Verkehrswert bei Vorkauf: „Keine preisdämpfende Wirkung“
Das Vorkaufsrecht ist Thema. Zum Zuge kommen gemeinwohlorientierte Vermieter aber nur, wenn sie den Kaufpreis zahlen können. Und der ist oft zu hoch, sagt Ulf Heitmann.
taz: Herr Heitmann, die Bremer Höhe war an der Danziger Straße 55 interessiert, als es darum ging, dass der Bezirk Pankow bei diesem Mietshaus sein Vorkaufsrecht wahrnehmen könnte.
Ulf Heitmann: Unmittelbar nachdem die Mieterinnen und Mietern im April erfuhren, dass die Deutsche Wohnen das Haus gekauft hat, trat die Hausgemeinschaft nicht nur in Kontakt zu Politikern und Verwaltung, sondern auch zu uns.
Die Bremer Höhe ist eine Wohnungsgenossenschaft mit Schwerpunkt in Prenzlauer Berg.
Gegründet wurde die Genossenschaft im Januar 2000 von 43 BewohnerInnen und acht UnterstützerInnen. Anlass war der Verkauf der gleichnamigen Wohnanlage zwischen Schönhauser Allee und Greifenhagener Straße mit 460 Wohnungen und zwölf Gewerbeeinheiten an einen Hamburger Investor.
Durch politischen Druck auf Bezirk und Senat war es damals gelungen, innerhalb von nur vier Monaten ein tragfähiges genossenschaftliches Konzept zu erarbeiten. Darauf trat die damalige städtische Gesellschaft WiP vom Vertrag mit dem Investor zurück.
Heute hat die Bremer Höhe etwa 700 Wohnungen und Gewerbeeinheiten. Von der landeseigenen Gesobau hat sie das ehemalige Stadtgut Hobrechtsfelde in Brandenburg gekauft. Auch ein ehemaliges besetztes Haus, eine Wagenburg und das Georg-von-Rauch-Haus gehören zur Genossenschaft.
Die durchschnittliche Miete für die Mieterinnen und Mieter der Bremer Höhe beträgt 5,50 Euro pro Quadratmeter netto kalt. Die Betriebskosten liegen in den Häusern der Genossenschaft 30 bis 50 Prozent unter dem Berliner Durchschnitt. (wera)
Was hätte Ihre Genossenschaft für sie tun können?
Zum einen ging es um die Klärung des Sachstandes und Erläuterung des Verfahrens. Zum anderen wollten wir klären, unter welchen rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen der Bezirk Pankow sein Vorkaufsrecht zugunsten unserer Genossenschaft ausüben könnte.
geboren 1961, ist Vorstand der Genossenschaft Bremer Höhe in Pankow. Nach der Wende hatte er die Selbstbaugenossenschaft in der Rykestraße mitbegründet.
Warum hat das nicht geklappt?
Der Kaufpreis war zu hoch. Er lag 2,5 Millionen Euro und damit 40 Prozent über dem, was sich aus den aktuellen Mieten refinanzieren ließe. Selbst wenn man die Mieten auf den Mietspiegelmittelwert plus zehn Prozent erhöhen würde – diese Grenze wird bislang als noch sozialverträglich und mit den Zielen des Milieuschutzes vereinbar angesehen –, wäre der Preis weder von uns noch von einer städtischen Gesellschaft zu leisten gewesen.
Die Deutsche Wohnen soll 6 Millionen Euro bezahlt haben.
Wir und einige städtische Wohnungsbaugesellschaften haben die Obergrenze bei 4,3 Millionen Euro gesehen.
Hat der Bezirk den Kaufpreis nicht durch eine eigene Wertermittlung überprüft?
In einer ersten Reaktion hat Baustadtrat Vollrad Kuhn gesagt, der Kaufpreis sei zu hoch. Zu unserer Überraschung ermittelte das bezirkliche Vermessungsamt dann aber, dass an dem Preis nichts zu beanstanden sei. Eine zweite Prüfung ergab dasselbe, auch die angefragte Senatsverwaltung für Wohnen kam zum gleichen Ergebnis.
Mit welchen Folgen?
Wenn der Kaufpreis nicht als zu hoch bewertet wird und gleichzeitig weder wir noch eine Wohnungsbaugesellschaft ihn stemmen können, kann der Bezirk das Vorkaufsrecht nicht wahrnehmen. Auch eine sogenannte Abwendungsvereinbarung, die der Bezirk mit der Käuferin verhandelte, muss diese nicht unterschreiben. Der Bezirk hat ja kein Druckmittel mehr, außer ganz genau darauf zu achten, dass eventuelle Baumaßnahmen den Zielen des Milieuschutzes entsprechen.
Warum werten Bezirk und Senat einen Kaufpreis, der nicht aus den Mieten erwirtschaftet werden kann, als gültigen Verkehrswert?
Jeder Sachverständige lernt, dass es etwa 30 verschiedene Methoden der Verkehrswertermittlung gibt. Da muss man, wenn man das Instrument stärken will, das sogenannte Ertragswertverfahren anwenden, bei dem der tatsächliche Ertrag eine größere Rolle als der Bodenwert spielt.
Das heißt, im Bodenwert sind spekulative Erwartungen bereits enthalten?
In die Gutachten ist der volle Bodenwert eingeflossen. Der ergibt sich aus der Höhe der Grundstückskaufpreise der letzten beiden Jahre in vergleichbaren Stadtlagen. Dass das Quartier ein Milieuschutzgebiet ist und dass der Boden real wegen der Bebauung durch ein Mietshaus langfristig nicht zur Verfügung steht, wurde nicht berücksichtigt. Dazu wurde noch der Ertragswert addiert. So kam man zu der Einschätzung, der Kaufpreis sei nicht zu hoch. Wenn man das so macht, hat der Milieuschutz keine preisdämpfende Wirkung auf den Markt.
Der Finanzsenator will künftig Mittel zur Verfügung stellen, um mögliche Differenzen zwischen Kaufpreis und dem, was gemeinwohlorientierte Unternehmen zahlen können, auszugleichen. Wird damit die Preisspirale nicht angeheizt, statt sie zu dämpfen?
Das denke ich nicht. Um überhaupt eine Chance zu haben, das ein oder andere Grundstück und Bestandsgebäude mit noch preiswerten Mieten durch Ausübung des Vorkaufsrechts in kommunale oder genossenschaftliche Hand zu bekommen, ist finanzielle Unterstützung nötig. Die städtischen Gesellschaften erhalten dann eine entsprechende Eigenkapitalerhöhung wie beim Neuen Kreuzberger Zentrum und der Liberdastraße in Neukölln. Genossenschaften könnten gegen Belegungs- und Mietpreisbindungen auch öffentliche Zuschüsse erhalten.
Wäre es nicht besser, auf einen realen Verkehrswert zu pochen?
Besser schon, aber dann müssten die zuständigen Vermessungsämter die bisherige Additionsmethode von vollem Grundstückswert plus Ertragswert aufgeben. Dafür müsste der Senat eine rechtssichere Basis für ein einheitliches Handeln schaffen. Spannend wird sein, wie eventuell weitere Verwaltungsgerichtsentscheidungen über den Fall Großgörschen-/Katzlerstraße ausgehen.
Weshalb?
In diesem Falle hatte der Bezirk zum von ihm ermittelten Ertragswert das Vorkaufsrecht ausgeübt. Man muss sich dann aber auf langwierige und unsichere Rechtsverfahren, die bis zum Bundesverfassungsgericht gehen können, einrichten. Immerhin geht es um einen staatlichen Eingriff in Eigentumsrechte.
Wie bewerten Sie generell die derzeitige Debatte um Milieuschutzgebiete?
Der Milieuschutz ist ein recht schwaches, kompliziertes und unsicheres städtebauliches Instrument, das nur in Einzelfällen erfolgreich sein kann. Die Koalition hat da eventuell zu hohe Erwartungen geweckt.
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