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Vertriebenenmuseum in Berlin eröffnetFallen vermieden, Irritation bleibt

Das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ zeigt die Flucht von Menschen aus vielen Jahrzehnten – und sorgt für kontroverse Debatten.

Dieser Hand­wagen wurde auf einem der langen Trecks der Vertriebenen aus Ost­preußen genutzt Foto: Markus Gröteke/Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung

„Was bedeutet die Eröffnung des Dokumentationszentrums für Sie?“ Mit dieser Frage werden Be­su­che­r:in­nen des gerade in Berlin eröffneten Dokumentationszentrums Flucht und Vertreibung gleich zu Anfang der Ausstellung zur Abstimmung gebeten. Ein inklusives Museum wolle man sein, sagte die Direktorin Gundula Bavendamm schon beim Festakt am Montag. Überhaupt wählte sie ihre Worte vorsichtig, denn über das Dokumentationszentrum wurde lange diskutiert.

Kritik erntete vor allem der Fokus auf deutsche Vertriebene, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Ostgebieten nach Deutschland umsiedeln mussten. Die Befürchtung: Die Schuld des Nationalsozialismus würde durch das Einnehmen der Opferrolle zurückgedrängt. So werden unter dem Museumsdach, zentral nahe am Potsdamer Platz in Berlin gelegen, nun auch Fluchtbewegungen im 20. Jahrhundert allgemein vorgestellt.

Doch kann das funktionieren, die Vertreibungen rund um den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg in Zusammenhang mit jüngeren Fluchtbewegungen zu setzen? „Auf der Flucht ähneln sich die Erfahrungen“, heißt es eingangs auf einer Infotafel. „Die konkreten Ursachen und Folgen von Zwangsmigrationen sind dagegen sehr unterschiedlich.“

Im 20. Jahrhundert, das wird im Dokumentationszentrum deutlich, fliehen beinahe ständig irgendwo Menschen. Sei es der Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakis­tan, der Zerfall Jugoslawiens oder die Teilung Oberschlesiens nach dem Ersten Weltkrieg – neue Grenzen machen die Menschen zu Fremden in ihrem eigenen Land.

Aktuelle Fluchtbewegungen finden dabei ebenfalls Platz in der ersten Etage des Dokumentationszentrums. So ist in einer Vitrine das arg lädierte Smartphone von Bassem zu sehen, einem syrischen Geflüchteten, der sich mit dem Handy den Weg durch Europa navigierte. Zudem hat er seine Flucht mit Fotos dokumentiert, durch die sich die Be­su­che­r:in­nen nun klicken können.

Integration als Erfolgsgeschichte

Die Bilderauswahl irritiert dabei jedoch zunehmend: Fotos von vollen Tellern in der Türkei und Halberstadt, dem Flughafen von Beirut oder dem Willkommensarmband um Bassems Handgelenk erschaffen beinahe den Eindruck, Flucht sei heute nicht viel mehr als eine aufwendige Reise.

Überhaupt erscheint die Integration von Geflüchteten in Deutschland im Dokumentationszentrum als Erfolgsgeschichte. Lebensgroß erzählen auf Videobildschirmen einstige Geflüchtete von ihrem neuen Leben in Deutschland. Darunter etwa Dat Vuong, der als Kind nach dem Vietnamkrieg aus Südvietnam floh und heute das bekannte Restaurant „Monsieur Vuong“ in Berlin-Mitte betreibt.

Neben den Boatpeople und Geflüchteten aus Jugoslawien erzählt auch Christine Rösch ihre Geschichte auf dem großen Bildschirm. Die 92-Jährige hatte schon beim Festakt am Montag die Bedingungen ihrer Flucht 1946 aus dem Kuhländchen im heutigen Tschechien geschildert. Nur mit wenig Gepäck musste die damals 16-Jährige ihre Heimat verlassen, in der ihre Vorfahren seit annähernd 700 Jahren gelebt hatten.

Denkbar passender Zeitpunkt

Die unterschiedlichen Fluchtgeschichten so nebeneinander zu sehen irritiert schon. Man wird so beinahe dazu angehalten, die Erlebnisse zu vergleichen: Dabei könnten die Flucht­ursachen von Syrer:innen, Ostpreußen oder auch Jü­d:in­nen im Nationalsozialismus unterschiedlicher kaum sein.

Das Zentrum

Dokumentationszentrum Flucht Vertreibung Versöhnung, Stresemannstraße 90 in Berlin. Der Eintritt ist frei.

Das Dokumentationszentrum eröffnet in einer denkbar passenden Woche. Der Überfall auf die Sowjetunion jährte sich zum 80. Mal, zudem wurde der Weltflüchtlingstag begangen. Dass heute so viele Menschen auf der Flucht sind wie nie zuvor, betonte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Ansprache am Montag.

Wie die Ideengeber des Museums politisch zur Thematik stehen, ist dabei nicht ganz leicht zu klären. Anstoß für ein Vertriebenenmuseum hatten 1999 der SPD-Politiker Peter Glotz und die damalige CDU-Abgeordnete Erika Steinbach gegeben. Steinbach, mittlerweile parteilos und der AfD nahestehend, ist zum Festakt am Montag nicht erschienen und war bis vor einigen Jahren noch Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV).

Keine Schuldzuweisungen

Die Vertriebenenbünde gerieten immer wieder in die Schlagzeilen wegen der NS-Vergangenheit einiger Mitglieder und Forderungen nach der „Wiedergewinnung der Heimat“. Im Dokumentationszentrum wird das zumindest angerissen: Die Mehrheit der Sudetendeutschen habe damals den Anschluss an das Deutsche Reich befürwortet, heißt es.

Das zweite Obergeschoss ist schließlich ganz den deutschen Vertriebenen nach dem Krieg gewidmet. 14 Millionen Menschen mussten aus ost-, mittel- und südosteuropäischen Gebieten fliehen, mehr als 600.000 sind dabei ums Leben gekommen. Hier haben die Mu­se­ums­ku­ra­to­r:in­nen gute Arbeit geleistet. Auf Schuldzuweisungen, etwa in Richtung der Sow­jet­union, die die Ostgebiete einnahm, wird verzichtet. Immerhin, so erfährt man in der Ausstellung, hat auch die britische Regierung die Aussiedlung deutscher Minderheiten aus Ost- und Mitteleuropa befürwortet.

Auch liest die Besucherin, dass die Zwangsumsiedlung deutscher Bevölkerungsgruppen nicht erst nach Kriegsende einsetzte. Im Rahmen des Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags von 1939 drängten SS-Dienststellen mehr als eine halbe Million Deutsche, ihre Heimat im Baltikum, Polen und Rumänien zu verlassen und „heim ins Reich“ zu kommen – meist in die von Nazideutschland annektierten Teile Polens.

Kinder suchen ihre Eltern

Während auf der zweiten Etage zunächst die politischen Gründe für die Vertreibung der Deutschen mittels genauer Karten und historischer Erklärungen deutlich gemacht werdend, rücken später persönliche Schicksale in den Vordergrund.

„Diese Kleinkinder suchen ihre Eltern“ steht auf einem Plakat mit Bildern allein aufgefundener Kinder, auch weiße Armbinden, die die Deutschen in den Ostgebieten nach dem Krieg als Erkennungsmerkmal tragen mussten, sind zu sehen. Hier ein Teddybär, dort ein Kaffeeservice aus einer sudetendeutschen Heimatstube – gegen Ende wird die Ausstellung doch etwas rührselig.

Doch bei den Be­su­che­r:in­nen kommt das gut an. Immer wieder lassen sich vor den Vitrinen Senioren belauschen, die in Erinnerungen an die eigene Kindheit schwelgen. Überhaupt scheint der Altersdurchschnitt hoch an diesem Eröffnungstag. Die meisten Be­su­che­r:in­nen sind deutlich über 60.

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