Verpackungsmüll in Berlin: Umweltpolitik zum Wegwerfen
Tübingen hat mit einer Verpackungssteuer Erfolg. Das ist rechtens, urteilt das Verfassungsgericht. Berlin will dem Beispiel dennoch nicht folgen.
Die Steuer bezwecke einen Anreiz zur Verwendung von Mehrwegsystemen und sei als „örtliche Verbrauchsteuer“ zulässig, entschieden die Karlsruher Richter. Damit ist die Verfassungsbeschwerde eines Tübinger McDonald’s-Restaurants abgeschmettert. Zuvor hatte bereits das Bundesverwaltungsgericht die Klage abgelehnt.
Den Tübinger Weg für Berlin fordern die Grünen schon lange. Immerhin würden pro Tag 460.000 Coffee-to-go-Becher verbraucht. „Einer Verpackungssteuer steht auch in Berlin nichts mehr im Weg“, freute sich in einer ersten Reaktion auf das Urteil die umweltpolitische Sprecherin im Abgeordnetenhaus, Julia Schneider. Sie forderte den Senat auf, „seine Blockade gegen eine Einwegverpackungssteuer aufzugeben“.
Doch Schwarz-Rot denkt daran bislang nicht. Erst am vergangenen Donnerstag war im Abgeordnetenhaus abschließend über die Verpackungssteuer debattiert worden. „Die Vorteile liegen klar auf der Hand“, hatte Schneider noch einmal für einen entsprechenden Gesetzentwurf ihrer Fraktion geworben. „Parks und Straßen bleiben nachhaltig sauber, der Haushalt wird finanziell entlastet und Ressourcen werden geschont.“
Senat will keinen Alleingang
Doch der Senat bleibt stur. Kein Alleingang wie in Tübingen, stattdessen der Hinweis auf den Bund, der das Thema für alle Bundesländer regeln möge. Gegen den Antrag der Grünen stimmten CDU, SPD und AfD, die Linke enthielt sich.
Kaum Parkgebühren, keine Verpackungssteuer: Lebt Berlin im Luxus? Natürlich nicht. Drei Milliarden Euro musste der schwarz-rote Senat für den aktuellen Haushalt sparen. Warum dann nicht die Einnahmen erhöhen? Die Einführung einer Verpackungssteuer würde dem Senat laut BUND 40 Millionen Euro im Jahr in die Kassen spülen. Gleichzeitig wurden die freien Museumssonntage gestrichen. Ersparnis jährlich 250.000 Euro. Eine Verpackungssteuer würde also dazu führen, dass die BerlinerInnen noch in 120 Jahren einmal im Monat umsonst ins Museum könnten. (wera)
Damit folgte das Plenum einer Beschlussempfehlung des Umweltausschusses vom November. Dort hatte sich auch Umweltsenatorin Ute Bonde (CDU) zu Wort gemeldet. „Aus unserer Sicht braucht es eine länderübergreifende Lösung, um bei allen Verbraucherinnen und Verbrauchern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Ressourcenschutz stattfinden soll“, hatte Bonde ihre Ablehnung begründet.
Dass die Verpackungssteuer sehr wohl ein probates Mittel ist, die Flut an Verpackungsmüll einzudämmen, hatte zuvor Claudia Patzwahl geschildert. Patzwahl, die für die Steuer in Tübingen zuständig ist, war von den Grünen eingeladen worden und berichtete, dass Einwegbecher aus Pappe und Plastik aus dem Stadtbild verschwunden seien.
Auch Eisbecher seien im Sommer nicht mehr zu sehen, denn die Eisdielen hätten umgestellt. Nun gebe es das Eis auf Waffeln, sagte Patzwahl. Mit 50 Cent besteuert Tübingen die gastronomischen Einrichtungen für Einwegbecher, 20 Cent sind für Einwegbesteck fällig. Die Einnahmen von 700.000 Euro im Jahr werden in die Entsorgung von trotzdem anfallendem Verpackungsmüll gesteckt. In Berlin, so hat es der BUND ausgerechnet, könnte der Senat 40 Millionen Euro im Jahr mit einer Verpackungssteuer einnehmen.
All die Argumente hatten bereits den Ausschuss im November nicht überzeugen können, auch nicht die oppositionelle Linke. „Den meisten Müll produzieren nicht die Berlinerinnen und Berliner, sondern die Touristen“, sagt die umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion Katalin Gennburg. Anders als Tübingen gebe es in Berlin auch ein Problem mit Overtourism und Partytouristen. „Berlin ist nicht Tübingen.“
Die Linken-Politikerin ist ohnehin skeptisch, ob eine Verpackungssteuer umsetzbar sei. „Die Berliner Bezirke schaffen es noch nicht einmal, die Mehrwegangebotspflicht durchzusetzen, die in den Coronajahren beschlossen wurde“, sagt Gennburg. „Da ist eine zusätzliche Steuer, die vor allem Kleingewerbetreibende treffen würde, keine Lösung des Problems.“
Etwas Bewegung ist nun immerhin in die Reihen der Sozialdemokraten gekommen. „Natürlich haben wir ein großes Problem mit dem Müll in Berlin“, sagt Linda Vierecke am Mittwoch der taz. Auf der Sitzung des Umweltausschusses im November hatte die Sprecherin für Umwelt- und Klimaschutz der SPD-Fraktion angekündigt, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch einmal über das Thema diskutieren zu wollen.
Weil nun der Richterspruch aus Karlsruhe nach der abschließenden Lesung des Grünen-Antrags und damit eine Woche zu spät kommt, redet die SPD nun dem Koalitionspartner ins Gewissen. „Der Senat sollte die Möglichkeit einer Verpackungssteuer ernsthaft prüfen und nicht einfach ablehnen“, fordert Vierecke nun. „Denn der stetig ansteigende Müll ist für die Berlinerinnen und Berlinern nicht mehr tragbar und erfordert neue Lösungen.“
Einen entsprechenden Prüfauftrag an den Senat hat die SPD-Fraktion beschlossen. Von der Senatsverwaltung für Umwelt hieß es am Mittwoch, dass „Einwegprodukte nicht kostenlos abgegeben werden sollten“. Die Verwaltung bekräftigte aber ihre Auffassung, dass „eine solche Regelung auf Bundesebene erfolgen muss“.
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