Vincent Kompany beim FC Bayern: Einer, der es tatsächlich macht
Mit Vincent Kompany findet der FC Bayern München einen Trainer, der mit dem Makel der siebten Wahl leben kann und dennoch eine hohe Reputation hat.
Wenn schon Umbruch, dann richtig – das mag man sich an der Säbener Straße gedacht haben, als man nach zahlreichen Absagen Vincent Kompany zum neuen Cheftrainer machte. Der 38-jährige Belgier gilt international noch immer als Novize der Trainerzunft. Meist fällt der Blick auf die ambivalente Bilanz seines Engagements beim Burnley FC, mit dem er letztes Jahr in die Premier League auf- und soeben nach einer Saison mit nur fünf Siegen wieder abgestiegen ist. Auf der Bank hat der Weltstar zweifellos wenig vor-, dafür aber alles zu beweisen. Und könnte damit genau die richtige Dynamik auslösen für den lange ersehnten Aufbau einer neuen Ära.
Die ungleich renommierteren Kollegen Nagelsmann und Guardiola bescheinigen Kompany überaus großes Potenzial für seine Karriere. Die freilich nicht mehr ganz so neu ist, denn bevor der Brüsseler 2022 zurück nach England zog, absolvierte er schon zwei Jahre auf der Bank bei seinem Jugend- und ersten Profi-Verein RSC Anderlecht. Nun ist die Jupiler Pro League nicht die Bundesliga und Anderlecht nicht Bayern. Doch mit der Konstellation, einen strauchelnden Rekordmeister aufzufangen, hat Kompany dort Erfahrung gesammelt.
Zu Titeln reichte es freilich nicht, doch für die Entscheidungsträger in München dürfte etwas anderes interessanter sein: Kompanys Zielstrebigkeit, sein sprichwörtlicher Ehrgeiz und der selbstverständliche Anspruch, in großen Dimensionen zu denken. Nach seinem Abschied als Kapitän und Vereinsikone bei Manchester City 2019 wechselte er quasi direkt vom Spielfeld auf die Bank – wobei er anfangs die beiden Tätigkeiten noch zu kombinieren versuchte. Das ging allerdings nach hinten los und sorgte auch für einige Turbulenzen, weil Kompany noch keine offizielle Trainerlizenz hatte.
Dass der Job in München für ihn nun der größtmögliche Kickstart sein könnte, um seine zweite Karriere auf die Höhe der ersten zu bringen, ist offensichtlich. Die Option eines Scheiterns haben Boulevard und Kommentatoren vom Schlag eines Lothar Matthäus umgehend erörtert. Was bei alldem für Kompany spricht: Mit ihm macht Max Eberl einen perfekten Ausfallschritt. Der Makel, nur Option sechs, sieben oder acht zu sein, haftet an einem Kandidaten, den wirklich niemand auf der Rechnung hatte, weniger. Zugleich spielt Kompany in puncto Selbstverständnis und internationaler Reputation in einer Liga, die dann doch wieder ziemlich Bayern-like ist.
Mentalität eines potenziellen Weltmeisters
Erfahrung hat er zudem als Protagonist einer neuen Ära: er prägte die erfolgreichste Zeit von Manchester City und wurde parallel zum Gesicht einer bemerkenswerten Metamorphose: jener der ewigen grauen Maus Belgien zu einem schillernden Ensemble internationaler Stars zum Geheim- und dann immer öffentlicheren Favoriten. Mit dem dritten WM-Platz 2018 verfehlte die goldene Generation der „Roten Teufel“ zwar ihr großes Ziel knapp, doch die Mentalität eines potenziellen Weltmeisters impfte ihr nicht zuletzt Kompany ein – auf dem Platz, aber auch daneben.
Letzteres zeigte sich gerade, als der Aufstieg der belgischen Nationalmannschaft begann. Das Land wurde damals wieder einmal von Turbulenzen zwischen den Sprachgruppen erschüttert. Der Kapitän des Teams, Sohn einer Belgierin und eines kongolesischen Einwanderers, wandte sich mehrfach öffentlich gegen die erstarkende flämisch-nationalistische Rechte. Einer ihrer Politiker hatte 2012 nach dem Sieg bei den Antwerpener Kommunalwahlen verkündet, die Stadt gehöre an diesem Abend vor allem seiner Partei. Wenig später konterte Kompany nach einem entscheidenden Sieg in der WM-Qualifikation: „Belgien gehört allen, aber heute Abend gehört es vor allem uns!“
In der gleichen Phase betonte der eloquente Profi einmal: „Egal, was seine Abstammung ist: ein Belgier ist ein Belgier.“ Man muss nicht allzu viel Fantasie haben, um zu konstatieren: der neue Coach könnte das sehnsüchtig vermisste „mia san mia“ auf eine neue Stufe heben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind