Vier Jahre zur Probe: Gibts den auch im Schnupper-Abo?
Egal ob Fitnessstudio oder Hörbücher, unsere Kolumnistin fällt auf jedes Probeabo rein. Ihren Kanzler muss sie aber noch eine ganze Weile behalten.
I ch bin einer dieser Menschen, die zum Beifang von Abo-Aktionen gehören. An keinem kostenlosen Schnupper-, Kennenlern- und Probe-Abo komm ich vorbei, ohne zuzuschlagen. Ich gehöre aber eben zu der Prozentzahl, die immer pauschal abgezogen wird, wenn bei Aktionsende gezählt wird, wie viele Abos endgültig abgeschlossen wurden. Es ist jene Prozentzahl, die jene Leute beziffert, die vergessen haben zu kündigen, es aber noch tun werden, sobald sie merken, dass sie vergessen haben zu kündigen.
Zum Beispiel zahle ich seit Oktober monatlich 36 Euro an ein Fitnessstudio, in das ich bis heute keinen Fuß gesetzt habe. Erst kürzlich entdeckte ich, dass ich zahlendes Mitglied eines Unternehmens für körperliche Ertüchtigung bin, als ich zufällig mal in meinem Konto nachsah, was da so ganz grundsätzlich los ist. Schlagartig erinnerte ich mich daran, irgendwann irgendwo ein Häkchen im Internet gesetzt zu haben, wo „Freitraining im Fitness-Hub“ dahinterstand und drunter was Kleingedrucktes.
Meistens enden meine kostenlosen Abos so. Also damit, dass noch drei bis sechs Monatsbeiträge fällig werden, ohne dass ich die Ware überhaupt in Anspruch nehme. Weil eigentlich habe ich ja gar keine Lust, ins Fitnessstudio zu gehen, gar keine Zeit, die Hörbücher eines zweiten Hörbuch-Accounts zu hören und die täglichen Rezepte eines Starkochs nachzukochen. Man kann ihnen aber gar nicht entkommen.
Wie die winzigen Stückchen Käse oder Brot, die auf Zahnstocher gepiekst auf Ladentheken stehen und der kostenlose Vorgeschmack auf sündhaft teures Zeug sind, verfolgen einen die Schnupper-Abo-Angebote für Wasserkästenlieferungen, Internetspiele oder Gemüsekisten. Alles ist im Abo erhältlich, alles auch erst mal zum Reinschnuppern. Und das Konzept Schnupper-Abo ist durchaus überzeugend. Schließlich kaufe ich ja auch kein Sofa, wenn ich nicht vorher probegelegen habe, kein Kleid, das ich nicht vorher anprobiert habe. Leider kann man einen Arzt nicht erst mal probeoperieren lassen, bevor man ihm erlaubt, an einem rumzuschnibbeln.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Aber was ist mit der Politik? Verfolgt die nicht auch längst das Konzept Schnupper-Abo? Und ist das eigentlich eine gute Idee?
Es gibt recht viele Wähler, die wünschten, sie könnten ihre Wahl so widerrufen wie die Bestellung einer Ware, die einem nach Ansicht doch nicht gefällt. Eine Legislaturperiode funktioniert ja tatsächlich wie ein Schnupper-Abo: Wenn einem nicht gefällt, was man gewählt hat, macht man nach vier Jahren woanders sein Kreuz, gibt die Ware nach Ansicht zurück.
Nicht wenige aber, darunter Leute, die was von Demokratietheorie verstehen, meinen, vier Jahre seien viel zu kurz. Politiker könnten sich null entfalten, weil sie sich eigentlich ständig im Wahlkampf befinden müssen, also im ständigen Schnupper-Abo-Aktions-Modus. Anstatt der Sache angemessene Entscheidungen zu treffen, entschieden Politiker das, was sie populär verkaufen könnten, damit die Wähler ihre Bestellung nicht rückgängig machten. Beobachten lässt sich das zurzeit gut bei allen Beteiligten des Wiederholungswahlkampfs in Berlin.
Ist es nun richtig, dass sich Politiker wie eine Abo-Abteilung ständig bei den Wähler*innen melden, um sie mit irgendwelchen Schnäppchenangeboten davon zu überzeugen, ihre Bestellung nicht zu widerrufen? Wie wäre es mit Scholz im Schnupper-Abo? Könnte es sein, dass ein gewisser Politikverdruss von diesem Schnupper-Abo-Modus kommt, der einem ständig irgendwas verkaufen will?
Sicherheitshalber sollte man auf jeden Fall öfter die Kontoauszüge checken. Nicht, dass man wieder aus Versehen was angekreuzt hat, für das man später einen hohen Preis zahlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“