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Vier gegen YpsilantiDie Abweichler

Wer sind eigentlich die vier hessischen SPD-Abgeordneten, die ein Linksbündnis auf den letzten Metern verhindert haben? Die Abweichler im Porträt.

Silke Tesch (l.), Jürgen Walter, Carmen Everts und Dagmar Metzger. Bild: dpa

Abweichlerin I:Silke Tesch

Silke Tesch, 50, fand erst relativ spät in die Politik. 1995 wurde sie SPD-Mitglied, acht Jahre später zog sie erstmals als Abgeordnete in den hessischen Landtag ein. Tesch ist Sprecherin des eher konservativen "Aufwärts"-Kreises in der Landtagsfraktion und Sprecherin für Mittelstandspolitik.

In ihrem Wahlkreis Marburg-Biedenkopf in Mittelhessen sei die Bevölkerung konservativ strukturiert - und die SPD dort auch, sagt Silke Tesch. Grüne und Linke seien an der Fünfprozenthürde gescheitert. Immer wieder hätten Wählerinnen und Wähler bei ihr den "Wortbruch" beklagt und angekündigt, die SPD "nie mehr" wählen zu wollen. Zudem habe es viele Parteiaustritte gegeben, so die Industriekauffrau, die bis zum Jahre 2000 zusammen mit ihrem Mann einen Handwerksbetrieb leitete. Die Proteste gegen die Hinwendung der Partei zur Linken hätten sie in einen "extremen Gewissenskonflikt gestürzt", begründete Tesch ihren Kurs gegen Ypsilanti. Die im Koalitionsvertrag festgeschriebene "schädliche Wirtschaftspolitik" habe dann den Ausschlag dafür gegeben, dass sie auf dem Sonderparteitag in Fulda gegen das Vertragswerk gestimmt habe und jetzt konsequent auch nicht mehr für Ypsilanti und das Linksbündnis votieren könne.

Abweichler II:Jürgen Walter

Der 40 Jahre alte Jurist und Kopf der konservativen "Aufbruch"-Gruppe, der schon mit seiner Brandrede gegen den Koalitionsvertrag beim Parteitag am Samstag in Fulda Spekulationen über sein Abstimmungsverhalten hatte aufkommen lassen, sah - wie der Hesse sagt - "fertisch" aus. Die letzten Tage, sagte er denn auch, seien "die schwierigsten meines politischen Lebens gewesen". Die Entscheidung gegen Ypsilanti jetzt sei der Endpunkt eines langen "Abwägungsprozesses". Auf dem Parteitag sei ihm ganz klar geworden, dass er nicht die Hand für die Vernichtung von "Zehntausenden von Arbeitsplätzen" heben könne - und dass ein Bündnis mit der Linken der SPD und Hessen schade.

Selbstkritisch sagte Walter, dass er nicht den Mut gehabt habe, schon im März dieses Jahres an die Seite der damals einzigen Abweichlerin Dagmar Metzger zu treten. Jetzt aber sei er mit sich "im Reinen". Er wolle im Landtag mit dafür sorgen, dass es zu einem Regierungsbündnis unter Ausschluss der Linken kommen kann. Aus der sozialdemokratischen Fraktion freiwillig austreten wollen er und seine drei Mitstreiterinnen nicht. Wie man unter diesen Bedingungen im hessischen Landtag weiterarbeiten kann, weiß Jürgen Walter aber auch nicht.

Abweichlerin III: Carmen Everts

Erst im Januar zog Carmen Everts, 40, erstmals in den hessischen Landtag ein. Von 2003 an war sie aber schon als wissenschaftliche Referentin der SPD-Fraktion im Landtag tätig. Erst nach dem Parteitag am Samstag in Fulda entschied sich die an der Nordseeküste geborene und im südhessischen Riedstadt lebende Juristin und Historikerin dafür, der bislang einzigen Abweichlerin in der Landtagsfraktion, Dagmar Metzger, beizustehen - und Ypsilanti gleichfalls die Gefolgschaft zu verweigern. Vorangegangen sei ein langer "Gewissenskonflikt". Am Ende habe sich bei ihr die Auffassung durchgesetzt, dass sie auch als Wissenschaftlerin die Regierungsbeteiligung der Linken nicht tolerieren könne - bei aller gebotenen Loyalität auch der Parteiführung gegenüber. "Die Linke ist eine extremistische Partei mit einem gespalteten Verhältnis zum Rechtsstaat", sagte Everts, die 1999 mit einer Arbeit über das "Wesen des politischen Extremismus" promovierte - und dabei die rechtextremen "Republikaner" und die PDS miteinander verglich. Auch aus Respekt vor dem Wählerwillen - 70 Prozent der Hessen seien gegen Rot-Grün-Rot - und wegen des Wahlversprechens, sich nicht mit der Linken zu liieren, sei ihre Entscheidung "letztendlich alternativlos" gewesen, sagte Everts.

Abweichlerin IV:Dagmar Metzger

Sie hat sich nicht zu korrigieren. Und ihre Grundhaltung ist bekannt. Die 49-jährige Landtagsabgeordnete aus Darmstadt mit der wirren Hochfrisur war von Anfang an gegen ein Regierungsbündnis ihrer Partei mit der Linken. Und sie hat zunächst als Einzelkämpferin auf Partei- und Unterbezirksparteitagen viel Kritik dafür einstecken müssen. Jetzt ist sie "froh, nicht mehr allein zu sein".

Dagmar Metzger sieht sich als Vorkämpferin für "die Demokratie und das freie Abgeordnetenmandat". Nie habe sie den "Bruch des Wahlversprechens" akzeptiert. Dass es über sie und ihre drei Kollegen hinaus noch andere Landtagsabgeordnete gibt, die dem Linksbündnis kritisch gegenüberstehen, glaubt sie zu wissen. Viele seien oft frustriert aus Sitzungen der Fraktion oder der Parteigremien gekommen und hätten im persönlichen Gespräch ihre Bedenken artikuliert, sich aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht getraut, sich laut zu äußern.

Ihre Abneigung gegen die Linke leitet Metzger vor allem aus Erfahrungen in Berlin her, wo sie 1958 geboren wurde. Sie habe erleben müssen, wie entgegen allen offiziellen SED-Verlautbarungen die Mauer gebaut und ihre Familie zerrissen wurde, sagt sie.

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6 Kommentare

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  • SK
    Sascha Klocke

    Die CDU/CSU scheinen ja, wenn man sich ihre Sicherheitspolitik so anschaut, auch ein gespaltenes Verhältnis zum Rechtsstaat zu haben. Und die SPD, die immer schön mitzieht, in Folge auch.

    Und selbst wenn, dann hat es die Linke ja nicht erst seit gestern. Vielleicht hatten sich die beiden Damen ja von ihrer Zeit im Landtag bisher mehr mediale Aufmerksamkeit versprochen und wollten nun ein wenig nachhelfen.

    Und Gewissenskonflikt? Den sollten sie mal bei ihrer sonstigen Politik haben.

     

    Vielleicht kehrt ja der vernünftige Teil der Partei dem Rest den Rücken zu und gründen eine neue USPD. Damit der Wähler auch noch irgendwo wählen kann zwischen CDU und der wahrscheinlich weder tollen noch demokratiegefährdenden Linken...

  • M
    Max

    Entbindung von allen Ämtern und Parteiausschluß ist das einzig konsequente, was die SPD nun mit den drei neuen Abweichlern machen muss. Es geht hier nicht um die Position, die sie einnehmen, sondern einzig und allein um den Zeitpunkt der Bekanntgabe ihrer Entscheidung. Denn damit haben Sie nicht nur ihrer Parteichefin, sondern der gesamten Hessen-SPD einen schweren Imageschaden zugefügt, beide stehen nun vor einem Scherben-Haufen, der nur mühsam wieder aufzukehren sein wird und nicht unwahrscheinlich auch negative Folgen auf die Bundes-SPD haben wird. Mir scheint es, dass es Walter nur um machtpolitisches Kalkül gegangen ist, die Folgen seines Handelns für seine Partei und Parteigenossen wollte er vor Verblendung nicht wahrhaben.

  • SK
    Sascha Klocke

    Die CDU/CSU scheinen ja, wenn man sich ihre Sicherheitspolitik so anschaut, auch ein gespaltenes Verhältnis zum Rechtsstaat zu haben. Und die SPD, die immer schön mitzieht, in Folge auch.

    Und selbst wenn, dann hat es die Linke ja nicht erst seit gestern. Vielleicht hatten sich die beiden Damen ja von ihrer Zeit im Landtag bisher mehr mediale Aufmerksamkeit versprochen und wollten nun ein wenig nachhelfen.

    Und Gewissenskonflikt? Den sollten sie mal bei ihrer sonstigen Politik haben.

     

    Vielleicht kehrt ja der vernünftige Teil der Partei dem Rest den Rücken zu und gründen eine neue USPD. Damit der Wähler auch noch irgendwo wählen kann zwischen CDU und der wahrscheinlich weder tollen noch demokratiegefährdenden Linken...

  • M
    Max

    Entbindung von allen Ämtern und Parteiausschluß ist das einzig konsequente, was die SPD nun mit den drei neuen Abweichlern machen muss. Es geht hier nicht um die Position, die sie einnehmen, sondern einzig und allein um den Zeitpunkt der Bekanntgabe ihrer Entscheidung. Denn damit haben Sie nicht nur ihrer Parteichefin, sondern der gesamten Hessen-SPD einen schweren Imageschaden zugefügt, beide stehen nun vor einem Scherben-Haufen, der nur mühsam wieder aufzukehren sein wird und nicht unwahrscheinlich auch negative Folgen auf die Bundes-SPD haben wird. Mir scheint es, dass es Walter nur um machtpolitisches Kalkül gegangen ist, die Folgen seines Handelns für seine Partei und Parteigenossen wollte er vor Verblendung nicht wahrhaben.

  • SK
    Sascha Klocke

    Die CDU/CSU scheinen ja, wenn man sich ihre Sicherheitspolitik so anschaut, auch ein gespaltenes Verhältnis zum Rechtsstaat zu haben. Und die SPD, die immer schön mitzieht, in Folge auch.

    Und selbst wenn, dann hat es die Linke ja nicht erst seit gestern. Vielleicht hatten sich die beiden Damen ja von ihrer Zeit im Landtag bisher mehr mediale Aufmerksamkeit versprochen und wollten nun ein wenig nachhelfen.

    Und Gewissenskonflikt? Den sollten sie mal bei ihrer sonstigen Politik haben.

     

    Vielleicht kehrt ja der vernünftige Teil der Partei dem Rest den Rücken zu und gründen eine neue USPD. Damit der Wähler auch noch irgendwo wählen kann zwischen CDU und der wahrscheinlich weder tollen noch demokratiegefährdenden Linken...

  • M
    Max

    Entbindung von allen Ämtern und Parteiausschluß ist das einzig konsequente, was die SPD nun mit den drei neuen Abweichlern machen muss. Es geht hier nicht um die Position, die sie einnehmen, sondern einzig und allein um den Zeitpunkt der Bekanntgabe ihrer Entscheidung. Denn damit haben Sie nicht nur ihrer Parteichefin, sondern der gesamten Hessen-SPD einen schweren Imageschaden zugefügt, beide stehen nun vor einem Scherben-Haufen, der nur mühsam wieder aufzukehren sein wird und nicht unwahrscheinlich auch negative Folgen auf die Bundes-SPD haben wird. Mir scheint es, dass es Walter nur um machtpolitisches Kalkül gegangen ist, die Folgen seines Handelns für seine Partei und Parteigenossen wollte er vor Verblendung nicht wahrhaben.