Versöhnung in Palästina: Hoffnung auf besseres Leben
In Gaza herrscht nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den verfeindeten Palästinenserparteien Fatah und Hamas vorsichtiger Optimismus.
Mitte Oktober unterzeichneten die zerstrittenen Parteien ein Grundsatzabkommen, das zunächst darauf abzielt, die Verwaltung des Gazastreifens erneut unter eine gemeinsame Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu stellen. „Sobald die Grenzen geöffnet werden und Material reinkommt“, sagt Farruk optimistisch, werde es auch für Handwerker bessere Möglichkeiten geben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
An Kreuzungen und vielen Läden hängt die ägyptische Flagge. Die Menschen sind zuversichtlich, dass das durch Vermittlung der Regierung in Kairo Mitte Oktober erreichte Abkommen Früchte trägt. Die ägyptische Führung drängt beide Seiten, aufeinander zuzugehen, und verspricht, die Grenze zu öffnen, sollte das Projekt gelingen. „Einmal verreisen“, sagt Farruk, „das ist mein größter Traum.“
Israel sperrte die Grenzen gleich nach dem Sieg der Hamas, die Anfang 2006 die Wahlen in den Palästinensergebieten für sich entschied. Für die Regierung in Jerusalem und später auch die USA und die EU ist Hamas eine Terrororganisation. Ägypten folgte ein Jahr später, als im Sommer 2007 Hamas-Kämpfer die Sicherheitskommandanten der Fatah aus dem Gazastreifen vertrieben und deren restliche Truppen entwaffneten.
Rückkehr der Präsidialgarde
Die Regierung in Kairo knüpfte einen geregelten Grenzverkehr an die Bedingung, dass nicht die Hamas, sondern die Fatah-nahe Präsidialgarde die Grenzkontrolle übernimmt. Die Delegierten der Fatah und der Hamas einigten sich in dem jüngsten Abkommen auf den Stichtag 1. November für die Rückkehr der Präsidialgarde an die Grenzposten.
Offene Grenzen, Arbeitsplätze, Freiheit und Wirtschaftswachstum ist, was sich die Menschen im Gazastreifen von der Wiedervereinigung erhoffen. „Als Rami Hamdallah kam, feierten ihn die Leute nicht als Regierungschef, sondern wie den Heiland“, berichtet Dr. Atef Abu Saif, Fatah-Politiker im Gazastreifen. „Sie sahen ihn als Gasflasche und Lichtquelle“, sagt lachend der Dozent für politische Wissenschaften.
Ganz so schnell werde die Erlösung jedoch nicht kommen. Vorläufig beschränke sich der Versöhnungsprozess auf „Fototermine mit freundlichen Gesichtern“. Eine konkrete Übergabe der Kontrollen, eine „Machtteilung, um die es jetzt im Gazastreifen geht“, habe noch nicht stattgefunden.
Die Skepsis bleibt
„Es ist nicht so, dass die Hamas eines Tages aufwacht und erkennt, dass elf Jahre Regierung ein einziger Fehler waren.“ Und auch die Fatah „vergeht nicht plötzlich vor lauter Liebe für die Hamas“. Abu Saif ist skeptisch, ob Präsident Abbas sein Versprechen wahrmacht und bald wieder in den Gazastreifen reist, wo die Truppen des militärischen Hamas-Flügels al-Kassam, die einst seine Sicherheitsleute in die Flucht schlugen, ihrem Training nachgehen.
Abbas soll, fordern die Leute, die Gehälter der PA-Beamten in Gaza wieder in voller Höhe bezahlen. Um Druck auf die islamistische Führung auszuüben, reduzierte der Palästinenserpräsident die Gehälter auf rund zwei Drittel, auch die Rechnungen für den aus Israel bezogenen Strom wollte er nicht mehr in vollem Umfang bezahlen.
Seit Monaten läuft Abu Mohammads Geschäft miserabel. Hunderte verschiedene Lippenstifte, Parfüm, Haarclips und bunte Schleifchen sind bei ihm zu haben, aber „die Leute kaufen nicht mehr“. Viele seiner Kollegen hätten ihre Läden schon schließen müssen. Hauptgrund dafür sei die Gehaltskürzungen für rund 70.000 PA-Beamte.
Mehr Geld für Beamte
Als erster Schritt im Versöhnungsabkommen von Fatah und Hamas ist die Zahlung der vollen Beamtengehälter geplant. „Wenn die Leute Geld verdienen, kommen sie und kaufen“, meint Abu Mohammad zuversichtlich, auch die Abgaben würden sinken. „Die Hamas verlangt von uns 25 Prozent Mehrwertsteuer“, früher seien es nur 17 Prozent gewesen. Dazu kämen Einfuhrzölle und Gebühren, wenn er Ware auf den Bürgersteig stellt.
So sehr sich die Menschen die Einheit wünschen, so tief sitzt vor allem bei den politisch Verfolgten das Misstrauen dem innerpalästinensischen Feind gegenüber. Die Spaltung forderte Opfer. Rund 400 meist der Fatah angehörende Sicherheitsbeamte wurden bei den Kämpfen im Sommer 2007 getötet, einige regelrecht hingerichtet. Die Hamas folterte Fatah-Angehörige in Gaza, und im Westjordanland litten umgekehrt Hamas-Aktivisten unter denselben qualvollen Methoden, die beide Seiten einst vom israelischen Besatzer lernten.
„Nur weg aus Gaza“ will Taher Abu Ermano, einer von fünf Häftlingen, die die Hamas jetzt auf freien Fuß setzte. 14 Mal sei er von den islamistischen Sicherheitskräften verhaftet worden. Schlafentzug, Schläge, „manchmal hängten sie mich für Stunden an den Händen auf, damit ich die Namen von Kontaktleuten preisgebe“.
Ermano stand unter dem Verdacht der Spionage für die Fatah-Führung im Westjordanland. Seine größte Sorge gilt den gut zwei Dutzend anderen politischen Häftlingen, die die Hamas noch festhält. „Einige sind zum Tode verurteilt worden“, sagt der Mann aus Khan Younis, der schwer traumatisiert wirkt. An Vergeltung denke er nicht, aber im Gazastreifen bleiben – „das wäre für mich nicht auszuhalten“.
Vom Erzfeind zum Versöhner
Ausgerechnet Mohammad Dahlan, ehemals Fatah-Geheimdienstchef im Gazastreifen und Erzfeind der Hamas, macht sich stark für die Versöhnung der Gesellschaft. Er sammelt Spenden in Saudi-Arabien für Familien, die bei den Kämpfen 2007 einen Angehörigen verloren haben. 50.000 Dollar pro Opfer, egal ob es der Fatah oder der Hamas angehörte.
Dahlan, der noch viele Feinde im Gazastreifen hat, bereitet damit auch seine Rückkehr in die Heimat vor. Hamas-Sprecher Abd Latif Qanoua spricht in den höchsten Tönen von dem Mann, der einst die Folter von Hamas-Kämpfern befahl. Dahlan sei es zu verdanken, dass den Familien eine Wiedergutmachung für ihren Verlust zukommt.
Qanoua räumt ein, dass es noch einige Hürden zu überwinden gibt bei der innerpalästinensischen Versöhnung, für die die Hamas sich „zum Wohl des Volkes“ und um die palästinensische Position international zu stärken entschied. Nicht sich gegenseitig, sondern den gemeinsamen Feind, die Besatzung, wolle man bekämpfen.
Eins der schwierigsten Probleme ist die Fusion der Verwaltungs- und Sicherheitsdienste. Neben 70.000 PA-Beamten stehen 40.000 von der Hamas engagierte Verwaltungsbeamte und Polizisten auf den öffentlichen Gehaltslisten. Frühpension und Teilzeitarbeit sind die Zauberworte für den Personalabbau.
„Wer zehn Jahre gearbeitet hat, kann nicht einfach vor die Tür gesetzt werden“, findet Qanoua, der vage bleibt, wie die Pensionen finanziert werden sollen. Klar für ihn ist hingegen, dass eine Auflösung der Kassam-Brigaden nicht zur Diskussion steht. „In dem Moment, in dem die Besatzung endet, geben wir die Waffen ab.“ Über Krieg oder Frieden soll dann die Regierung entscheiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs