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Verteilung GeflüchteterEU-Kommission will Deutschland entlasten

Ab kommendem Jahr soll Deutschland keine Geflüchteten mehr aus Europas Grenzstaaten aufnehmen. Der Vorschlag der EU-Kommission sorgt für Unmut.

Ankunft von Migranten auf der spanischen Insel El Hierro am 24. Oktober Foto: Antonio Sempere/Europa Press/imago
Eric Bonse

Aus Brüssel

Eric Bonse

Deutschland muss ab 2026 wohl keine Flüchtlinge aus Griechenland oder Italien aufnehmen, um diese Länder zu entlasten. Kleine EU-Länder wie Luxemburg sollen dagegen mehr Solidarität üben. Dies sieht ein Vorschlag zum neuen „Solidaritätspool“ in der Asyl- und Migrationspolitik vor, den die EU-Kommission in Brüssel vorgelegt hat. Der verspätete Vorstoß sorgte für Ärger und Verwirrung.

Ursprünglich wollte EU-Migrationskommissar Magnus Brunner seinen Plan schon Mitte Oktober vorlegen. Doch da Deutschland und einige andere EU-Staaten viele Änderungswünsche hatten, hat Brunner die Vorstellung immer wieder aufgeschoben. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) habe Druck gemacht, heißt es in Brüssel. Offenbar wollte er durchsetzen, dass Deutschland entlastet wird.

Tatsächlich steht das größte EU-Land nun auf einer Liste von Ländern, die hohem „Migrationsdruck“ ausgesetzt sind. Neben Deutschland betrifft dies nach Ansicht der EU-Kommission auch Belgien, Bulgarien, Estland, Irland, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, die Niederlande, Polen und Finnland. Sie können Hilfe aus dem Solidaritätspool beantragen und müssen keine neuen Lasten übernehmen.

Was das in der Praxis bedeutet, ist unklar, denn der Vorschlag der Kommission wird geheim gehalten. Er muss zunächst noch von den 27 Mitgliedsstaaten abgesegnet werden. Das soll noch im Dezember erfolgen – in einer Sitzung des Rates, ohne Beteiligung des Europaparlaments. Sowohl das intransparente Verfahren als auch der Inhalt des Vorschlags sorgen aber jetzt schon für Ärger.

So müssen hilfsbedürftige Länder wie Griechenland, Italien, Spanien und Zypern nun fürchten, dass ihnen bei Inkrafttreten des Asyl- und Migrationspakts im Sommer 2026 wenig Solidarität angeboten wird. Denn auch Bulgarien, Tschechien, Estland, Kroatien, Österreich und Polen will Brunner wegen einer „einer erheblichen Migrationssituation“ einen Soli-Abschlag gewähren.

Hilfe bleibt vage

Grundsätzlich bleibt die Hilfe ohnehin freiwillig und reichlich vage. Den EU-Staaten stehe es frei, die Form ihrer Beiträge zum Solidaritätspool „zwischen der Solidarität der Menschen (gegebenenfalls Verlagerungs- oder Verantwortungsausgleich), der finanziellen Unterstützung und alternativen Maßnahmen oder einer Kombination dieser Maßnahmen zu wählen“, so die EU-Kommission.

Eine Verpflichtung, Flüchtlinge aus den hoch belasteten Mittelmeerländern zu übernehmen, besteht also nicht. Deutschland und andere Staaten können sich von der „Solidarität der Menschen“ freikaufen. Polen und Ungarn haben schon erklärt, dass sie sich gar nicht an dem neuen System beteiligen wollen. Auch deshalb steigt nun der Druck auf kleine, angeblich wenig belastete EU-Länder.

Migrationskommissar Brunner versucht, diese und andere Problem kleinzureden. „Wir bauen ein starkes System auf, das fair und fest ist“, erklärte der konservative Österreicher, dessen Land ebenfalls weitgehend von der Solidarität ausgenommen werden soll.

Ganz anders klingt es im Europaparlament. „Nur neun EU-Staaten sollen Solidarität leisten – das kann nicht aufgehen“, kritisiert Erik Marquardt von den Grünen. Das neue System sei intransparent und spekulativ: „Was nächstes Jahr passiert, weiß niemand“, so Marquardt. Statt sich noch mehr abzuschotten, müsse Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen, so der Migrationsexperte.

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