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Video der WochePermanent online

Fast jeder vierte Jugendliche ist internetsüchtig. Berlin will den Betroffenen helfen, doch der Facebook-Gangsta zeigt Teens, dass wahre Player immer online sind.

Das Internet lockt mit seinen Verlockungen überall und zu jeder Zeit. Bild: screenshot vimeo

„Echte Küsse sind besser als ein Chat im Internet.“ Das Land Berlin will mit derart plakativen Statements Kinder und Jugendliche vom Computer weglocken. Natürlich darf eine stylische, englischsprachige Aufmachung nicht fehlen: "Update your life" heißt die Kampagne, die über die Gefahren der Internet-Sucht informieren will.

Mittels Postkarten sollen Jugendliche darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie zu viel Zeit am Computer verbringen und doch lieber außerhalb der eigenen vier Wände etwas unternehmen können. Kurioserweise befinden sich weitere Informationen nicht auf den Karten, sondern stattdessen wird einfach ein Link für diesen Zweck abgedruckt. So ganz ohne das Web scheint es doch nicht zu gehen.

Männliche Jugendliche verbringen nach Experteneinschätzungen mehr Zeit als Mädchen und junge Frauen im Internet. Knapp jeder Vierte soll mehr als 4,5 Stunden am Tag aufwenden, um neben sozialen Netzwerken und Chats auch Entertainment zu suchen.

Dabei ist schon lange klar, warum Kulturpessimismus gegen neue Medien weitgehend erfolgreich ist. Um die höhere Nutzungsdauer der Webangebote zu verstehen, reicht einfach ein Blick auf das Angebot: Smartphones und W-Lan ermöglichen die permanente Vernetzung mit dem Rest der Welt. Ebenso wie ein normaler Telefonanschluss oder das Handy ist das Online-sein nun die neue Norm der Erreichbarkeit. E-Mails und Chats ersetzen Telefonate, SMS und Briefe, auch wenn die Inhalte manchmal den Verdacht aufkommen lassen, dass alles inhaltloser wird.

Der angestaubten Diskussion entsprechend legen wir den Facebook Gangsta ans Herz, der auch den Kollegen vom Land Berlin veranschaulicht, welche Vorteile die Vernetzung rund um die Uhr den Teenagern bietet. Ein Mann, der nach allen Regeln der digitalen Kunst die Plattform ausreizt, um seine Chancen bei den Frauen zu maximieren. Vielleicht folgt auf Flirts und Chats dann bald der Hinweis, dass Schwangerschaften eine Nebenwirkungen sozialer Netzwerke sein können.

Früher flüchteten sich Jugendliche in Bücher, Musik und Magazine, während andere vor der Tür die eigenen Grenzen ausreizten – jetzt ist es das Web und dort bleiben die Teens nicht lange alleine. Mit dem Smartphone können sie sich überall ins Web einwählen, die digitale Vernetzung findet einfach nicht mehr nur Zuhause statt.

Auch Erwachsene können die Vorzüge der sozialen Netzwerke für unterwegs ausreizen, um sich für den freien Beziehungsmarkt attraktiver zu machen. Eine Status-Mitteilung über das Smartphone reicht aus, um unterwegs immer alle Freunde auf dem laufenden zu halten, was man denn gerade unternimmt. Natürlich sollte tunlichst vermieden werden, brisante und anzügliche Details zu verbreiten. Doch am Ende kommt es nur darauf an, wer deine Freunde sind, wie schon offline. Der Facebook-Gangsta entscheidet sich für Facebook-Obama statt für die an ihm interessierte Frau. Soziale Netzwerke sind vielleicht doch eher Verhütungsmittel als Aphrodisiaka.

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3 Kommentare

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  • T
    TheBone

    Das sieht für mich ehr wie eine neue Apple-Facebook Kooperative aus!

  • D
    Data

    Faszinierend.

     

    Der Artikel -im Gegensatz zum Video- betrachtet die Sache aus einer recht theoretischen Perspektive.

     

    Zwei Aspekte könnte man wohl noch stärker hervorheben.

     

    1. Der neuropsychologische Aspekt:

    Die (ständige) Nutzung des Web 2.0 verändert das Gehirn in einer Weise, die immer stärkere Anpassung an eben jene Umwelt bedeutet. Die Fertigkeiten, die in der "Alten Welt" noch viel wichtiger waren verlieren dadurch an Gewicht, etwa die nicht-virtuelle Freizeitgestaltung oder das Aufrechterhalten zwischenmenschlicher Kontakte mittels nicht-virtueller gemeinsamer Aktivitäten. Zudem verändert sich das ins Gehirn eingebaute Belohnungs- bzw. Zufriedenheitssystem. Alles ist irgendwie schneller, aber eben auch kurzlebiger geworden. Hier den goldenen Mittelweg zwischen Vielseitigkeit und Stumpfsinn zu finden ist eine große Herausforderung, gerade für junge Menschen, die überhaupt nichst anderes mehr zu kennen scheinen. Aber wo Internetsucht die Schattenseite ist, ist natürlich die Unbegrenztheit der verfügbaren Informationen und Kontakte die Sonnenseite.

    Ganz sicher steht außer Frage, DASS es diese Veränderung gibt. Bereits vor Jahren konnten britische Forscher zeigen, dass sich das Areal, in dem im Gehirn Bewegung und Koordination des Daumens verarbeitet werden bei Jugendlichen, die viel SMS schreiben in signifikanter Weise gewachsen ist. Und das ist nur einer von vielen Aspekten. Es ist natürlich an uns, diese Entwicklung verstehen zu lernen, und auch in die richtigen Bahnen zu lenken.

     

    2. Der Informationelle Aspekt:

    Das Web 2.0 ist ein größerer Quantensprung für Wissensverbreitung und Kommunikation des Menschen, als es seinerzeit der Buchdruck war. Es bestehen hier unglaubliche Möglichkeiten, die -wenn wir sie gegen den Kontrollwahn der Sicherheitsfreaks durchsetzen können- zu völlig neuen Formen der Nachrichtenverbreitung, Forschung, Kommunikation, Demokratie, etc. führen können. Einige sehen hier vor Allem die Gefahren, etwa die Möglichkeit Bombenbau Anleitungen einfach im Internet herunter zu laden, oder fanatische Propaganda zu verbreiten. Andere betonen widerum vor Allem die guten Seiten, die Möglichkeiten etwa zur freien und umfassenden Urteilsbildung sowie Meinungsäußerung. Auch gilt es u.U. einen schmalen Grat entlang zu gehen.

     

    Was auf jeden Fall nicht schaden kann, und was ja auch bereits im Artikel anklingt, ist die positiven Dinge der "Alten Welt" nicht zu vergessen, und sowohl aufleben zu lassen, als auch diese im Internet zu bewerben.

     

    Vor jeder Neuerung hatten die Menschen zunächst Angst, die Älteren mehr als die Jüngeren. Und viele Neuerungen haben der Menschheit tatsächlich auch neue Gefahren gebracht. Aber die meisten neuerungen haben eben auch einen wunderbaren Fortschritt ermöglicht. Und das Web 2.0 ist ein Werkzeug von schier unendlicher Macht. Man muss dieses Werkzeug nur eben auch sinnvoll einsetzen können. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt. Aber auch Aufklärung und frühzeitiger Unterricht. Etwas zu verteufeln ist dagegen völlig sinnfrei.

     

    Völlig fasziniert: Data.

  • KD
    Kai Deckler

    Ein sehr alter Spruch besagt, "Die Dosis macht das Gift", doch eventuell liegt es auch an unserer Gesellschaft, die uns auf Pfade schickt, die uns immer mehr von der Natur u. unseren eigentlichen Wesen abbringt.