Verlegungen von werdenden Müttern: Vom Kreißsaal auf die Autobahn
Eine Schwangere musste von Bremens Klinikum Mitte in das 80 Kilometer entfernte Klinikum Vechta fahren. Ein Einzelfall war das nicht.
Die Fruchtblase der Schwangeren war dem Bericht zufolge zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin geplatzt. Im Kreißsaal angekommen, sei bereits eine Kardiotokografie gemacht worden, bei der Herztöne des Kindes und Wehen überwacht werden, und ein Venenzugang gelegt worden. Sie sah sich als Patientin aufgenommen, als die Hebamme sie bat, eine andere Klinik auszuwählen.
Der Sprecher des Bremer Klinikverbunds Gesundheit Nord (Geno), Rolf Schlüter, bestätigt den Vorgang. „Mir tut die Familie auch total leid“, sagt er. Es sei hier aber um die Resourcenplanung gegangen. Kreißsäle und Hebammen seien genug da gewesen. Aber auf der normalen Wöchnerinnen-Station, wo Mutter und Kind nach der Geburt hinkommen, sei kein Bett frei gewesen. Und eine Verlegung direkt nach der Geburt, wenn Mutter und Kind eine Bindung aufbauen, versuche man zu vermeiden, so der Geno-Sprecher.
Das Klinikum Bremen-Mitte sei auf die Versorgung von Frühgeburten spezialisiert und müsse deshalb stets Betten für Früh- und Risikogeburten vorhalten. Das Klinikum habe im Juli 2022 die Geburtstation vom Klinikum Links der Weser übernommen und die dortige Zahl der Kreißsäle von vier auf sechs erhöht. Dort arbeiteten nun 40 Hebammen und es kämen in der Woche etwa 50 Kinder zur Welt.
Verlegungen sind üblich
Da sich die Geburten nicht planen ließen, wären zu Spitzenzeiten Verlegungen in andere Kliniken nötig. „Wir haben zehn bis 20 Prozent Verlegungen hier im Klinikum Mitte“, sagt Schlüter. Dafür gebe es verschiedene Gründe. „Wir bemühen uns schon, so dicht wie möglich zu verlegen.“ Direkt in der Nähe biete zum Beispiel das Josef-Stift Entbindungen an.
Im konkreten Fall sei nach Auskunft der Ärzte und Hebammen zwar bereits die Fruchtblase geplatzt, die übrigen Geburtsanzeichen wären aber noch in dem Rahmen gewesen, dass die Fahrt ins 80 Kilometer entfernte Vechta von den Medizinern als sicher eingeschätzt worden sei. „Wenn die Fruchtblase geplatzt ist, gibt es ein Zeitfenster von 24 Stunden, innerhalb dessen das Kind zur Welt kommen sollte.“ Die Familie hätte mit dem eigenen Auto fahren wollen, es wäre aber ein Krankentransport möglich gewesen.
Verlegungsprozess seit Mai standardisiert
Laut Schlüter wurde die Entscheidung im gegenseitigen Verständnis getroffen. Die taz konnte die Betroffenen nicht erreichen. Laut „buten un binnen“ sagte die frisch gebackene Oma, Mutter und Kind gehe es gut. „Wir sind unendlich stolz, aber ein fader Beigeschmack bleibt.“
Der Bremer FDP-Gesundheitspolitiker Ole Humpich sagt indes, es war für die Mutter „großes Glück“, dass die Aufnahme in Vechta reibungslos verlief. Bei bis zu 20 Prozent Verlegungen von schwangeren Frauen handele es sich „offenkundig um ein strukturelles Problem“.
Für den Bremer CDU-Politiker Rainer Bensch steht fest, dass die Stadt zu wenig Wochenbettplätze hat. Auch in anderen klinischen Feldern habe Bremen „erhebliche Kapazitätsprobleme“ in den kommunalen Häusern der Geno. Deshalb sei es wichtig, die geplante gänzliche Schließung der Klinik Links der Weser (taz berichtete) abzuwenden. „Sonst erleben wir solche Dramen auch noch bei Herzinfarktpatienten.“
Der Sprecher der Bremer Gesundheitssenatorin, Lukas Fuhrmann, sagt: „Verlegungen von Schwangeren kommen in allen Kliniken mit Geburtsabteilung in Bremen leider immer wieder vor, was wir sehr bedauern.“ Die Kliniken führten dies nur nach genauer Abwägung durch.
„Zum Beispiel würde bei einer weit fortgeschrittenen Geburt eine Verlegung nicht mehr durchgeführt werden“, erläutert Fuhrmann. Die Gründe seien Personalengpässe und die Versorgung des Umlands. „Alleine im Jahr 2022 wurden in Bremen 6.773 Geburten durchgeführt, 2.804 Schwangere stammten dabei aus Niedersachsen“, so Fuhrmann.
Entlastung erhoffe man sich von den Absolventinnen eines Hebammenstudiengangs. „Natürlich ist eine Verlegung für Schwangere und Kind ungünstig“, sagt Fuhrmann. Um den Prozess so gut wie möglich zu organisieren und für die Schwangeren verständlich zu machen, habe die Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) erst im Mai einen „standardisierten Prozess“ erarbeiten lassen, der Kliniken entlaste und Schwangeren mehr Sicherheit gebe. Dazu, so der Sprecher, erhalte man „viele positive Rückmeldungen“.
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