Verleger und Aktivist in Hongkong: Jimmy Lai droht lebenslange Haft

In Hongkong hat der Prozess gegen den Verleger Jimmy Lai begonnen – eine Bewährungsprobe für die Rechtsstaatlichkeit.

Ein Fahrzeug und Polizisten auf einer Straße

Keine Fotos: Lai wurde am ersten Prozesstag am Montag abgeschirmt und aus dem Gefängnis zum Gericht und zurückgebracht Foto: Tyrone Siu/reuters

PEKING taz | Als Jimmy Lai am Montagmorgen in seinem grauen Anzug den Gerichtssaal betritt, bekommen die Anwesenden einen körperlich geschwächten, doch mental selbstbewussten Mann zu sehen. Der 76-Jährige lächelt seinen Unterstützern zu, eine Geste der Zuversicht. Doch nüchtern betrachtet könnten die Chancen für den Hongkonger Verleger kaum schlechter ausschauen. Die Parteikader in Peking machen keinen Hehl daraus, dass sie Jimmy Lai längst für schuldig befinden. Mao Ning etwa, Sprecherin des Außenministeriums, bezeichnete ihn als „einen der berüchtigsten China-Gegner, der Hongkong destabilisieren will“.

Ohne Frage: Der Fall Jimmy Lai ist ein für Hongkong richtungsweisender Prozess, der die Grenzen der Pressefreiheit und auch Rechtsstaatlichkeit in der Finanzmetropole schonungslos offenlegt. Als einer der letzten offen pekingkritischen Demokratieaktivisten wird Lai unter anderem „Verschwörung mit ausländischen Kräften“ vorgeworfen. Konkret geht es um mehrere Leitartikel und Onlinepostings, in denen er die internationale Staatengemeinschaft aufgerufen hat, chinesische und Hongkonger Regierungsvertreter mit Sanktionen zu belegen. Dafür droht ihm nun lebenslange Haft.

Dass es sich um keinen normalen Prozess handelt, davon zeugen am Montag die über 1.000 Polizisten rund um das Gericht. Sogar einen Hügel nahe der Haftanstalt haben die Behörden weiträumig abgesperrt, damit die Journalisten keine Fotoaufnahmen von Lai beim Verlassen des Gefängnisses schießen können. Die Regierung möchte verhindern, dass der Angeklagte medial als Märtyrer der Demokratiebewegung stilisiert wird.

Lais Lebensgeschichte mutet durchaus wie ein filmreifes Heldenepos an: In eine wohlhabende Familie in der Provinz Guangdong geboren, verlieren die Lais ihr gesamtes Hab und Gut im Zuge Mao Tsetungs kommunistischer Revolution. Die Mutter landet im Arbeitslager, der Vater kann rechtzeitig nach Hongkong fliehen. Als 12-Jähriger folgt ihm Jimmy Lai ebenfalls in die damals britische Kronkolonie. Dort schuftet er in den Textilfabriken der Stadt, bringt sich Englisch bei und lotet seine Chancen aus. Mit unvorstellbarem Fleiß und unternehmerischem Geschick arbeitet er sich zum erfolgreichen Unternehmer hoch, baut in wenigen Jahren mit der Marke Giordano ein Mode­imperium auf und häuft beachtlichen Reichtum an.

Doch 1989 folgt der politische Wendepunkt des Geschäftsmanns. Als Pekings Volksbefreiungsarmee die Studentenbewegung vom Tiananmen-Platz niederschießt, entwickelt er sich zum leidenschaftlichen Gegner der kommunistischen Partei. Jimmy Lai wendet sich dem Verlagsgeschäft zu, gründet mit Apple Daily ein reißerisches Revolverblatt, das jedoch auch der Demokratiebewegung eine mächtige Stimme leiht. Nicht nur auf Papier setzt sich der überzeugte Christ für seine Positionen ein: Lai marschiert stets selbst mit den pekingkritischen Demonstranten auf den Straßen – und zwar auch dann, wenn die Luft von den Tränengasgeschossen der Polizei durchtränkt ist.

Internationale Reaktionen auf Prozessauftakt

Erst mit dem nationalen Sicherheitsgesetz von 2020, das Peking zur Unterdrückung der Hongkonger Opposition verabschiedete, änderten sich die Machtverhältnisse grundlegend: Politiker wurden über Nacht festgenommen, Aktivisten eingeschüchtert, kritische Medien geschlossen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der Sicherheitsapparat auch Jimmy Lai schnappte. Seit über tausend Tagen sitzt dieser nun im Gefängnis. Seine harschen Haftbedingung hatte zuletzt die Nachrichtenagentur AP dokumentiert. So wird Lai 23 Stunden pro Tag in Einzelhaft gesperrt, nur 50 Minuten darf er in einem winzigen von Stacheldraht eingezäunten Innenhof verbringen.

Die internationalen Reaktionen belegen, welche Bedeutung dem Prozess beigemessen wird. Großbritanniens Außenminister David Cameron sagte am Sonntagabend, die politisch motivierte Strafverfolgung des 76-Jährigen müsse dringend eingestellt werden. Seine Kritik richtet sich direkt an die chinesische Zentralregierung in Peking, die mit dem nationalen Sicherheitsgesetz die Freiheiten der ehemals britischen Kronkolonie Hongkong ausgehöhlt habe: „Verhaftungen auf der Grundlage des Gesetzes haben die Stimmen der Opposition zum Schweigen gebracht.“

Auch die US-Regierung forderte am Montag die sofortige Freilassung Lais. Wie es in einer Stellungnahme des Außenministeriums heißt, haben die Repressionen „dem Ruf Hongkongs als internationales Geschäfts- und Finanzzentrum geschadet“.

Für Peking ist Jimmy Lai vor allem deshalb ein rotes Tuch, weil er sich bis zum heutigen Tag den Drohungen der chinesischen Regierungen nicht gebeugt hat – und das nicht trotz, sondern gerade weil ihm die Konsequenzen seines Handelns bewusst sind. „Ganz egal zu welchem Zeitpunkt oder in welcher Situation du bist: Es ist immer eine gute Idee, für deine Freiheit zu kämpfen“, sagte Lai kurz vor seiner Festnahme im Interview mit dem US-Sender CNN: „Denn ohne Freiheit bleibt einem nichts mehr.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.