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Verschwörungsmagazin und RKI-FilesSobald XXXX ein Signal gibt

Protokolle des Robert Koch-Instituts sorgen für Aufregung. Veröffentlicht wurden sie von einem Magazin, das für Verschwörungstheorien bekannt ist.

Auf keinen Fall setzen: Ausgangsperre in Deutschland Foto: Rafael Ben-Ari/imago

Berlin taz | Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren teils heftig umstritten. Insbesondere die Frage zum Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik. Nun heizen bisher unveröffentlichte Protokolle des Corona-Krisenstabs des Robert Koch-Instituts (RKI) die Debatte neu an. Veröffentlicht wurden die über 200 Dokumente von internen Sitzungen des RKI-Krisenstabs von Januar 2020 bis April 2021 vom Magazin Multipolar, das für die Verbreitung von Verschwörungstheorien bekannt ist.

Besonders heftig diskutiert wird ein Satz vom 16. März 2020: „Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald XXXX (Passage geschwärzt) ein Signal dafür gibt.“ Gemeint ist das Hochstufen der Risikobewertung durch Corona für die Gesundheit der Bevölkerung von mäßig auf hoch. Diese Einstufung war einer der Gründe für die politische Entscheidung, das öffentliche Leben massiv einzuschränken.

Multipolar leitet aus diesem Satz ab, dass die Hochstufung der Gefährdungslage nicht aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgt sei, sondern durch politische Einflussnahme – namentlich durch den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der aktuelle Gesundheitsminister Karl Lauterbach tritt dieser Darstellung entschieden entgegen. „Das RKI hat unabhängig von politischer Weisung gearbeitet“, sagte der SPD-Politiker. Hinter dem geschwärzten Namen verberge sich ein Mitarbeiter des RKI. Die Schwärzung solle die Mitarbeiter vor der Öffentlichkeit schützen.

„Es gab also keine politische Weisung, auf die das RKI hier reagiert hätte“, so Lauterbach. Das RKI hatte somit die neue Risikobewertung bereits vorgenommen. Lediglich für die Veröffentlichung der Entscheidung sei die Zustimmung einer bestimmten Person notwendig gewesen.

Die Behauptung von Multipolar, dass diese Entscheidung nicht auf fachlicher Einschätzung passiert sei, ist irreführend. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte bereits am 11. März Covid-19 zu einer Pandemie erklärt. Auch die EU-Gesundheitsbehörde ECDC hatte am 13. März das Risiko für ältere Erwachsene und Personen mit chronischen Grundleiden als hoch eingestuft.

AfD, BSW und Kubicki fordern Untersuchungsausschuss

Die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) forderten unterdessen als Reaktion auf die Veröffentlichungen von Multipolar, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Auch Wolfgang Kubicki schließt sich der Darstellung des Magazins an. Es werde immer deutlicher, dass das RKI für die Gesundheitspolitik des damaligen Ministers Spahn und wohl auch von Lauterbach „als wissenschaftliche Fassade gedient hat“, sagte der FDP Vize-Vorsitzende.

Der Gesundheitsexperte Janosch Dahmen (Grünen) sprach sich gegen einen Untersuchungsausschuss aus und warf der AfD, Wagenknecht und Kubicki vor, die Aufarbeitung der Pandemie für die anstehenden Wahlkämpfe instrumentalisieren zu wollen. „Die sehr konsequenten Maßnahmen während der ersten Welle, als es noch keine Impfung und zu wenig Schutzausrüstung gab, haben sehr viele Menschenleben gerettet“, so der Grünen-Politiker.

Die Dokumente waren jetzt öffentlich geworden, weil Multipolar erfolgreich auf eine Freigabe geklagt hatte. Ob es sich bei den von Multipolar online gestellten Unterlagen um die Originaldokumente handelt, kann das RKI nach Angaben einer Sprecherin jedoch nicht bewerten.

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9 Kommentare

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  • Von Interesse wären auch die protokolle der mp Konferenzen während corona....muss ich jetzt klagen, um Einsicht zu bekommen....

  • Ich finde die Diskussion zu den RKI-Protokollen interessant. Überall sonst wird der Datenschutz gepflegt und hier werden die Klarnamen aller Mitarbeitendenden und Diskutierenden verlangt. Whats next? Adressen? In den meisten Fällen reicht ja eine Recherche mit dem Klarnamen. Damit Aktivist:innen mal zu einem Hausbesuch vorbeikommen? Oder mit den Kindern sprechen? Beliebt sind ja auch Fackelzüge.

    Als Behördenmitarbeiter würde ich mich nach dieser Entscheidung gegen eine Klarnamenerwähnung in jedem Protokoll verwahren.

    • @Gesunder Menschenverstand:

      "Ich finde die Diskussion zu den RKI-Protokollen interessant."

      Nicht wahr? Allerdings interessan in dem Sinne, wie manche eingang interessante Beobachtungen es einem auch zusehends mulmig werden lassen. Eine nachträgliche Hysterie scheint plötzlich im Gange zu sein. Man überbietet sich in den Forderungen. Die ganz durchgeknallten wollen Tribunale, die etwas mittiger rechten nur Untersuchungsausschüsse. Die Talkshows betreiben die übliche Aufarbeitung auf Vorschulniveau und das Boulevard redet von den RKI-Files spitzmäulig, weil eingeweiht, als wären es die "Neuen Protokolle der Weisen vom RKI"... Na immerhin sind die nur geschwärtz und nicht gefälscht. Sofern also Fortschritt trotz Hysterie.

  • Es ist an der Zeit, dass alle Fakten auf den Tisch kommen. Auch die Sache mit den gelöschten SMS von Ursula muss restlos geklärt werden.



    Warum das RKI diese Dokumente nicht einfach veröffentlicht, dafür extra geklagt werden muss, ist mir nicht ganz klar und der Sache sicherlich nicht dienlich.

  • Ich würde es begrüßen wenn alle Akten ungeschwärzt veröffenröich werden sonst können wir uns nix verzeihen wie Spahn angemahnt hat.



    Wenn es nix zu verbergen gibt dann steht einer vollständigen Veröffentlichung nix im Wege wie soll sonst die Bevölkerung das ganze nachvollziehen können.



    Wie sagen die Politiker von SPD, FDP und CDU immer so schön wer nix zu verbergen hat.....

    • @pablo:

      Ich weiß nicht, was alles geschwärzt ist, habe aber irgendwo gelesen, dass es vor allem die Namen der beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des RKI betrifft. Dies dient dem Schutz dieser Menschen und das finde ich richtig.

      Sollte es strafrechtlich relevante Vergehen gegeben haben sind Gerichte zuständig und es wäre fatal, alle Beteiligten an den Pranger zu stellen und der Gefahr auszusetzen, von einem schwurbelnden Mob gelyncht zu werden.

      Eine intensive Analyse der Maßnahmen sind allerdings wichtig, um einen wirksamen Pandemieplan zu erstellen, damit bei der nächsten Pandemie nicht dieselben Fehler wiederholt werden.

      PS: Strafrechtlich sollte zuerst schon mal gegen die Politiker und Politikerinnen der CDSU vorgegangen werden, die ihre Stellung und Insiderwissen ausgenutzt haben, um sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert haben. Sollte dies laut Gesetzen nicht illegal gewesen sein, müssen die Gesetze angepasst werden, um so etwas in Zukunft zu verhindern.

  • Nur Kubicki und nicht die FDP? Gehen die vor den Wahlen zweigleisig vor, um bei den Quer-Schwurblern ein paar Stimmen abzugreifen?

    • @Christian Lange:

      Kubicki ist nicht irgendwer in der Pseudopartei FDP. Deren Leitlinie wird wieder mal deutlich: alles (!) was irgendwie populistisch ist, das wird gern genommen. Und alle (!!) Grenzen zu Extremisten werden irgnoriert. Es geht um ein paar Stimmen - mitnichten um die Sache.

    • @Christian Lange:

      Vielleicht musste sich der alte Silberrücken auch einfach nochmal ordentlich auf die Brust trommeln.