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Verzichtsdebatten im UrlaubKlimasommer mit Enkeln

Wasserknappheit und Baguette-Kilometer: Wenn die Umweltkrise ins Urlaubsidyll eindringt, balanciert man zwischen Moral und Genuss.

Ein Paddler auf dem Verdon: Frankreich erlebt in diesem Sommer die größte Dürre ihrer Geschichte Foto: Daniel Cole/ap

#x201E;Rasensprengen und Blumengießen sind zu unterlassen“, heißt es schon seit Jahren, aber diesmal kam etwas dazu. „Ihr könnt Euer Wasser am Friedhof von O. holen, da ist ein Wasserhahn.“ Als wir verdutzt blickten, klärte uns der Bürgermeister auf. Die Behörden hatten den Bürgern des kleinen Ort im Jura, an dem wir seit vierzig Jahren die Sommer verbringen, nahegelegt, das Leitungswasser nicht mehr zu trinken. Die Grenzwerte wegen des Pflanzenschutzmittels, das die Bauern der Umgebung überreichlich auf die Maisfelder gekippt hatten, werden nicht erreicht, aber wer zur Vorsicht neigt, holt sich das Wasser nun aus dem Brunnen des Nachbardorfes.

Die Umweltkrise war in den Alltag unserer Sommeridylle eingedrungen. Es war nicht nur das Wasser. Zum ersten Mal seit vierzig Jahren nisteten keine Schwalben an der Scheune nebenan. Im oberen Jura, einer der feuchtesten Gegenden Frankreichs, brannten vier Quadratkilometer Wald ab. Und am 28. Juli, früher als sonst, kam die Meldung vom Earth Overshoot Day: Die Menschheit habe an diesem Donnerstag die Ressourcen aufgebraucht, die ihr in diesem Jahr zustehen.

Im Fluss konnten wir noch baden wie immer, aber die Knappheit in einer Welt, die zur Neige geht – sie wurde zum leisen Dauerthema in dieser Sommerfrische: Müsst ihr eigentlich dreimal am Tag duschen? Müsst ihr solange spülen für das bisschen Pipi, Jungs? Eigentlich kann man das Abwaschwasser auch auf die Rosen gießen … Der Achtsamkeitsdiskurs weitete sich aus: Muss man das Licht nachts brennen lassen, nur weil Neulinge auf der Wendeltreppe stolpern könnten? Dass ich mit dem Auto (6,3 Liter auf 100 km) jeden Morgen fünf Kilometer fuhr, um beim besten Bäcker weit und breit Baguettes zu holen, kam überhaupt nicht gut an. Und war nicht selbst die nächtliche Boule-Partie im Schein von Handys und einer Taschenlampe schon eine kleine Sünde? Man hält solchen Rigorismus nicht ewig durch, und als irgendwann, beim dritten Kaffee am Morgen die Gespräche über den Palmölgehalt in Nutella und den Zuckeranteil im Fertigmüsli wieder ansetzten, provozierte mich das zu dem absurden Satz: „Alles gut, aber ich gebe zu bedenken, dass ein SUV-fahrender, Kette rauchender Ingenieur mit 120.000 Flugkilometern, der an der Solarisierung Afrikas arbeitet, mehr für die Erhaltung des Planeten tut als siebzig von uns, die auf Palmöl und Fleisch verzichten. Wenn wir nicht Politik machen, ist das alles vergebens.“

Da blickten die moralischen Teenies erschreckt auf, und mein Glaubwürdigkeitsbonus schmolz schneller als der Rhônegletscher. Es ist natürlich völlig irrsinnig, die kleinen Revolutionen des Alltags gegen die großen politischen Hebel auszuspielen, aber aus den Widersprüchen kommt zur Zeit wohl niemand raus. Der mich morgens noch gerügt hatte wegen meiner Baguette-Kilometer, sagte am Nachmittag: „Dass wir das alles noch wenden können, ist die unwahrscheinlichste aller Hypothesen.“

Mathias Greffrath

Mathias Greffrath

lebt als freier Autor für Print und Radio in Berlin. Er ist Herausgeber von „RE: Das Kapital. Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert“ (Kunstmann, 2017).

Die Schlagloch-Vorschau:

24. 8. Robert Misik

31. 8. Charlotte Wiedemann

7. 9. Georg Diez

14. 9. Jagoda Marinić

21. 9. Georg Seeßlen

Ich bin umgeben von Freunden, Kollegen, Familienangehörigen, denen wie mir der Boden unter den Füssen bebt und die Seele dazu, weil sich die Krisen ineinanderschieben: Klima, Artenschwund, Ungleichheit, Ressourcenkämpfe, Corona und nun noch der heiße Krieg. Und dazu eine Regierung, die den Bürgern versichert, wir werden schon durch den Winter kommen, you’ll never walk alone, und die Steuern werden gesenkt. Eine Zeitenwende ist das jedenfalls nicht, und an der Mechanik des mediengetriebenen Parlamentarismus zerbröselt jeder radikalere Gedanke.

Also: Was kann man denn, was müsste man tun, wenn man das wirklich mal ernst nimmt: das Gerede von den Enkeln, an denen wir uns versündigen? Was sind wir noch schuldig, die so alt waren wie Greta, als die „Grenzen des Wachstums“ erschienen? Zuallererst wohl: Illusionslosigkeit verbreiten. Das heißt: keinen Hehl mehr daraus machen, dass es auf absehbare Zeit schlimmer werden wird. „In Zeiten zunehmenden Chaos werden die Menschen Schutz durch Tribalismus und Streitkräfte suchen“, schrieb Jonathan Franzen vor ein paar Jahren, und weiter: „Jede Bewegung in Richtung einer gerechteren und zivilgesellschaftlicheren Gesellschaft muss als sinnvolle Klimamaßnahme angesehen werden. Die Bekämpfung extremer Vermögensunterschiede ist eine Klimaschutzmaßnahme. Die Abschaltung der Hassmaschinen in sozialen Medien ist eine Klimaschutzmaßnahme. Eine humane Einwanderungspolitik, eine freie und unabhängige Presse zu unterstützen, das Land von Angriffswaffen zu befreien – das alles sind sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen.“

Und das heißt, wenn man es ernst meint mit dem aufgeklärten Gewissen, müsste man sich wohl noch einmal ins Getümmel begeben, wenn man sich nicht verzweifelt abwenden will, in die wohldotierte Idylle fliehen oder sein Seelenheil im Veganismus finden. Die Kraft aber, die Indirektheit des Handelns und die Umwege der Politik, die Ödheit der Ortsvereine oder die Langeweile der Wiederholungen zu ertragen, die entsteht und wird geübt gefestigt im Kleinen, wo sie als Alltagsmoral eingeübt wird. Und sei es bei der Wasserspülung, dem Palmölgehalt oder dem Lichtschalter. Kohärenz überzeugt, auch wenn sie anstrengt. Gut, es gehört wohl auch dazu, der Moral ein paar unscharfe Ränder zuzugestehen und gelegentlich ein wenig Benzin zu vergeuden: Wozu die Welt retten, wenn auf dem Weg dahin der Geschmack für das gute Brot verloren geht? Schönheit, Genuss, Weltliebe und Radikalität sind auf vielfältige Weisen miteinander verbunden.

Am Ende des Sommers flogen wir an einem stillen Morgen mit dem Heißluftballon über eine Landschaft geselliger Dörfer und überschaubarer Felder; ein Luxus, aber in mir kam ein Gefühl auf wie damals, vor einem halben Jahrhundert, als die ersten Fotos des blauen Planeten vom Mond kamen.

Selbst bei Kleinigkeiten wie der Wasserspülung: Kohärenz überzeugt, auch wenn sie anstrengt

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