: Viele, viele Einzelfälle
Von Gareth Joswig
Diese unvollständige Chronik ist in Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen von Betroffenen rechter Gewalt sowie durch Auswertungen von Polizeimeldungen und Presseberichten entstanden. Überregional ist den vernetzten Beratungsstellen längst aufgefallen, dass die Gewaltbereitschaft von AfD-Politiker*innen seit mehreren Jahren zugenommen hat – analog zur Radikalisierung der Partei.
Für Angegriffene stelle dies eine besondere Belastung dar: „Denn sie wissen, dass die Täter*innen von einem breiten Unterstützer*innen-Netzwerk und der Logistik einer rechtsextremistischen Partei profitieren“, wie Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sagt. Zudem fühlten sich viele Angegriffenen vom Rechtsstaat im Stich gelassen – aufgrund von jahrelang verschleppten Verfahren, Täter-Opfer-Umkehr sowie einer Entpolitisierung und Verharmlosung von Angriffsfolgen durch Staatsanwaltschaften und Justiz. Das schwäche das Sicherheitsgefühl von Betroffenen und das Vertrauen in den Rechtsstaat. Betroffen seien insbesondere Journalist*innen, politische Gegner*innen und Personen, die der AfD nicht deutsch genug sind.
Keine andere Partei fällt derart mit Gewalttaten auf. Konsequenzen zieht die Partei höchstens nach öffentlichem Druck.
Februar 2025, Borgsdorf, Brandenburg
Ein AfD-Ortsvorsitzender stößt an einem Wahlkampfstand einen Mann zu Boden. Als dieser versucht aufzustehen, schubst er ihn erneut zu Boden. Die AfD behauptete, selbst überfallen worden zu sein, ein Video belegt allerdings den Angriff des AfD-Politikers.
Februar 2025, Gifhorn, Niedersachsen
Eine gehbehinderte Rentnerin und Teilnehmerin einer Demo gegen die AfD erstattet Strafanzeige gegen den AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Marzischewski-Drewes. Der AfD-Abgeordnete habe die 73-jährige Gehbehinderte gegen eine Wand gedrückt und gewürgt. Zuvor habe sie versehentlich eine Deutschlandfahne abgeknickt, mit der sie ein Teilnehmer einer AfD-Kundgebung bedrängt habe.
Februar 2025, Hergatz, Allgäu, Bayern
Bei Protesten gegen einen monatlichen AfD-Stammtisch des Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuß greifen AfD-Anhänger*innen nach Rangeleien Protestierende an: Ein Demoteilnehmer erstattet Anzeige gegen einen Kreisvorstand wegen gefährlicher Körperverletzung nach Fausthieben, Fußtritten und dem Einsatz von Pfefferspray. Die AfD hängte danach ein Banner am Ortseingang auf – Aufschrift: „Wir vergessen nicht“.
Januar 2025, Strausberg, Brandenburg
Laut Zeug*innen bedroht ein AfD-Stadtratsverordneter Nikolai S. bei einem Auschwitz-Gedenken am 27. Januar in Strausberg mehrere Teilnehmer mit einem Klappmesser. Zuvor gab es laut Teilnehmer*innen von mehreren AfD-Stadtverordneten Drohungen sowie Störungen und Zwischenrufe bei der Gedenkrede. Der Staatsschutz ermittelt zunächst. Dann aber liegt das Verfahren zunächst monatelang bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) in der falschen Abteilung, wie sich nach taz-Anfrage herausstellt. Jetzt würde ermittelt in der Abteilung für politische Strafsachen, heißt es, die politische Dimension sei erst jetzt erkannt worden. Einen aktuellen Stand könne man aber erst nächste Woche melden.
August 2024, Nordrhein-Westfalen
Das Urteil gegen den Chef der Jungen Alternative, Felix Cassel, ist rechtskräftig. Der AfD-Bezirksverordnete in Bonn ist 2019 mit einem Auto in eine Gruppe von Gegendemonstrant*innen gefahren und fuhr dabei einen Mann an. Cassel bekommt wegen gefährlicher Körperverletzungen, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und Unfallflucht sieben Monate Haft auf Bewährung, muss die Verfahrenskosten tragen und Schmerzensgeld zahlen.
Juli 2024, Freiburg, Ba-Wü
Zweitinstanzliches Urteil gegen den AfD-Gemeinderatskandidaten Robert H. Laut Urteil hat er mit Pfefferspray zunächst zwei Jugendliche angegriffen, die ihn als „Fascho“ beschimpfen. Danach attackierte er einen 63-Jährigen und eine 52-Jährige, die den Jugendlichen zur Hilfe kamen. Zunächst versprüht H. auch gegen sie Pfefferspray, dann sticht er mit einem Messer in den Brustbereich des 63-Jährigen. Das Urteil: 120 Tagessätze à 10 Euro. Den Messerangriff wertete das Landgericht als Notwehr.
Juni 2024, Essen, Nordrhein-Westfalen
Der AfD-Kommunalpolitiker Stefan Hrdy spuckt am Rande von Blockadeversuchen beim AfD-Parteitag einer SPD-Politikerin ins Gesicht. Später lässt er sich in Demoteilnehmer fallen und beißt einem Mann ins Bein. Zunächst inszeniert sich Hrdy als Opfer und spricht von Notwehr. Ein Video von der Szene zeigt jedoch: Hrdy geht bewusst in Richtung der Demonstrant*innen, lässt sich fallen und beißt dann dem Mann in den Unterschenkel. Später lässt er sich von der Partei als „Zeckenbeißer von Essen“ feiern und scherzt darüber, dass der Demonstrant ein „bisschen Pfeffer gebraucht“ hätte.
Juni 2024, Schwäbisch-Hall, Ba-Wü
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart stellt nach 12-monatigen Ermittlungen das Verfahren gegen den AfD-Landtagsabgeordneten Udo Stein ein. Sie ermittelte, weil er Gäste einer Shisha-Bar mit einer Softair-Waffe bedroht haben soll. Ihm wurde Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Waffengesetz, versuchte Körperverletzung und Angriff auf Vollstreckungsbeamte vorgeworfen.
Bei den Ermittlungen wurden auch seine Privat- und Büroräume durchsucht. In seinem Landtagsbüro fanden die Polizei dabei ein Messer und Munition. Bei ihm zu Hause ganze 11 Langwaffen, 3 Softair-Waffen und mehr als 1.000 Schuss Munition. Als Jäger war Stein berechtigt, Waffen zu besitzen.
Die Ermittlungen wurden auch eingestellt, weil Stein nach dem Vorfall in der Shisha-Bar zwischenzeitlich in einer psychiatrischen Klinik untergebracht war. Damit konnte eine Schuldunfähigkeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie wurden im Landtag von Baden-Württemberg die Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren: Stein durfte das Parlament nur nach einer Sicherheitskontrolle mit Körperscanner betreten, galt der Polizei als „hochgefährlich“ – sie erhöhte ihre Präsenz in und um den Landtag und stufte den Schutz des Ministerpräsidenten hoch.
April 2024, Berlin
AfD-Bezirksverordneter Kai Borrmann wird drei Jahre nach einem rassistischen Angriff auf eine schwarze Musikjournalistin rechtskräftig verurteilt. Der AfD-Politiker beschimpft eine schwarze Musikjournalistin erst als „N***r“ und schlägt ihr ins Gesicht und beißt ihr in den Arm. Er bekommt eine Geldstrafe zur 180 Tagessätzen à 60 Euro. Die Berufung bleibt erfolglos.
Februar 2024, Sammarei, Bayern
AfD-Stadtrat Robert Schregle drängt einen freien Journalisten laut dem Recherche-Portal „radikal trivial“ bei der Gründung eines Vereins gewaltsam aus dem Saal. Er schubst ihn derart, dass dieser sich demnach am Sprunggelenk verletzt. Schirmherr der Veranstaltung ist ein Landtagsabgeordneter der AfD.
September 2023, Sachsen
Das Landgericht Dresden bestätigt ein Urteil gegen ehemaligen AfD-Landesvorstand und den suspendierten JVA-Beamten Daniel Zabel. Er ist wegen rassistischer Misshandlungen eines tunesischen Häftlings im Juli 2018 verurteilt worden und bekommt wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt 16 Monate auf Bewährung. In einer Chatgruppe hatte er und andere Wächter mit den Misshandlungen geprahlt. Sie hatten Gefangene zu Boden gebracht, geschlagen und getreten. Aufgeflogen waren die Misshandlungen, nachdem Zabel einen Haftbefehl illegalerweise verbreitet hatte. Bei den Ermittlungen wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen fielen bei der Auslesung seines Handys auch die Misshandlungen in der JVA auf.
März 2023, Bayern
Der AfD-Landtagsabgeordnete Ralf Stadler filmt sich selbst dabei, wie er auf einer Zugfahrt von München nach Passau versucht, nicht weiße Personen bei einem Halt aus dem Zug zu stoßen. Zuvor hat er sie als „Pack“ beschimpft. Ein Vorermittlungsverfahren gegen Stadler wird eingestellt.
Mittlerweile soll Stadlers Immunität erneut aufgehoben werden, weil er Daten aus einem Asylbescheid veröffentlicht hat und Migranten als „Pack“ und „Messerstecher“ beschimpft hat, zudem habe Bilder einer brutalen Hinrichtung im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg geteilt haben. Stadler bezeichnete die Vorwürfe als „lachhaft“.
Seine Immunität wurde bereits wegen Volksverhetzung und wegen eines manipulierten Fotos bei Facebook aufgehoben, die Generalstaatsanwaltschaft hatte deswegen Strafbefehle erlassen.
Januar 2023, Baden-Württemberg
Das Oberlandesgericht Karlsruhe verwirft die Revision gegen den ehemaligen Freiburger AfD-Stadtrat und Neonazi-Anwalt Dubravko Mandic. Der war im Jahr 2022 wegen gefährlicher Körperverletzung zu sieben Monaten und einem Jahr Bewährung verurteilt worden.
Er hatte einem Fahrradfahrer mit Tier-Abwehrspray ins Gesicht gesprüht. Der Radfahrer wollte zwei Jugendlichen helfen, die Mandic festhielt, weil diese AfD-Plakate beschädigt hätten. Mittlerweile ist Mandic nicht mehr in der AfD.
Dezember 2022, Brandenburg
Der AfD-Gemeindevertreter Marcel Donsch wird wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte in einem Fall von Selbstjustiz mit zwei weiteren Verurteilten einen Mann, dem er Stalking gegenüber einer Bekannten vorwarf, entführt und misshandelt. Der AfD-Gemeindevertreter und seine Komplizen zerrten den Mann in einen Lieferwagen, entkleideten und fesselten ihn. Dann fuhren sie in ein Waldstück und schlugen ihn zusammen.
Der Verurteilte beschimpfte den Richter. Mittlerweile ist Donsch nicht mehr in der AfD, er ist ausgetreten „wegen der verfehlten Ukraine und Coronapolitik“, aber noch kommunalpolitisch aktiv.
November 2022, Niedersachsen
Urteil zu einer Geldstrafe gegen einen AfD-Kommunalpolitiker: Der Soester Ratsherr und Kreistagsabgeordneter Mirko Fischer schlägt einer Bundestagskandidatin der Linken im September 2021 derart stark gegen den Kopf, dass sie ein Schleudertrauma erleidet. Die Linken-Kandidatin demonstrierte gegen einen Auftritt von Höcke. Der AfD-Kommunalpolitiker ging unvermittelt auf die Gegendemonstrantin zu und griff sie ohne Vorwarnung an.
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