Video der Woche: Mein Nagellack gehört mir
Verschleiern reicht in Saudi-Arabien nicht aus, um Sittenwächtern gefällig zu sein. Auch bunte Nägel sind verpönt. Eine Frau machte sich jetzt stark für ihren Nagellack.
BERLIN taz | Das Video ist künstlerisch nicht wertvoll, wurde aber in kurzer Zeit über eine Million Mal geklickt: In einem saudi-arabischen Einkaufszentrum wollen freiwillige Sittenwächter eine korrekt verschleierte Frau rausschmeißen und nach Hause schicken. Weil sie Nagellack trägt.
Dass in Saudi-Arabien Frauen vieles verboten ist, ist nicht neu, neu ist aber, dass sich eine saudische Frau lautstark, aktiv und mit Androhung der Veröffentlichung des Videos den selbst ernannten Wächtern stellt. „Was willst du dagegen machen?“ echauffiert sie sich gegenüber den gestrengen Bartträgern, „ich werde nicht gehen, denn es geht euch nichts an, ob ich Nagellack trage“, schimpft die Frau, die ihr Gesicht im Video nicht zeigt.
„Ihr seid nicht für mich verantwortlich, eure Aufgabe ist es nur, die Menschen zu beraten“, meckert sie engagiert. Und Recht hat sie. Nach ganz altem islamischen und auch nach ganz neuem saudischen Recht. Die muslimische Sittenordnung nach dem Propheten Mohammed gibt klar vor, dass von einer Frau „das Gesicht, die Hände und die Füße" in der Öffentlichkeit zu sehen sein dürfen und sie sich nur vor ihrem Ehemann aufgebrezelt zeigen darf. Ein Mann hat ohnehin auf den Boden zu schauen, wenn ihm eine Frau begegnet, besser noch: die Straßenseite zu wechseln.
Am Ende ist es der Mann, der entscheidet
Nun herrscht in Saudi-Arabien aber die Auslegung der Heiligen Schriften nach Ibn Abd al-Wahhab, der sich bereits im 18. Jahrhundert dagegen aussprach, die ohnehin streng ausgelegten Verhaltensregeln der arabischen Halbinsel auch nur ansatzweise den modernen Zeiten anzupassen. Also werden Dinge verboten, die traditionell auch im arabisch-islamischen Brauch verhaftet sind. Zwar ist moderner Nagellack nicht ganz mit dem althergebrachten Färben der Fingerspitzen durch Henna zu vergleichen, auf jeden Fall aber auch kein offizielles Vergehen. Oder doch?
Am Ende ist es der Mann, der entscheidet. Über seine Verführbarkeit durch z.B. die in sinnlichen Farben bemalten Fingernägel einer verhüllten Frau, denn jeder kleine Koranschüler lernt den Ausspruch des Propheten, dass „die Frauen die größte Versuchung auf Erden“ darstellen. Ob die im Video zu sehenden Herren sich nun ob des Nagellacks sexuell belästigt oder gar angeregt sehen, ist nicht berichtet, oft wollen die Traditionalisten aber natürlich auch einfach nur ihre Macht demonstrieren. Die Vermutung liegt nahe, dass der freiwillige Job der Sittenwacht-Assistenz ohnehin von moralinsauren Hardlinern aus der Charakterliga, aus der sich auch die NS-Blockwarte rekrutiert haben, bestritten wird.
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Der schlimme Wolf schlummert im schwarzen Umhang
Dass diese Freiwilligen ihre Macht missbrauchen, ist sogar in Saudi-Arabien bereits dokumentiert. Denn nichts ist leichter, als sich einen moralischen Schafspelz (hier: einen großherrschaftlichen schwarz-goldenen Umhang) anzuziehen, um dann Frauen anzusprechen – was natürlich für Nicht-Sittenwächter unmöglich und unter Androhung von hohen Strafen verboten ist. Die Vorgaben der saudischen Religionspolizei, die als jeweils lokale Sittenpolizei übrigens auch in vielen anderen arabischen Ländern anzutreffen ist, haben sich seit Januar 2012 ein wenig gelockert.
Scheich Adullatif Abdel Asis as-Scheich wurde neuer Chef der Moralhüter und erließ per Dekret, dass die Religionspolizei und ihre eifrigen Helferlein Frauen nicht mehr mit ihren Forderungen belästigen sollen und auch keine harten Strafen (früher gab es z.B. unerwartete Schläge von hinten auf den Kopf, wenn das Tuch nicht richtig saß) mehr geben darf.
Dass dieses Dekret und vor allem der lautstarke Widerspruch der Filmerin in der arabischen Welt keine Fans findet, ist das am meisten Verwundernde unseres Videos der Woche: in den ca. 12.000 Kommentaren unter dem Video entzürnen sich die meisten, dass die Unfolgsame eine „Schlampe“ oder „Hure“ sei, 8.000 drückten den „gefällt mir nicht“-Button im Vergleich zu 1.700 „likes“.
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