die Labore nach der aktuellen Testverordnung 50,50 Euro pro Test in Rechnung stellen. Tiermedizinische Labore würden wohl die Preise verderben: Im niedersächsischen Landeslabor zum Beispiel kostet ein individueller Virusnachweis beim Haustier nur 28 Euro

  • Danke, dass das Problem der "Schnelltests" thematisiert wird! Der bekannteste Fall, wo sie versagt haben, war die ACB-Nominierungsveranstaltung im Weißen Haus: alle Teilnehmenden bekamen Schnelltests, die waren alle negativ, aber in mindestens 1 Fall war das falsch.

    Allerdings sollte man die Skills, die zur Durchführung und Auswertung eines PCR-Tests erforderlich sind, nicht überbewerten. Die größte Gefahr besteht tatsächlich darin, die falschen Parameter am Pipettierroboter einzustellen. Durchführung und Auswertung sind automatisiert; fatal können eben solche Flüchtigkeitsfehler beim Ansetzen der Reaktion sein (die Parameter unterscheiden sich geringfügig je nachdem was für eine Sequenz die Reaktion amplifizieren kann, und 2 Grad Unterschied in der Temperatur können den Test schon versauen).



    Ein grundsätzliches Problem ist, dass Auftragslabor-Techniker*innen in Deutschland extrem gut bezahlt werden - besser als die meisten Nachwuchswissenschaftler*innen!



    In Südkorea werden sie eher wie gehobene Hilfsarbeiter bezahlt, die sie letztlich sind, und deswegen hat Südkorea auch diese immense Testkapazität. Und weil Auftragslabore quasi bei "jeder" Probe andere Reaktionsparameter einstellen müssen, sind sie nicht so fehleranfällig als wenn man ein Labor, das zB routinemäßig auf Blauzungenkrankheit bei Schafen testet, plötzlich etwas ganz anderes testen lässt. Nur, dezidierte Vertragslabore gibt es in Deutschland nicht allzu viele, weil die Lohnstückkosten im "Ingenieursland" Deutschland - hart formuliert - in internationalen Vergleich völlig überzogen sind, und das zu ändern scheitert am Widerstand der politisch massiv zum wirtschaftsliberalen bis Rechtsaußen-Lager tendierenden Techniker (ohne *innen).

  • RS
    Ria Sauter

    Ins Theater geht nicht obwohl dort alle Massnahmen eingehalten werden. Dichtgedrängt im öffentlichen Nahverkehr interessiert nicht.



    Schon eigenartig.



    Das macht ein sehr ungutes Gefühl.