Versicherungsbetrug in den USA: Die anderen Profiteure von 9/11
Über 100 ehemalige Polizisten und Feuerwehrleute werden in den USA angeklagt. Sie sollen Traumata vorgetäuscht haben, um Versehrtenrenten zu bekommen.
BERLIN taz | Es dürfte einer der größten Betrugsfälle der US-Sozialversorgung sein: Gegen bislang 106 ehemalige Polizisten, Feuerwehrleute und Justizvollzugsbeamte hat eine New Yorker Staatsanwaltschaft am Montag ein Verfahren eröffnet. Sie alle werden beschuldigt, unter falschen Angaben Zugang zu Versehrtenrenten von bis zu 50.000 Dollar jährlich erschlichen zu haben.
Seit 2008 war das FBI den mutmaßlichen Betrügern auf der Spur, die von drei Greisen angeleitet wurden: Der 89-jährige Anwalt Raymond Lavallee, der ebenfalls 89-jährige frühere Rentenberater Thomas Hale und der 61-jährige frühere Polizist Joseph Minerva sollen den Betrug organisiert haben.
Dabei sollen sie den Männern geraten haben, was sie bei den psychologischen Untersuchungen zu sagen hätten, etwa dass sie sich nicht konzentrieren könnten, dass den ganzen Tag der Fernseher liefe, damit sie nicht das Gefühl hätten, ganz allein zu sein. Und denen, die mit den Anschlägen vom 11. September 2001 zu tun hatten, wurde geraten, „panische Angst vor Flugzeugen und Hochhäusern“ vorzugeben.
So erreichten die Männer, dass sie als arbeitsunfähig und krank galten und entsprechende Ansprüche geltend machen konnten – nur fanden die Ermittler dann auf den Facebookseiten der vorgeblich schwer Geschädigten Fotos vom Urlaub in Costa Rica. Einer arbeitete als Hubschrauberpilot, andere bei privaten Sicherheitsunternehmen. Einer, der vorgab, nach einer Genickverletzung nicht mehr arbeiten zu können, wurde gar Trainer in seinem eigenen Kampfsportstudio.
Insgesamt rund 21,4 Millionen US-Dollar sollen die Männer erschlichen haben. „Die Dreistigkeit ist schockierend“, sagt Manhattans Staatsanwalt Cyrus Vance. Besonders zynisch sei es, dass sich viele der jetzt Beschuldigten als Geschädigte des 11. September ausgegeben hätten. Das sei eine Verhöhnung derjenigen, die tatsächlich unter Einsatz ihres Lebens am Tag der Anschläge in New York erste Hilfe geleistet hätten.
Die drei mutmaßlichen Initiatoren des Betrugs sind vorerst gegen Kautionszahlungen wieder auf freiem Fuß. Über ihre Anwälte wiesen sie die Anschuldigungen zurück – es sei legitim, Betroffenen beim Geltendmachen ihrer Ansprüche zu helfen. Pro Fall sollen sie zwischen 50.000 und 500.000 Dollar Provision kassiert haben. Die Staatsanwaltschaft rechnet mit weiteren Festnahmen in den kommenden Wochen.
Leser*innenkommentare
Daryl
Gast
Jederzeit, auch nach 10-30 Jahren kann wegen 9/11 bei ihnen Krebs auftreten. Dann werden Arztrechnungen für Normalverdiener schnell
unerschwinglich.
Andererseits ist das Ganze auch ein möglicher Hinweisgeber
für die Korruptionsanfälligkeit amerikanischer Sicherheitsstellen
in New York.
Rückerstattungen ja, echte Strafverfolgung mit Haftstrafen nein
und auch kein Strafzins! Das gilt natürlich nur dann, wenn die
geschäftliche Arbeit der Opfer angemeldet war und hätte den Behörden bekannt sein können, sofern das auch die Regeln dort so verlangen.
Wenn es keinen Zwang zur Veröffentlichung sämtlicher Einkommensquellen
aus Anlagegeschäften inklusive stiller Teilhaberschaftschaft dort gäbe
und die Angeklagten alle Formulare wahrheitsgemäß beantwortet haben,
dann hat die USA schlicht Pech gehabt! Denn warum sollten Normalbürger gegenüber den SteuerschlupflöcherprofiteurInnen
und LobbyistInnen benachteiligt sein? Das die Leute ihren Beschäftigungen derart offen nachgingen, legt doch nahe, dass sie sich
keiner Schuld bewußt waren.
daryl
Gast
Zu dem damaligen Zeitpunkt können sie doch tatsächlich schwer
traumatisiert sein.
Wenn der US-Staat fordert, dass posttraumatisch Gestörte
sich an nichts mehr engagieren sollen, nie mehr Spass haben dürfen,
immer finanziell abhängig zu sein haben,
ist doch auch etwas falsch. Wenn sie dann wieder Spass im Leben entwickeln und doch wieder arbeitsfähig werden, um so besser.
Anscheinend haben es manche sogar zu Arbeitgebern gebracht und die Arbeitslosenquote gesenkt. Das ist doch gut.
Es ist doch letzlich auch an den Ämtern regelmäßig zu überprüfen, wie
die aktuelle Verfassung ist.
Genug Opfer von 9/11 sind gestorben aufgrund des giftigen
mit Asbest und Schwermetallen verseuchten Staubes.
Es hätte sicherlich auch sie treffen können, wenn sie wirklich dabei waren. Das die Menschen ihre Rechte umfassend nutzen, ist doch auch
klar. Hätten die Amis bei den Feuerwehrleuten und Polizisten
einen genauen Check gemacht (insbesondere der Lungen und des Herzens
und das physiologische Angstverhalten detektiert) wäre die Gewährung
von Hilfen etwas differenzierter möglich gewesen. Das Menschen aber
über die Jahre sich wieder erholen, sollte man ihnen nicht vorwerfen.
Wieviele PolitikerInnen in den USA beziehen Ruhestandsgehälter
und betätigen sich nebenbei finanziell als Lobbyisten???