Verkehrswende in Berlin: Ein Hauch von Neapel
Die Petersburger Straße soll schöner und sicherer werden. Den Umbau zahlt das Land Berlin, der Bezirk freut sich über einen Beitrag zur Verkehrswende.
Die verbleibenden Meter bis zur nächsten Nebenstraße zieht er die Tonne hinter sich her, dann stellt er sie neben anderen Behältern ab, aus denen der Müll quillt. „Am Telefon hieß es, morgen wird abgeholt“, sagt er. Als Hausmeister betreut er eine Liegenschaft in der Petersburger und eine weitere in einer der angrenzenden Straßen, beide rund 200 Meter entfernt. „Wir werden sehen.“
Seit rund einem Monat ist die Petersburger Straße in Friedrichshain zwischen Bersarinplatz und Landsberger Allee eine Großbaustelle. Eine Fahrtrichtung ist komplett gesperrt, der Verkehr wird auf die Gegenrichtung umgeleitet. In drei Bauabschnitten soll die Verkehrstangente auf beiden Seiten sichere Fahrradspuren erhalten, neue Bäume sollen gepflanzt und die Parkplätze reduziert werden. Das Senatsprojekt kostet rund 15 Millionen Euro, für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist es ein wichtiger Bestandteil der Mobilitätswende. Die Fertigstellung ist für 2027 geplant.
Bei Baumaßnahmen dieser Größenordnung macht etwas voreilig der Begriff von Chaos die Runde. Die einen beklagen, ihr Auto nun weiter von der eigenen Haustür entfernt parken zu müssen, andere sind aufrichtig besorgt um ihre Geschäfte. Tatsächlich müssen sich momentan alle Verkehrsteilnehmer:innen etwas labyrinthartig fortbewegen, ob zu Fuß, auf dem Rad oder im Auto. Für Menschen, die körperlich eingeschränkt sind, ist die Überquerung der aufgerissenen Petersburger Straße kaum möglich.
Wollen wir alle eine lebenswertere Stadt und mehr Verkehrssicherheit haben, entstehen auf dem Weg dorthin Hürden, die sich kaum vermeiden lassen. Allerdings gibt es auch solche, denen sich mit etwas Weitsicht vorbeugen ließe. Aber Berlin und Großprojekte, das ist bekanntlich so eine Sache.
Unerreichbare Sammelstellen
Der Flächendruck im Viertel ist hoch. Zugeparkte Ecken und Halteverbotszonen in den Nebenstraßen sind seit Jahren die Regel und sowohl Polizei als auch Ordnungsamt bekannt. Parkraumbewirtschaftung gibt es hier nicht, weshalb hier auch Ortsfremde gerne ihre Anhänger oder Wohnwagen abstellen, oft monatelang. Selbst ohne benachbarte Großbaustelle sind Müllabfuhren wegen Platzmangels schon unverrichteter Dinge abgefahren.
Die Bauarbeiten haben die Lage nicht eben entspannt, mehr als 500 Parkplätze fallen während der Bauzeit weg. Die Fahrzeuge drängen nun in die schon vorher vollen Nebenstraßen. Die Rechnung ist einfach: Wenn wenig Raum ein Problem ist, spitzen mehr Autos auf dem gleichen Raum die Lage zu. Maßnahmen, um den Druck abzumildern und die Zuwegung der Straßen sicherzustellen, wurden nicht getroffen.
Nun kann eine Debatte über Müll in Berlin schnell spießig wirken, gerade in Friedrichshain, wo es zum guten Ton gehört, vergilbte Matratzen auf der Straße abzulegen. Andererseits zählt die Müllentsorgung zur Daseinsvorsorge und sollte eine gewisse Priorität genießen. Auf die Frage, ob während der Bauzeit Abstimmungen zwischen Senat, Bezirk, Polizei und Müllabfuhren erfolgen, antwortet Michael Herden, Sprecher der Senatsverwaltung für Verkehr, mit Nachdruck: „Ja, natürlich, sehr eng und intensiv.“ Auch Informationen an die Müllabfuhrunternehmen seien vorab erfolgt.
Die BSR bestätigt das auf Anfrage. Für die Liegenschaften auf der Petersburger Straße seien Sammelstellen am Ende der Nebenstraßen eingerichtet worden. Beim Entsorger Alba, der im Viertel Wertstoff- und Papiertonnen abholt, klingt das anders: „Zu den Baumaßnahmen liegen uns keine Informationen seitens der Senatsverwaltung oder des Bezirksamts vor“, sagt Unternehmenssprecher Matthias Hochstätter. Auch von der Baufirma sei keine Koordination zur Abfallentsorgung erfolgt.
Um an die Sammelstellen zu kommen, müssen die Fahrzeuge die Nebenstraßen sowieso erst mal erreichen. Weil das momentan Glückssache ist, warten in den angrenzenden Straßen verwaiste Mülltonnen auf ihre Leerung: auf den Gehwegen, zwischen Autos, auf der Fahrbahn, mitten im Fußgängerüberweg einer Ampel. „Es ist eine Frage der Zeit, bis hier Ratten auftauchen“, sagt der Hausmeister aus der Nachbarschaft. Wer will, kann sich beim Anblick an Neapel erinnert fühlen, wo sich der Müll in den 2010er Jahren mehrfach wochenlang auf den Straßen türmte.
Sackgasse ohne Schild
Den Verkehrsfluss erschweren weitere Baustellen. Hier wird eine Fassade energetisch saniert, dort ein Dach. In der parallel zur Petersburger verlaufenden Ebertystraße entsteht auf einem Eckgrundstück ein Neubau. Die Fahrbahn ist in eine Richtung gesperrt, die Durchfahrt verboten. Bis vor Kurzem ließ sich die Stelle noch durch eine Nebenstraße umfahren. Die ist jetzt gesperrt, aber niemand hat ein Sackgassenschild aufgestellt.
Also fahren Autos ein, bis sie nicht weiterkommen und an unübersichtlichen Stellen und auf engem Raum drehen müssen – Fahrrad- und entgegenkommendem Fließverkehr zum Trotz. Manche biegen in die Nebenstraße ab, die keine Wendemöglichkeit bietet, weshalb sie rückwärts wieder rausfahren. Andere ignorieren das Einbahnstraßenschild und fahren einfach durch. Einen Unfall gab es bereits, ein Transporter stieß frontal gegen ein SUV. Keine Baustelle zwingt Verkehrsteilnehmer:innen, Regeln zu missachten. Es schadet aber auch nicht, die Gefahren durch angemessene Beschilderung zu reduzieren.
Die Zuständigkeiten über das Berliner Straßennetz verteilen sich auf das Land und die Bezirke. Für die Petersburger Straße als Teil der Bundesstraße 96a ist das Land Berlin zuständig. Somit fällt die Sanierung in den Verantwortungsbereich der Senatsverwaltung für Verkehr. Was in den Nebenstraßen passiert, ist eigentlich Bezirkssache – abgesehen von Maßnahmen, die unmittelbar mit der Baustelle zusammenhängen.
Das Land Berlin als Bauherr hat die bauausführende Firma mit der „Einrichtung der Verkehrsführung während der Bauzeit“ betraut, sagt Sprecher Michael Herden. „Die Organisation vor Ort ist vertragliche Leistung des Auftragnehmers für die Bauhauptleistungen zur Errichtung der neuen Verkehrsanlage.“ Zum Umfang der Leistungen gehöre auch die tägliche Prüfung des reibungslosen Verkehrsmanagements. Mit anderen Worten: Wenn die Baufirma keine Probleme meldet, gibt es auch keine.
Keine Meldung, keine Probleme
In Gesprächen, aus denen nicht zitiert werden kann, wird deutlich, dass alle beteiligten Akteure um die Probleme wissen. Nur so wirklich zuständig will niemand sein. Der Bezirk lässt die Frage nach der Kommunikation zum Senat unbeantwortet und verweist an die Senatsverwaltung, die wiederum die Kontrolle der Baustelleneinrichtung an das Unternehmen vergeben hat, das auch für deren Umsetzung verantwortlich war. Ein Behörden-Pingpong, das erahnen lässt, warum der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die Verwaltungsreform zur Mutter aller Vorhaben erkoren hat.
Ob diese Reform die aktuellen Probleme verhindert hätte, steht auf einem anderen Blatt. Denn offenbar hakt es nicht nur in der Kommunikation zwischen Senat und Bezirk, sondern auch innerhalb des Bezirksamts. Dort heißt es auf Anfrage, das Ordnungsamt sei über den Beginn der Baumaßnahmen und den daraus resultierenden Kontrollbedarf informiert worden. Mitarbeitende des Ordnungsamts berichten dagegen, sie hätten vom Beginn der Bauarbeiten erst aus der Presse erfahren.
Anweisungen, die Gegend verstärkt zu kontrollieren, um Zuwegung und Verkehrssicherheit sicherzustellen, gab es laut Bezirksamt trotz des identifizierten Kontrollbedarfs nicht. Womöglich eine Kapitulation vor der Realität, denn es fehlt an Personal. Im Ordnungsamt ist von einer extrem dünnen Personaldecke die Rede. Zuletzt hätten im Allgemeinen Ordnungsdienst häufig nur zwei oder drei Teams zur Verfügung gestanden, also maximal sechs Leute – wohlgemerkt für ganz Friedrichshain-Kreuzberg, den dichtestbesiedelten Bezirk der Stadt.
Dabei wäre es ganz einfach, sich abseits der formalen Zuständigkeiten ein Bild von der Lage zu machen. Ein Teil des Bezirksamts – darunter das Büro der Verkehrsstadträtin – liegt direkt am Bersarinplatz, wo die Baustelle beginnt. Und wenn gar nichts mehr hilft, bleibt immer noch das Vorbild Neapel. Dort hatten Anwohner:innen einst die Müllberge aus Protest in Brand gesteckt. Zumindest das Problem mit der Abholung hatte sich damit erledigt.
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