Versuchte Abschiebung: Zivilprotest rettet Leben

Fast wäre eine kurdische Schüler-Aktivistin nach Iran abgeschoben worden. Nach ihrer Rettung kritiseren Experten das Flughafenasylverfahren.

Ein Bild von Mahsa Amini wird auf einer Demonstration in Berlin gezeigt

In Berlin gab es 2022 große Proteste aus Solidarität mit der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung

BERLIN taz | Nach der im letzten Moment verhinderten Abschiebung einer Aktivistin der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung aus Berlin über die Türkei in den Iran fordert der Linken-Abgeordnete Ferat Koçak eine Überprüfung der Entscheidungsprozesse bei Flughafenasyl-Verfahren. „Das war eine krasse Fehlentscheidung. Die Person, um die es ging, wäre womöglich in den Tod abgeschoben worden“, sagte Koçak am Montag zur taz. Der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir erklärte, er sei „erschüttert, dass es in unserer menschenrechtsorientierten Demokratie kein Selbstverständnis ist, Demokratie-Aktivist:innen zu schützen“.

Ende vergangener Woche hatten kurdisch-iranische Gruppen auf eine Schülerin und ihre Großmutter aufmerksam gemacht, die am Flughafen BER im Transitbereich des Abschiebeknasts festsaßen. Sie sollten in die Türkei zurückgeschoben werden, aus der sie eingereist waren, von dort wäre ihre „Rückführung“ in den Iran wahrscheinlich gewesen. Ein Antrag auf Asyl war im Flughafenschnellverfahren als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden, obwohl die 17-Jährige angegeben hatte, im Iran an Frauenprotesten an ihrer Schule und auf der Straße teilgenommen zu haben.

Die Menschenrechtsaktivistinnen Mina Khani und Daniela Sepehri machten den Fall zusammen mit Pro Asyl über Social Media bekannt. Sie baten Politiker auf Landes- und Bundesebene um Unterstützung um die Abschiebung zu verhindern. Gleichzeitig riefen sie dazu auf, die Flughafengesellschaft Sunexpress anzurufen, mit deren Flug am Freitag um 17 Uhr die Abschiebung erfolgen sollte. Zudem sprachen Aktivisten im Terminal Fluggäste an. Sepehri berichtete am Freitag auf X quasi im Stundentakt vom Flughafen, auch Koçak war vor Ort. „Schließlich kam die erlösende Info, dass das Bundesinnenministerium in der letzten Minute die Abschiebung gestoppt hat“, so Koçak.

Die Erleichterung ist auch bei Daniela Sepehri spürbar. „Diese Abschiebung wäre eine Schande gewesen. Dass wir sie verhindern konnten, zeigt, dass in der Zivilgesellschaft sehr viel Power steckt“, sagte sie der taz.

Problem Flughafenverfahren

Aus Sicht von Wiebke Judith, der rechtspolitischen Sprecherin von ProAsyl, macht der Fall aber auch erneut deutlich, „wie grundsätzlich problematisch das Flughafenverfahren ist“. Dabei muss das Bundesamt für Migration (Bamf) binnen zwei Tagen erklären, dass ein Asylantrag „offensichtlich unbegründet“ ist. Judith: „Bei einer Frau aus Iran, die vorgibt, bei den Frau-Leben-Freiheit-Protesten mitgemacht zu haben, dürfte das gar nicht erst passieren. Ein solcher Fall muss gründlich geprüft werden, dafür muss man die Person einreisen lassen.“ In vergleichbaren Fällen am Frankfurter Flughafen geschehe dies auch – dort gebe es aber auch eine unabhängige Beratung für die Geflüchteten.

Am BER fehlt eine solche unabhängige Asylverfahrensberatung, der Brandenburger Flüchtlingsrat und Pro Asyl kritisieren das schon länger. Eigentlich hätten Asylbewerber rechtlichen Anspruch auf eine solche unabghängige Beratung, sie sei auch notwendig wegen der kurzen Fristen im Flughafenverfahren und der komplizierten Rechtslage, schreibt der Brandenburger Flüchtlingsrat in einer Mitteilung. Aber stattdessen bekämen Menschen, die in der „Ausreisesammelstelle“ am BER festgehalten werden, nur „bei Bedarf“, also auf Nachfrage, eine Liste mit fachkundigen An­wäl­t*in­nen ausgehändigt. Informationen zum Verfahren sowie Anwaltskontakte sollten jedoch proaktivausgehändigt werden, fordert die Oranisation.

Judith von Pro Asyl sagt: „Mit entsprechender Beratung und Hilfe wäre der Fall der beiden Frauen vielleicht anders entschieden worden.“ Auch die Entscheidung des Bamf, den Antrag als „offensichtlich unbegründet“ abzulehnen, kann sie nicht nachvollziehen. „Das Bamf hat erklärt, der Vortrag des Mädchens sei unglaubwürdig und ihr würde im Iran keine Gefahr drohen. Das sehen wir anders.“

Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl kritisiert zudem, dass sich die Anerkennungsquote für Iraner allgemein seit Beginn der Frau-Leben-Freiheit-Proteste im September 2022 nicht wirklich verändert hat. 2021 lag sie bei 38,5 Prozent, 2023 bei 45, im ersten Quartal 2024 bei 39. „Zwar werden Menschen mit hervorgehobener Rolle bei den Protesten schon anerkannt, gerade wenn sie anwaltlich vertreten werden. Aber wir bekommen immer wieder mit, dass Asylanträge von Menschen abgelehnt werden, die erklären, dass sie an den Protesten beteiligt sind.“

Kein Abschiebestopp mehr

Der Abschiebestopp für Iran ist im Januar 2024 ausgelaufen. Laut Pro Asyl wurden 2023 trotz dieses Stopps sieben Personen in den Iran abgeschoben, wie das BMI auf Anfrage erklärte, galt er auch nicht für „Gefährder und schwere Straftäter“. EIne Verlängerung oder Erneuerung des Abschiebestopps kam laut BMI nicht zustande, weil die Bundesländer bislang keinen entsprechenden Beschluss gefasst haben. „Das Bundesinnenministerium hätte eine Verlängerung befürwortet und das Einvernehmen dazu erklärt“, so ein Sprecher des BMI am Montag zur taz.

Im ersten Quartal 2024 wurden laut Pro Asyl vier Menschen Richtung Iran abgeschoben. Das Land Berlin schiebt bislang nicht dorthin ab, der aktuelle Fall war nicht in Berliner Zuständigkeit, sondern als Flughafenverfahren Sache des Bundes. Laut Sepehri schiebt vor allem Bayern immer wieder nach Iran ab. Erst vorigen Donnerstag sei durch Zivilprotest die Abschiebung eines Iraners aus München verhindert worden, berichtet Sepehri. „In diesem Fall geht der Dank an den mutigen Piloten, der sich geweigert hat.“

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