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Virginie Kamche über Aufarbeitung der Kolonialzeit„Wir wurden nicht gefragt“

Früher war Bremen „Stadt der Kolonien“. Jetzt will Rot-Grün diese Geschichte aufarbeiten. Die afrikanische Community ist außen vor.

Zum Anti-Kolonialdenkmal umfunktioniert: Backstein-Elefant aus der Nazizeit. Foto: Hannes Grobe/Wikimedia Commons
Interview von Jan Zier

taz: Frau Kamche, der rot-grüne Senat will das große koloniale Erbe Bremens aufarbeiten und ein Erinnerungskonzept auf den Weg bringen. Gut so?

Virginie Kamche: Das ist aus unserer Sicht eine gute Initiative. Die Mehrheitsgesellschaft hat diesen Teil der Geschichte heute vergessen – deswegen ist es gut, jetzt daran zu erinnern und es heute besser zu machen. Und unsere Kinder sollen lernen, dass sich die Deutschen damals nicht richtig verhalten haben.

Wurde die afrikanische Community in Bremen in diese Initiative mit eingebunden?

Wir wurden nicht kontaktiert. Das Afrika Netzwerk Bremen jedenfalls wurde bislang nicht gefragt. Viele Menschen in der Community haben das wahrscheinlich noch gar nicht mitbekommen. Aber trotzdem finden wir die Initiative gut und wichtig, weil das ein Teil der Geschichte Bremens und Deutschlands ist. Wir haben alle Interesse daran, zu wissen, was genau passiert ist. Ich würde begrüßen, wenn auch im Schulunterricht die deutsche Kolonialgeschichte stärker einbezogen würde, damit unsere Kinder die wahre Geschichte erfahren können. Viele Historiker und Vereine verlangen das schon seit langem.

Im Interview: Virginie Kamche

ist Diplom-Informatikerin und hat in Frankreich Bauwesen studiert. Die Mutter zweier Kinder lebt seit 1995 in Bremen und seit 2010 ist sie Koordinatorin und Vorsitzende des Afrika Netzwerkes Bremen e.V.

Koloniale Geschichte

In der Nazi-Zeit nannte Bremen sich die „Stadt der Kolonien“. Mit einem riesigen Backstein-Elefanten hinter dem Hauptbahnhof wurde hier von 1932 bis 1990 wohlwollend des Massakers der Deutschen an den Herero und Nama im heutigen Namibia gedacht. Bei diesem Genozid starben rund 75.000 Menschen.

Der Bremer Kaufmann Alfred Lüderitz eignete sich das Land in „Deutsch-Südwest-Afrika“ 1884 mit betrügerischen Mitteln und einem unlauteren Vertrag an. Nach dem „Lügenfritz“ ist heute eine Straße benannt, ebenso wie nach seinem Mitstreiter Heinrich Vogelsang, einst ein Bremer Tabakhändler. Auch der Reichskommissar für Deutsch-Westafrika, Gustav Nachtigal, der Lüderitz' Landnahme beglaubigte, wurde mit einer Straße geehrt.

Von der Baumwollbörse bis zur Norddeutschen Mission ist Bremen flächendeckend mit Institutionen und Bauten kolonialen Ursprungs versorgt.

Sollten die Straßen, die nach üblen Bremer Kolonialisten benannt sind wie die Lüderitz-, Vogelsang oder Nachtigalstraße, umbenannt werden?

Ja! Das fände ich richtig.

Rot-Grün will diese Straßen lieber nur mit einer Legende versehen. Reicht das?

Ich finde, dass schon diese Form der Anerkennung der Geschichte ein großer Fortschritt ist. Eine Umbenennung ist ja auch immer eine Frage der Kosten. Deswegen wäre, auch aus ökonomischen Gründen, so eine Erklärung der Straßennamen schon nicht schlecht.

Auch dort, wo Bremen die Kosten übernehmen wollte, wie bei der Karl-Peters-Straße, waren AnwohnerInnen dagegen.

Das finde ich nicht richtig. Wenn so eine Umbenennung einer Straße nicht am Geld scheitert, dann soll man das auch machen. Diese Geschichte prägt uns alle, auch unsere Kinder – das ist wirklich nicht gut. Das führt zu Vorurteilen beziehungsweise erhält sie aufrecht und die wollen wir ja gerade abbauen. Und wenn man dagegen etwas tun kann, ist das doch ideal für alle. Das ist auch eine Frage der Gewöhnung der Anwohner: An einen neuen Namen werden sie sich leichter gewöhnen, wenn ihnen die Bedeutung des vorherigen Namens bewusst ist.

Bremen hat ein Denkmal, das an den Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama im heutigen Namibia erinnert. Im Vergleich zu dem Elefanten nebenan, dem früheren „Reichskolonialehrenmal“, ist es allerdings unauffällig und winzig.

Natürlich reicht das nicht aus. Aber es ist ein Anfang: Diese Form der Anerkennung des Völkermordes ist gut, das ist schon ein großer Schritt. Jetzt wollen wir in die Zukunft gucken.

Soll Deutschland auch materielle Entschädigungen für diesen Völkermord zahlen?

Es geht nicht um materielle Entschädigungen, sondern um die Anerkennung – wie ich schon gesagt habe. Es ist ein schwarzer Fleck in der deutschen und bremischen Geschichte. Es geht darum, der Geschichte Respekt zu erweisen. Das wäre auch gut für die Menschen, die heute in Namibia leben – inklusive des Teils der Bevölkerung, die deutschen Migrationshintergrund haben. Ich meine, Deutschland und Bremen haben eine moralische Verantwortung Namibia gegenüber.

In Bremen gibt es allerlei Kaufmannsfamilien, deren Vorfahren finanziell von der Ausbeutung der Kolonien profitiert haben. Müsste die nicht auch Entschädigung zahlen?

Man sollte es Schritt für Schritt angehen. Wichtig ist zunächst die Anerkennung und die Vermittlung der wahren Geschichte in der Schule. Die Frage der Entschädigung folgt von allein.

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1 Kommentar

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  • Seit 1960 heißt das ehem. „Bremer Kolonial- und Überseemuseum“ nur noch „Überseemuseum“. Ich war dabei, als das Wort „Kolonial-“ herausgemeißelt wurde. Ein Akt der Verdrängung. Die Folge: Erfolglosigkeit.

    Am 29. März 2009 schlug ich der Bremer Kulturbehörde ein Konzept für das Überseemuseum vor. Ich verwies auf die entsprechenden Museen in Holland und Belgien, die ich mit der Kriegsgräberfürsorge besucht hatte. Das sind Kriegsmuseen und Antikriegsmuseen: Sie zeigen Krieg, aber auch das Leiden der Bevölkerung und deren Widerstand gegen die deutschen Besatzer.

    Ähnlich könne ein „Bremer Kolonial- und Überseemuseum“ die Geschichte der Täter und Opfer des deutschen Kolonialismus unter bremischer Beteiligung und deren Rezeption bis heute Abteilung für Abteilung erarbeiten und dann präsentieren. Vielleicht wäre ein solches Museum sowohl politisch korrekt wie auch endlich wieder wirtschaftlich erfolgreich.

    Die Kulturbehörde lehnte diesen Vorschlag ab mit dem Hinweis, man wolle „Globalisierung“ zeigen. Die haben wir ja nun, für jedermann sichtbar durch die Flüchtlings- und Migrationsbewegung, die nun auch Bremen erfasst hat, aber erfolgreicher wurde das Überseemuseum damit nicht.

    Martin Korol, Bremen