Vermögensunterschiede zu Weihnachten: Wie in einem Charles-Dickens-Roman
Es ist unattraktiv, mit dem Finger auf die Reichen zu zeigen. Doch ein Chorkonzert genügt, um die Realität deutlich zu machen.
E s ist die Zeit des Schenkens, fast das Thema dieser Kolumne also, denn schenken tut man eigens dafür Erworbenes, verschenken, was man schon besitzt. Wir haben nichts zu verschenken, heißt es manchmal, wenn es gegen die geht, die angeblich etwas von unserem Wohlstand abhaben wollen. Wenn wir (die wir sind, im Gegensatz zu ihnen, die wir nicht sind) Abstriche an unserem (gewohnten) Leben machen müssen, wenn es mit uns nicht mehr voran- und bergaufgeht, dann ist das ein Zeichen dafür, dass wir nichts mehr zu verschenken haben.
Um Weihnachten rum spenden die Leute. Manche spenden überhaupt nur in der Weihnachtszeit, es gehört zur Geschichte von Weihnachten einfach dazu, denken wir nur an all die armen Menschen, die es nicht so gut haben wie du und ich – amen.
In der Kirche ist es einfach, auch mir, die die Kirche vor allem anlässlich Choraufführungen besucht, gibt es ein wohliges Gefühl, klingeling, in die Büchse. Dabei verachten wir Geld, weil es nicht romantisch ist, weil wir abhängig von ihm sind. Niemand hängt sich Geldscheine an den Weihnachtsbaum.
EU-Kommission genehmigt Milliardenzahlung an RWE.
Weitere Millionen für die Bahnchefs.
Verzögerungen beim Bafög. Studierende warten bis zu fünf Monate (das sind Headlines der „Tagesschau“-Webseite vom 11. Dezember 2023).
Gerechtigkeit ist kein Geschenk. Verdienst ist kein Geschenk. Es ist ja nicht Weihnachten. Ist vielleicht Weihnachten, oder was?, soll ausdrücken, dass wir nichts zu verschenken haben.
Menschen am Bahnhof
Es ist so unattraktiv, mit dem Finger auf die Reichen zu zeigen, so Charles-Dickens-artig. Diese Welt ist nicht die von Bleak House oder Oliver Twist. Oder doch?
Ich war bei einem Chorkonzert im Museum für Kunst und Gewerbe, das sich direkt neben dem Hauptbahnhof Hamburg befindet. Es war eiskalt und ich kämpfte mich durch die Menge, die in der Bahnhofshalle irgendwohin wollte, und kämpfte mich durch die Menge, die am Rande des Bahnhofes nirgendwohin wollte.
Was tun diese Menschen dort? Sie halten sich auf. Aus irgendeinem Grund halten sich diese Menschen in solcher Eiseskälte, am Rande des Bahnhofes, direkt neben dem Pissoir, auf. Würden sie sich vielleicht lieber woanders aufhalten, wo es gemütlich ist, Sofa und Decke, Rotwein und Fernsehen? Einer von ihnen kotzt mir direkt vor die Füße. Hastig überquere ich den Steintordamm.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Auf dem Steintorplatz parkt ein kleiner Bus, davor ein paar Tapeziertische, heiße Getränke und warme Pullover, Menschen, die geben, und Menschen, die nehmen. An den Sockel des Museums gedrückt, haben zwei sich schon schlafen gelegt.
Eine andere, ganz andere Welt
Ich steige die Treppe zum Eingang hoch, gebe meinen Mantel in der Garderobe ab und suche mir einen Platz im Spiegelsaal. Das ist eine andere, eine ganz andere Welt! Gold, Spiegel, Adler, Himmel, rote Stühle und die Bürgerschaft sind auch da. Der Chor, das sind schöne Gesichter, junge Menschen, begabt, alles ist Hoffnung und Schönheit, und draußen vor der Tür haben sie sich schon schlafen gelegt.
Ich habe kein Erbe zu erwarten und keinerlei Ersparnisse, ich hangele mich so durchs Leben, und wenn ich zufällig erfahre, dass jemand (Bahnchefs) weitere (!) Millionen bekommt, dann fühle ich nicht mal Neid, für mich ist es einfach abstrakt.
Aber als ich an diesem Abend vom Hauptbahnhof zu meinem Chorkonzert ging, war es mir kurz, als ob ich durch einen Charles-Dickens-Roman liefe, die Kontraste waren so hart, aber die Kulisse war nicht viktorianisch und es war kein Roman.
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