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Vier Jahre nach dem Putsch in Myanmar„Die Schlacht um das Kernland der Birmanen“

Die Militärjunta gerät zunehmend in die Defensive, doch die vielen Rebellengruppen haben unterschiedliche Interessen und kein einheitliches Kommando.

Ein Mann steht vor vom Militär zerstörten Häusern in der von Rebellen kontrollierten Kleinstadt Laiza im nördlichen Kachin-Staat Foto: ap

Berlin taz | Myanmars Militär hat in seinem Mehrfrontenkrieg gegen ein Sammelsurium bewaffneter Widerstandsgruppen inzwischen die Kontrolle über mehr als die Hälfte des Landes verloren. Zum vierten Jahrestag des Putsches vom 1. Februar 2021 gegen die Regierung der seitdem inhaftierten Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zählt die renommierte lokale Menschenrechtsorganisation AAPPB 6215 vom Regime getötete Zivilisten und 21.668 politische Gefangene. Weitere 2.900 Tote konnte AAPPB noch nicht verifizieren. Zahlen über getötete Rebellen und Soldaten gibt es nicht. Laut UN sind 3,5 Millionen Birmesen auf der Flucht, die meisten innerhalb des Landes.

Die von ethnischen Guerilla­gruppen kontrollierten Gebiete bilden, wie die Karte zeigt, einen fast geschlossenen Kranz um Zentralbirma, dem Kernland der ethnischen Birmanen. Anders als die Minderheiten leisteten die dominanten Birmanen dort bis zum Putsch keinen bewaffneten Widerstand.

Die Birmanen stellten vielmehr Soldaten und Offiziere der Armee, ihre Familien wurden mit Privilegien bei Laune gehalten. Um so größer der Schock der Putschisten, als es erst in den zen­tralen Regionen Magwe und Sagaing zu Massenprotesten gegen die Junta kam und sich ab Herbst 2021 dort anfangs nur mit Flinten und Macheten ausgerüstete „Volksverteidigungskräfte“ (PDFs) der Gegenregierung (National Unity Government – NUG) im Untergrund formierten.

Die PDFs wurden seitdem von ethnischen Rebellen militärisch ausgebildet. Getrieben von Rache für die Treulosigkeit der Birmanen lässt die Armee Dörfer niederbrennen und bombardieren, Frauen vergewaltigen und Widerstandskämpfer enthaupten.

Überraschend erfolgreiche Rebellenoffensive

Pünktlich zum 4. Putschjahrestag hat „Die Schlacht um das Kernland der Birmanen“ begonnen, titelte das unabhängige Nachrichtenportal Mizzima Ende Januar. Die Arakan Armee (AA) aus der südwestlichen Region Rakhine und die Kachin Independence Armee (KIA) aus dem Kachin-Staat im Nordosten haben zusammen mit PDF-Milizen in der einst zentralen Hochburg der Armee eine neue Dynamik entfacht.

Dabei hat sich die AA immer mehr zur einer entscheidenden Macht entwickelt. Die militärisch gut gerüstete Truppe der Arakaner hat den Rakhine-Staat an der Grenze zu Bangladesch samt den Häfen und Öl- und Gasfeldern am Golf von Bengalen fast komplett unter ihre Kontrolle gebracht.

Als Teil der „Drei Brüder Allianz“ hat die AA zusammen mit der Ta’ang National Liberation Army (TNLA) und der Myanmar National Democratic Alliance Army (MNDAA) seit dem Start ihrer Offensive am 27. Oktober 2023 überraschend große Teile des nördlichen Shan-Staats an der Grenze zu China unter ihre Kontrolle gebracht.

Rebellenarmeen der Chin an der Grenze zu Indien, der Kachin an der Nordgrenze zu China und der Karen und Mon an der Grenze zu Thailand starteten eigene Offensiven.

Experten: Hoffung auf baldigen Kollaps der Junta verfrüht

Daraus aber einen baldigen Kollaps der Junta abzuleiten, halten Myanmarkenner wie David Mathieson und Bertil Lintner für verfrüht. Wie sie kürzlich im Exilmagazin Irrawaddy darlegten, haben die ethnischen Rebellenorganisationen sehr unterschiedliche Interessen.

Zudem spielt China eine entscheidende Rolle. Der südostasiatische Staatenbund Asean und mehr noch der Westen haben laut Mathieson und Lintner bei der Lösung des Konflikts völlig versagt.

Die meisten ethnischen Rebellengruppen kämpfen seit Jahrzehnten gegen die Dominanz des Militärs und der Birmanen. Andere wie die AA und die PDFs sind neu. Nur sechs der größeren ethnischen Rebellenorganisation haben sich mit der Untergrundregierung NUG verbündet.

Unabhängig von ihr agiert die erfolgreiche „Drei Brüder Allianz“. Die mafiöse „United Wa State Army“ sowie zwei weitere ethnische Armeen schlossen mit der Junta sogar einen Waffenstillstand und herrschen seit Jahrzehnten mit einer Mischung aus Drogenhandel, Prostitution, Glücksspiel und legalen Geschäften unangefochten in ihren Territorien im Shan-Staat. Sieben weitere ethnische Organisationen verhandeln derzeit mit der Junta.

Druck aus Peking führt zu Separatfrieden

Peking hat bis hin zu Waffenlieferungen gute Beziehungen sowohl zur Junta als auch zu einigen Rebellengruppen. Die MNDAA stimmte im Januar auf Druck Chinas in Kunming sogar einem Waffenstillstand mit der Junta zu, über den keine Details bekannt wurden. Damit sind die Handelsrouten von und nach China wieder offen.

Laut Mathieson seien die Gruppen im Norden Myanmars zwar China verpflichtet, aber „sicher nicht unter Pekings Fuchtel“. Zudem seien Waffenstillstände in Myanmar nie dazu gedacht, Konflikte politisch zu lösen, sondern um „Gebietsgewinne zu konsolidieren oder militärische Kapazitäten wiederherzustellen“.

Die AA im Westen und ihre Verbündeten in Chin im Nordwesten als auch im Irrawaddy-Delta im Süden fühlen sich China weniger verpflichtet. Die Chinesen sorgen sich um die Sicherheit ihrer wirtschaftlichen Investitionen im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“ im Rakhine-Staat, welche die AA aber garantiert hat.

Andererseits, so Mathieson, benötige die AA ein Mindestmaß an politischer Unterstützung Chinas, um ihre Kon­trolle über den größten Teil von Rakhine zu festigen. „Die AA hat die Beziehungen zu China mit diplomatischem Geschick gestaltet. Das gibt ihr erhebliche Verhandlungsmacht.“ Kürzlich musste sich die AA allerdings öffentlich dafür entschuldigen, gefangene Regimekräfte exekutiert zu haben.

Fast tägliche Luftangriffe des Militärs

Der Bürgerkrieg wird von der Armee wie den Widerstandsgruppen mit äußerster Brutalität geführt. Die Junta verschärfte 2024 mit ihren Luftangriffen auf Zivilisten und die zivile Infrastruktur ihre Taktik der „verbrannten Erde“. Fast täglich gibt es Tote bei Luftangriffen des Militärs, das die unangefochtene Lufthoheit hat, trotz einiger improvisierter Drohnen der Rebellen.

Die nähere Zukunft Myanmars ist ungewiss. Die Widerstandsgruppen sind nur lose miteinander verbunden, die Gegenregierung NUG hat kaum Einfluss. Zwar eint der Widerstand das Ziel einer föderalen Demokratie, doch gehen die Vorstellungen darüber auseinander.

Viele ethnische Gruppen hegen immer noch Misstrauen gegenüber den Birmanen und stellen ihre eigenen Interessen über ein übergeordnetes Ziel. Andererseits sind die Birmanen im Kampf gegen die Junta auf Hilfe angewiesen. Nach deren Sturz dürften die ethnischen Rebellengruppen den Birmanen noch eine Rechnung präsentieren.

Veranstaltungshinweis: „Myanmar. Talking about a revolution“. Taz-Talk in English. Am Donnerstag 30. Januar 19 Uhr mit Ma Thida (Schriftstellerin) und Kyaw Min Swe (Journalist) in der taz-Kantine und im Stream. Infos unter taz.de/talk

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