Verzweifelte Jugendliche in Hamburg: Vorwürfe gegen Jugendeinrichtung
Bewohner einer Hilfeeinrichtung protestieren wegen mangelnder Versorgung. Ein Jugendlicher verletzte sich selbst. Der Träger bestreitet die Vorwürfe.
Laut Bundespolizei stand in der Nacht zum folgenden Freitag ein Jugendlicher aus einer Jugendeinrichtung, der vom Alter her passt, um zwei Uhr morgens auf dem Betriebsgleis 13 mitten im Hamburger Hauptbahnhof, zu dem sonst nur Bauarbeiter und Bahnbeschäftigte Zugang haben. Wie ein Sprecher der Bundespolizei berichtet, wurden die Gleise im Hauptbahnhof kurzfristig gesperrt, um den Jungen aus dem Gefahrenbereich heraus zu holen. „Da konnte dann auch gar kein Zug mehr fahren“. Weil er den Beamten der Bundespolizei „so ein bisschen abwesend“ schien, habe man ihn zunächst von einem Rettungswagen-Team untersuchen lassen. Weil aber alles in Ordnung schien, ihn nach Rücksprache mit den Betreuern per Taxi zurück in die Jugendeinrichtung geschickt. Der Junge habe keine Suizidabsicht geäußert, sagt der Sprecher. Gleichwohl ist die Frage, was der Junge dort suchte.
Schon am Mittwochvormittag waren rund 20 Jugendliche zum Fachdienst Flüchtlinge für Minderjährige gegangen, um sich zu beschweren. Als sie dort nichts wurden, zogen sie weiter zum Kinderschutzbund. Zurück im Heim drehten sie elf Videos auf Dari, die die taz übersetzen ließ. „Ich bin seit einem Jahr in dieser Einrichtung und wir sind ohne Vormund“, sagt ein Jugendlicher. „Wir haben kaum etwas zu essen, die Küche ist fast immer zu“, sagt er. Im Zimmer seien sie zu viert. „Wir können nicht lernen. Wir haben viele psychische Probleme.“
Die taz erhielt auch Videos aus Zimmern, in denen zusätzliche Etagenbetten stehen. Dazu ein Film vom Frühstücksraum, der zwei schlaffe Toast-Packungen und eine karge Tafel zeigt. Dienstag und Mittwoch habe es nichts Richtiges zum Frühstück gegeben, sagt ein Jugendlicher. Fast nur Toast und Orangensaft, kaum etwas zum Belegen wie Marmelade oder Käse. Und mittags gebe es für alle, die noch nicht zur Schule gehen und dort essen, nur etwas sehr Einfaches wie Milchreis. Von dem bekomme er Magenschmerzen, sagt ein Junge. „They dont give us protein“, sagt sein Kumpel.
Skepsis gegenüber dem Träger
Es war eigentlich eine gute Nachricht, als vor gut einem Jahr bekannt wurde, das der für seine Kitas bekannte Sternipark eine Erstversorgungseinrichtung für junge Geflüchtete in Hamburg-Bahrenfeld eröffnet. Denn der Stadt fehlten Plätze. Zuletzt mussten Minderjährige in einer Turnhalle schlafen.
Doch im Bezirk Altona, wo die Einrichtung mit ihren zunächst 48 Plätzen eröffnete, herrschte Skepsis. Die Bezirksversammlung stimme der Einrichtung zu, heißt es in einem Beschluss aus Dezember 2022. Die Trägerwahl werde allerdings „infrage gestellt“ und das Konzept als „unzureichend“ erachtet.
Im Mai hatte die taz von ersten Beschwerden über das Essen gehört. Zwei Jugendliche, die inzwischen nicht mehr dort wohnen, hatten gefordert, das Essensgeld ausgezahlt zu bekommen, um sich selber zu verpflegen. So war es in vergleichbaren Einrichtungen der Stadt damals üblich. Bei Sternipark wird für die Jugendlichen gekocht, was offenbar zu Reibung führte. Der Träger zeigte der taz einen abwechslungsreichen Speiseplan. Zudem war es den Bewohnern damals möglich, Essen aus der Speisekammer zu holen und in den Gruppenküchen selbst zu kochen. Das soll nun nicht mehr möglich sein, berichten die Jugendlichen. Die Kammer sei abgeschlossen.
Beim Träger hält man es indes für ausgeschlossen, dass die Jugendlichen kein Frühstück bekommen. Ihnen stehe von 6 Uhr bis 10.30 Uhr ein „reichhaltiges Frühstücksbuffet“ mit Käse, Wurst, Marmeladen, Honig, Gemüse, Cornflakes, Müsli und Getränken zur Verfügung. Das werde bei Bedarf aufgefüllt, erklärt Geschäftsführerin Leila Moysich. Allein in dieser Woche seien am Montag und Donnerstag zusammen 130,2 Kilo Brot geliefert worden, davon 100 Kilo Toastbrot.
Es ist „voller geworden“
„Es ist in der Einrichtung voller geworden“, räumt Moysich ein. Das Haus sei statt mit 48 jetzt mit 67 Jugendlichen belegt. In den sechs größeren Zimmern stünden jetzt zwei statt eines Hochbetts. Man versuche mit der Stadt weitere Kapazitäten zu schaffen, „damit die jungen Menschen nicht in Zelten oder Turnhallen übernachten müssen“.
Es gäbe zudem häufiger Wechsel, weil Jugendliche volljährig werden oder in Anschlussmaßnahmen kommen. Da müsse sich jeder erst einleben und mit den Regeln vertraut machen, sagt Moysich. „Das ist ein Lernprozess.“ Dass Jugendliche noch keinen Vormund haben, liege Außerhalb der Zuständigkeit der Einrichtung. Arztbesuche fänden statt, im letzten Quartal seien es fünf pro Jugendlichem gewesen.
Lisann Mayer von der Hamburger Ombudsstelle für Kinder- und Jugendhilfe sagt, an ihre Fachstelle wendeten sich seit Mai immer wieder junge Menschen aus der Theodorstraße. „Die Beschwerden gehen ums Essen, aber auch um Diskriminierung, um mangelnden Gesundheitszugang und die Beschreibung psychischer Notsituationen.“ Die Fachstelle habe Ende Mai ein Fachgespräch mit Sternipark geführt, würde aber gern an Gruppenabenden im Haus teilnehmen. „Dazu ist es bislang nicht gekommen.“ Nach Ansicht der Sozialarbeiterin brauchen die Jugendlichen dringend Gehör. Mayer hält auch die Vierbettzimmer für zu eng und „nicht tragbar“. „Das ist keine Alternative zu Zelten und Turnhalle“, sagt Mayer, „da muss eine dritte Lösung her.“
Die Sozialbehörde erklärt dazu, man müsse die gesamte Lage der Stadt beachten, es gehe darum, noch weniger Zumutbares abzuwenden. Der Kinderschutzbund bestätigt, dass 20 Jugendliche bei ihm waren, will sich zu Details nicht äußern.
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