Viertligisten im Profifußball: Liga der Bettler

Viele Viertligisten brauchen Spenden oder windige Sponsoren. Kostenintensive Auflagen des DFB vertragen sich nicht mit den geringen Einnahmen.

Fans im Stadion

Regionalliga West: Das Stadion in Straelen hat auch schon bessere Zeiten gesehen Foto: Imago / Revierfoto

OBERHAUSEN taz | Hajo Sommers kann nicht mehr. Er will auch nicht mehr. Nach 13 Jahren als Präsident von Rot-Weiß Oberhausen wird der 60-Jährige sein Amt im kommenden Sommer abgeben. „Ich freue mich schon, wenn ich danach als Fan auf der Tribüne stehen und ‚Vorstand raus!‘ rufen werde“, sagt der gebürtige Ruhrgebietler.

Sommers, hauptberuflich im Theatergewerbe unterwegs, ist ein humorvoller Mann. Mit einer gewissen Leichtigkeit im Gemüt. Diese Gabe hat ihm vermutlich oft über schwere Stunden bei „RWO“, wie sein Klub im Ruhrgebiet nur genannt wird, hinweggeholfen. In seinen 13 Jahren als Präsident pendelte der Verein zwischen 2. und 5. Liga. Seit sechs Jahren dümpelt RWO nunmehr in der Regionalliga West – 4. Liga. „Diese Liga ist das Niemandsland zwischen Geld und kompletter Armut“, sagt Sommers.

Es ist vor allem die ständige Angst vor der Pleite, die ihn jetzt zum Abschied drängt. „Ab der Hälfte der Spielzeit, also jedes Mal ungefähr im Dezember, weißt du als Verantwortlicher eigentlich nicht mehr, wie du die restlichen sechs Monate noch bezahlen sollst. Das geht ans Gemüt“, sagt er. Sommers ist überzeugt: „Bei uns in der Weststaffel gibt es höchstens zwei oder drei Teams, die nicht das finanzielle Aus befürchten müssen.“

4. Fußball-Liga in Deutschland. Das bedeutet: Fünf regional unterteilte Staffeln, in denen die meisten Spieler hauptberuflich Fußball spielen und entsprechend bezahlt werden. Die Ausgaben für die Vereine sind immens: Gehälter, Abgaben an die Berufsgenossenschaft, Steuern und viel Geld für die Infrastruktur – der verantwortliche Deutsche Fußball-Bund (DFB) macht für diese Spielklasse sehr kostenintensive Auflagen.

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Auf der anderen Seite: geringe Einnahmen. Weil die 4. Liga nicht im Fernsehen gezeigt wird, gibt es keine TV-Gelder, und das Interesse von Sponsoren ist gering. Und weil es für die meisten Vereine spätestens ab der Hälfte der Saison kaum noch sportliche Ziele zu erreichen gibt, lässt das ohnehin überschaubare Zuschauerinte­resse ab dem Spätherbst immer mehr nach.

Wozu das führt, ist eigentlich logisch: in die Pleite. In den letzten Wochen erwischte es allein in der Regionalliga West drei Vereine: Aufsteiger TV Herkenrath vermeldete im Dezember seine Zahlungsunfähigkeit, die beiden Traditionsvereine SG Wattenscheid 09 und Wuppertaler SV folgten einige Tage später. In Herkenrath und in Wuppertal wurde den kostenintensiven Profispielern ein sofortiger Vereinswechsel gestattet, dort spielt man die Saison mit Jugendspielern zu Ende.

In Wattenscheid versuchten sie, das entstandende Finanzloch von 350.000 Euro durch eine vierwöchige Crowdfunding-Aktion zu stopfen. Als nach Ablauf der Frist über rund 2.000 private Spender immerhin 120.000 Euro eingegangen waren, entschloss sich der Aufsichtsratsvorsitzende Oguzhan Can – ein erfolgreicher türkischer Immobiliengeschäftsmann –, das fehlende Geld noch einmal selbst beizusteuern, so wie er es in den Monaten zuvor auch stets getan hatte.

U23-Teams der reichen Bundesligisten aussortieren

„Die 4. Liga ist so nicht zukunftsfähig“, sagt Hajo Sommers. Er ist sehr gespannt, ob bei der nächsten Konferenz über den Amateurfußball, den der DFB für Ende Januar angesetzt hat, irgendwelche praktikablen Lösungen he­raus­kommen. „Der DFB muss von dieser idiotischen Aufstiegsregelung weg. Jeder Meister muss direkt aufsteigen. Zusätzlich müssen mindestens für die direkten Plätze dahinter sportliche Anreize geschaffen werden, damit nicht 90 Prozent der Vereine ab dem Winter nur noch um die goldene Ananas spielen“, fordert Sommers.

Er findet auch, dass die U23-Teams der reichen Bundesligisten aussortiert werden müssen: „Die sollen in einer eigenen Liga spielen. Für uns hat es keinen Sinn, gegen diese Teams mit ihrem millionenschweren Etat. Wenn wir gegen die zweite Mannschaft des 1. FC Köln spielen, kommen bei denen gerade mal die Partnerinnen von zwei Spielern als Zuschauer mit. Und unsere Fans interessieren diese Spiele nicht.“

Beim DFB hält man sich zum Thema bedeckt. „Die Vereine sollen lernen, seriös zu wirtschaften. Sie sollen nur das Geld ausgeben, das sie haben“, lautet dort die offizielle Sprachregelung. Klingt logisch, ist nach Meinung von Hajo Sommers aber unrealistisch. „Wir haben zuletzt etwas abgespeckt. Der Etat der ersten Mannschaft ist in diesem Jahr geringer als in der letzten Spielzeit. Es wird aber immer wieder den Versuch geben, etwas aufzubauen, um oben anzuklopfen. Der Aufstieg in die 3. Liga oder noch weiter hinauf würde ja viele Probleme lösen. Aber es ist nun einmal frustrierend, wenn immer früh in einer Saison klar ist, es gibt nichts mehr zu holen.“

Investor da – und gleich wieder weg

Und dann ist da noch der Aspekt der Ausbildungsqualität. Rot-Weiß Oberhausen spielt – wie zum Beispiel auch Wattenscheid 09 und Rot-Weiss Essen – mit seinen Jugendteams seit vielen Jahren in den diversen Junioren-Bundesligen, bildet Jugendspieler auf höchstem Niveau aus. RWO unterhält sogar – als einer der wenigen Viertligisten überhaupt – ein vom DFB zertifiziertes Leistungszentrum (NLZ). „Wir machen das, weil wir von hochqualifizierter Ausbildung überzeugt sind und weil wir darauf angewiesen sind, dass wir so wenig Spieler wie möglich von außen teuer dazukaufen“, sagt Sommers.

Zum Spitzenspiel des FC Viktoriagegen den Berliner AK kamen lediglich 438 Fans.

Aber auch das Leistungszentrum mit seiner kompletten Infrastruktur und hohen Personalkosten reißt natürlich ein Loch ins Budget. Für Sommers ist es dennoch alternativlos: „Würde es nur noch die Zentren von Bundesligavereinen geben, ginge an der Fußballbasis noch mehr Qualität verloren. Das kann nicht im Sinne des DFB sein.“

Von dem Sprung aus der 4. Liga heraus träumten sie auch bei Berlins Traditionsklub FC Viktoria. Der deutsche Meister von 1908 und 1911 vermeldete im Mai 2018 stolz den Einstieg des Investors Alex Zheng, der einen Millionenbetrag investieren wolle. Mit dem Geld des reichen Chinesen, des Gründers der größten Hotelgruppe Chinas, sollte der Aufstieg in die Dritte Liga angepeilt werden. Langfristig sollte es noch höher hinaufgehen. Mit dem ersten Geld wurden Ex-Profis aus der Bundesliga verpflichtet, und tatsächlich: Nach dem Abstiegskampf 2017/18 rangierte Viktoria im Spätherbst auf Rang sechs – mit Tendenz nach oben.

Ein Luftschloss

Doch dem chinesischen Investor ging die Entwicklung vielleicht nicht schnell genug. Vielleicht war er auch vom geringen Zuschauerinteresse abgeschreckt: Zum Spitzenspiel gegen den Berliner AK kamen lediglich 438 Fans. Man weiß es nicht. Jedenfalls blieben die versprochenen Zahlungen schon bald aus. Am 13. Dezember vermeldete der Verein kleinlaut auf seiner Homepage: „Mit großem Bedauern müssen wir euch mitteilen, dass der Vorstand heute einen Insolvenzantrag für unseren Verein einreichen musste.“

Mal wieder ist ein Luftschloss in sich zusammengebrochen. „Ohne Nennung von triftigen Gründen“ habe der Investor seine Zusammenarbeit beendet“, trauert der Vorstand des Vereins. Ob das Team in der Rückrunde noch antreten kann, ist derzeit ungewiss.

Viel wichtiger scheint bei dem Verein mit den nach eigenen Angaben meisten Jugendmannschaften in Deutschland, dass der Spielbetrieb bei den rund 70 Mannschaften des Breitensports weitergeführt werden kann. Dass die erste Mannschaft aus der ungeliebten 4. Liga genommen würde – das scheint man verschmerzen zu können.

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