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Verurteilter Bürgermeister von IstanbulNicht mehr zu stoppen

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Der türkische Präsident Erdoğan kann Istanbuls Bürgermeister Imamoğlu an einer Kandidatur bei den Wahlen hindern. Dessen Aufstieg ist dennoch gewiss.

„Ich werde nicht verschwinden!“: Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu am 14. Dezember in Istanbul Foto: Onur Gunal/Stadt Istanbul/reuters

Ich bin noch jung, ich werde nicht verschwinden“, sagte der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu am Mittwochabend nach seiner Verurteilung vor einer begeisterten Menschenmenge. Genau das scheint der Albtraum des Dauerregenten und Autokraten Recep Tayyip Erdoğan zu sein. Wenn einer ihn bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im Frühjahr besiegen kann, dann Imamoğlu.

Selbst wenn das Unrechtsurteil gegen ihn letztlich seine Kandidatur verhindern sollte, werden für Imamoğlu weitere Gelegenheiten folgen. Politisch ist der linksbürgerliche Republikaner das Gegenteil vom religiösen Traditionalisten Erdoğan. Doch als Redner, der die Massen begeistern kann, erinnert er an den Erdoğan vor 20 Jahren.

Während Erdoğan die Türkei in den letzten Jahren in das Lager der autoritären Regime geführt hat, steht Imamoğlu wie das gesamte Opposi­tionsbündnis für die Rückkehr zur Demokratie. Er will die Abschaffung des Präsidialsystems, das Erdoğan mit allen Mitteln durchgesetzt hat, um seine Macht abzusichern, und das Parlament wieder zu einem Ort politischer Entscheidungen machen.

So wie Erdoğan als ehemaliger Oberbürgermeister von Istanbul in den 90er Jahren seine schier unglaubliche politische Karriere begann, sieht es jetzt so aus, dass auch die politische Wende für die Türkei wieder von Istanbul aus­gehen könnte.

Das Urteil gegen Imamoğlu ist alles andere als ein Schlusspunkt, mit dem Erdoğan seinen wichtigsten Rivalen ausschaltet. Es wird im Gegenteil den Beginn einer neuen Ära markieren, selbst wenn Imamoğlu im kommenden Frühjahr nicht kandidieren darf.

Für alle BürgerInnen, die die Autokratie ablehnen, ist klar: Die nächsten Wahlen sind die entscheidende Wegmarke für die Zukunft des Landes, und sie werden sich für jeden Kandidaten einsetzen, den die Opposition nominieren wird. Am liebsten für Imamoğlu selbst, zur Not aber auch für jeden anderen Oppositionellen, der gegen Erdoğan nominiert wird.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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2 Kommentare

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  • Gerne würde ich den hier verbreiteten Optimismus teilen, allein, mir fehlt der Glaube.



    Die Türkei hat sich leider sehr weit von der Demokratie entfernt, die Hoffnung, dass sich das noch einmal ändert, stirbt zuletzt.

  • Sorry. Aber ist das zum derzeitigen Zeitpunkt nicht etwas wirr?



    Wenn ich’s recht weiß geht Imamólu ins Rechtsmittel der Berufung.



    Was einen Ausschluss von einer Kandidatur auf weiteres blockiert!



    Wann & wie - trotz Erdogans Schatten eine Entscheidung ergeht - ist ungewiss.



    Im Ausblick stimme ich zu. Im Ausgang bin ich eher unsicher - ob‘s für den Langen nicht fatalerweise doch noch mal langt!



    Denn. Mit dem Rücken zur Wand & im NATO-europäischen Aufwind -



    Wird er vor brutalstmöglichen Tricksereien nicht zurückschrecken!



    & Selam ordaki =>



    Darauf versteht er sich! Wie alle klerikalgesteuerten •