Verpuppen & Entfalten: Der göttliche Anarchist
Bis die neuen Schmetterlinge in die Bremer Botanika einziehen, steht das Haus nicht einfach leer, sondern wird zur Bühne für Mensch, Puppe!
Schwerelos und zerbrechlich sind sie, so zarte Wesen, die betörend bunt durch die Lüfte tanzen. Schmetterlinge! Am 26. Juni kommen wieder Hunderte noch als Puppen verpackte Exemplare aus äquatornahen Ländern nach Bremen, um sich im feuchtheiß klimatisierten Gewächshaus der Botanika zur vollen Pracht zu entfalten.
Wie dahingetupfte Farbmusterschwärme eines explodierten Regenbogens verschmelzen sie anmutig mit dem tropischen Ambiente zu einem begehbaren Tableau vivant. Aber wie sich die Wartezeit auf den Falterfrühling vertreiben? Mit Azaleenausstellungen und Kaninchenschau hat es die Institution schon probiert, nun lässt sie poesiewillig einen Schöpfungsmythos der grazilen Flugkünstler performen: Schau- und Figurenspieler Leo Mosler („Mensch, Puppe!“) zeigt „Die Werkstatt der Schmetterlinge“ nach dem gleichnamigen Bilderbuch von Gioconda Bell.
Eine geradezu ideale Raumbühne ist das dschungelige Interieur. Mit Äste-Installationen auf geschreddertem Kork nebst schilfigem Gestrüpp. Lianenartige Würste lümmeln herum, liebevoll umschlungen von maritimen Tauen und rankenden Plastikapplikationen. Der grau melierte Herr Mosler tritt in steifkragiger Noblesse und Intellektuellenbrille herein. Ist das Gott? Jedenfalls beteiligt er sich selbst an der Kreation der Welt, pinselt so seine Ideen, spricht und führt andererseits auch die Rodolfo-Puppe, die zu den „Gestaltern aller Dinge“ vor unser aller Zeit gehört. Ein kleiner Anarchist. Will er sich doch nicht an die Regeln halten, botanische und zoologische Erfindungen streng zu trennen.
Sieht alles so schön aus
Er arbeitet an etwas, das so schön wie eine Blume ist und wie ein Vogel fliegen, die ganze Poesie der Welt mit einem Flügelschlag in die Luft malen kann. Als Vorstufe gelingt ein Insekt, das hell erleuchtet ist und von fern wie ein Stern funkelt – nennen wir es Glühwürmchen. Und ein Käfer mit Schildkrötenpanzer: nur rot, mit schwarzen Pixeln. All dies Getier wird nicht materiell ins Leben geworfen, sondern akustische Illustrationen ihres Krabbelns und Säuselns verhelfen ihnen in der Zuschauerfantasie zur Gestalt. Dazu gibt es Geklimper mit Kitschambitionen und einen Jazzexkurs als Soundtrack.
Die Puppen sind echte Gegenentwürfe zu den Buch-Illustrationen. Putzig wie Mosler mit Mädchenkiekstimme eine Blume verlebendigt, die verzückt von der Penetration dank Kolibri-Stachel erzählt. Kuschelniedlich der muffelige Hund, dem essen, schlafen und spazieren gehen zum selbstzufriedenen Leben reicht. Während Rodolfo seine Träume lebt, in denen das Wahre und Gute eben das Schöne ist. Der Schmetterling. Der schließlich als flattriger Stofffetzen an gewackeltem Draht sein graziöses Dasein behauptet. Sieht alles sehr schön aus. Wirkt aber uninspiriert wie eine Auftragsproduktion.
Ohne Idee am richtigen Ort
Kaum Handlung, kaum Aktionen, so plätschert die Aufführung behäbig dahin. Und verwirrt, denn der Erfinder kommt dreifach daher: in sonorer Gestalt der Erzählerstimme aus den Lautsprechern, als Puppe und eben als Mosler selbst. Wobei er so defensiv agiert, dass in keiner Minute deutlich wird, was ihn außer Atmosphärenmalerei und Puppenputzigkeit interessiert. Kein „Mensch, Puppe!“-üblicher, origineller Zugriff auf den Stoff ist zu erkennen. Schade, denn dieser Text an diesem Ort, zu dieser Zeit ergibt einfach Sinn.
Gerade auch als Erinnerungsarbeit: in Anbetracht der Schöpfung das Aussterben vor Augen. Denn Individuenzahl und Artenvielfalt der Schmetterlinge schwinden in Europa. Dank intensiver Landwirtschaft werden nicht nur ihre Lebensräume zerstört, sondern auch noch mit steigendem Einsatz von Dünger und Pestiziden verseucht. Weswegen die Botanika bisher nie einheimische Flatterwesen zeigen konnte. „Die meisten schönen Arten sind vom Aussterben bedroht, daher geschützt und stehen für den Ausstellungskontext nicht zur Verfügung“, erklärt Botanika-Chef Armin Schlüter.
Die exotischen Exemplare würden vielfach gezüchtet und etwa 10.000 von ihnen in einer Botanika-Saison verbraucht. „Die Tiere leben ja nur ein, zwei Wochen und unsere Ausstellung läuft acht Monate.“ Vielleicht wäre dort ein noch zu schreibender Monolog Rodolfos reizvoll zu gestalten. Eine Werkstatt der Schmetterlingsgedanken – als Ort tragikomischer Reflexionen, ob Designpreis-würdige Verkörperungen der Sehnsucht nach Leichtigkeit nur eine flüchtige Eruptionen der Evolution sind.
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