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Verkehrswende in der GroßstadtDiese eine Insel wird niemals untergehen

Als Radfahrerin hat man es nicht leicht. Von allen Seiten wird man angehupt und angepöbelt. Wie geht das, die Wut in etwas Produktives umwandeln?

Kann einem ganz schön auf die Speiche gehen: Radverkehrskontrolle durch die Polizei Foto: Arne Dedert/picture alliance

W ie immer fahre ich hinter dem Park schräg rechts auf den Bürgersteig. Aber aus hundert Meter Entfernung leuchten mich zwei neongelbe Jacken an. Reflexartig ziehe ich direkt wieder runter auf die Straße. Mit Fahrradhelm und Block schreiben die Polizisten Rad­fah­re­r:in­nen auf, die es wagen, über den Kiesweg zu fahren.

Der Ort dieser Verkehrskontrolle ist, um es nett auszudrücken, lächerlich. Neben den Steinplatten für Fuß­gän­ge­r:in­nen verläuft ein breiter Rollsplittstreifen, auf dem mindestens drei Räder nebeneinander fahren können, ohne Spa­zier­gän­ge­r:in­nen zu belästigen. Außerdem liegt die Straße hinter einem Luxushotel, hier läuft also ohnehin niemand lang. Hier wird mit abgedunkelten Scheiben vorgefahren.

wochentaz

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Auf Höhe der Verkehrskontrolle halte ich an der Ampel. Ich werfe den beiden Frauen, deren Daten gerade aufgeschrieben werden, einen solidarischen Blick zu. Mir wird heiß unter der Lederjacke, obwohl mein Name hier gerade nicht aufgenommen wird. Ich überlege, ob ich etwas rüberpöbeln soll, als die eine Frau ihr Rad neben mich schiebt. Über ihr Gesicht zieht sich ein Grinsen, als hätte sie gerade ein Eis geschenkt bekommen. Die geföhnten Haare schmiegen sich um ihr Gesicht, ihr Teint strahlt gesund. „25 Euro“, sagt sie mit sanfter Stimme und lächelt weiter. „25 Euro.“ Sie gleitet davon, und wenn da ein Funken Ärger war, dann ist er nach drei Tritten in die Pedale vergessen, da bin ich mir sicher.

Ich wäre gerne ein bisschen mehr wie sie. Als ich neulich einen Strafzettel verpasst bekommen habe, weil ich durch eine Seitenstraße gurkend die Orientierung verloren hatte und kurz auf mein Handy schaute, regte ich mich bei jeder Person in meinem Umfeld mindestens einmal über diese gnaaaaadenlose Ungerechtigkeit auf. Der Ärger hat mich locker zwei Stunden und den Energiegehalt von drei Snickers gekostet – und der Strafzettel ist noch nicht mal in meinem Briefkasten angekommen.

Und die Frau? Hat die Situation einfach weggelächelt. Sollte ich das nicht auch so machen?

Verkehrswende erzwingen

Ich ahne, das wird schwer, als ich mich während der Weiterfahrt mehrfach beim lauten Schnauben und Kopfschütteln erwische. Könnte ich meine negative Energie stattdessen in etwas Produktives investieren?

Es gibt da diese Mittelinsel, handtuchbreit liegt sie zwischen einer sechsspurigen, stark befahrenen Straße. Jedes Mal hoffe ich, dass meine Bremsen nicht versagen, wenn ich hier halten muss. Seit ­Monaten will ich mich dafür einsetzen, dass diese Stelle sicherer wird. Durch einen Zebrastreifen, eine ­Ampel oder sogar eine Fahrradbrücke. (Jaja, ich weiß, Berlin ist nicht ­Kopenhagen, aber ich träume so gerne.) Wenigstens ein paar Poller?

Also nehme ich meinen Ärger über all die Ungerechtigkeiten, denen Fahr­rad­fah­re­r:in­nen ausgesetzt sind, während sie sich durch den Gegenwind quälen, angehupt und aufgeschrieben werden, und beginne mit dem Projekt sichere Mittelinsel. Ich fotografiere, wie eine Mutter mit ihrem Lastenrad auch diagonal kaum auf die Insel passt. Oder wie sich die Rad­fah­re­r:in­nen morgens zur Rushhour in der Mitte der Straße fast übereinanderstapeln. Ich schreibe den Abgeordneten meines Bezirks, ob wir da nicht etwas machen können, für mehr Sicherheit. Eine kleine Revolution starten? Wenigstens eine Petition?

Hoffentlich treffe ich die Grinsefrau bald wieder auf dem Weg zur Arbeit, dann lache ich zurück. Sie hat mich motiviert, nur anders.

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Sophie Fichtner
Redakteurin
Ist Redakteurin im Zukunftsteil der wochentaz. Sie hat die Deutsche Journalistenschule in München besucht und Politikwissenschaften in Berlin und Lissabon mit Schwerpunkt auf Menschenrechten studiert.
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6 Kommentare

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  • Dieser Artikel offenbart schon in den ersten drei Sätzen das grundsätzliche Problem. Jeder meint, dass sein Verhalten gerade den Ausnahmetatbestand eigenen Handelns rechtfertigt. Jeder meint, das gälte für sich in gerade diesem konkreten Moment. Das ist mitnichten so! Und ebenfalls ist es nicht so, dass mit dem Finger auf andere zeigen hilfreich ist. Die eigene 5 in Betragen wird nicht besser, wenn man auf den zeigt, der eine 6 hat.

    Wenn jede/r einzelne damit anfängt, vor der eigenen Tür zu fegen, dann ist die Straße schon mal ein Stück weit sauberer. Ich als Fußgänger in der Stadt kann als schwächstes Glied der Kette schön beobachten wie sich Radfahrer, Autofahrer und sonstige rollende Verkehrsteilnehmer gegenseitig das Leben schwer machen. Auf der Straße und dem Bürgersteig. Und selbst die es betreffenden Fußgänger sind Teil des Problems.

    Allen Gruppen gemein ist, dass es ja nie um alle geht, sondern immer nur um eine kleine Anzahl derer, die sich rücksichtslos verhalten. Selbst auf der Autobahn, wo ja zwangsläufig nur Kraftfahrzeuge unterwegs sind, gibt es diese Leute, die andere wegrüpeln. Die weitestgehend überwiegende Anzahl der Leute verhält sich adäquat.

  • Leider verkennt der Artikel den Grund für den Kulturkampf gegen eine Verkehrswende, gegen Fahrradfahrerinnen, Poller etc.

    Mit solchen Populismus fördern "Werte konservative" Politikerinnen die Polarisierung unserer Gesellschaft. Eine konstruktive, progressive Politik müsste sich mit Inhalten auseinandersetzen, gerade auch mit eigenen Fehlern. Das könnte glatt zu Veränderungen führen, die zwar pragmatisch vernünftig wären, aber halt nicht im Interesse der konservativen (erhaltenen) Wählerschaft, der Besitzenden.

    • @Erwin1.:

      "Kulturkämpfe" lenken so schön ab. Auch auf der linken Seite, wo die heißen Eisen wie Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Spitzensteuerssätze, Steuergerechtigkeit, Umweltschutz nicht angepackt werden, aber eine Beauftragtenstelle geschaffen wird. Vor allem aber auf der rechten Seite, wo mit Autopopulismus das Ressentiment des ländlicheren Umlands gekitzelt wird.



      Des Umlands und Lands, dem vorher die Bus- und Bahnverbindungen genommen wurden, um noch mehr Geld den Autoindustriellen in den Tankstutzen zu drücken.

  • Ist schon interessant zu lesen, wie sehr sich Autofahrer und Radfahrer doch letztendlich ähnlich sind. Beide haben die strikte Auffassung, dass Verkehrsregeln immer nur für die anderen Verkehrsteilnehmer gelten (ich habe doch nur mal kurz auf mein Handy geschaut etc)

    • @WederLinksNochRechts:

      Ja, die Herleitung der Rechtfertigung des für sich selbst geltenden Ausnahmetatbestände ist immer die gleiche. "ich hab ja nur, ich muss mal eben...". Die wenigsten erkennen, dass dieses "ich" Teil des Problems ist.

  • Einfach mal gleiche Chancen auch für Radlers und Fußgängers, dafür lohnt es sich, ab und an mal in die Aktion zu gehen.