Verkehrswende in Berlin: Ein Stoppschild für die Autonation
In Berlin wird die Friedrichstraße zur Fußgängerzone mit Radweg. Ein Modellversuch auf 500 Metern, aber mit Bedeutung weit über die Stadt hinaus.
Es ist nichts weniger als eine Revolution, die in Berlin am Samstag offiziell gefeiert wird. Zugegeben, eine kleine nur, aber eben doch ein Umsturz dessen Wert gar nicht hoch genug gehängt werden kann. Denn er hat Bedeutung weit über die Haupstadt hinaus.
Worum es geht? Um knapp 500 Meter der Friedrichstraße in Berlin-Mitte, in der auch das taz-Gebäude steht. Mit wenigen Handgriffen wurde sie in den vergangenen Tagen in eine verkehrsberuhigte Zone verwandelt - für einen Modellversuch bis Jahresende. Eine vier Meter breite Radspur in der Mitte, dazu Bäume in schnell gezimmerten Trögen und Bänke für wandermüde Flaneure.
Alles was ansonsten in den letzten Monaten hier und da an Radwegen aufpoppte, ist dagegen nur pillepalle. Hier wird nicht neben dem Autoverkehr mehr oder weniger großzügig Platz geschaffen für Radfahrer:innen. Hier werden Autos komplett ausgesperrt. Und das auf einer der bekanntesten Straßen der Stadt. Die Friedrichstaße wird somit zur ersten Fahrradstraße der Haupstadt, die diesen Namen auch verdient.
Dabei führt dieses Label in die Irre. Denn für die Fahrradfahrer dieser Stadt haben die paar hundert Meter keine praktische Relevanz. Da die restlichen zweieinhalb Kilometer der Magistrale autodominiertes Unding bleiben, werden sie die Friedrichstraße weiterhin meiden.
Zeigen, dass es geht
Also nichts als Symbolpolitik? Ja, genau! Diese Umwandlung ist ein hochsymbolischer Akt. Sie zeigt, dass es geht. Wer hier langschlendert, steht plötzlich mitten im verkehrspolitischen Utopia, das man bisher nur von Reisen nach Amsterdam oder Kopenhagen kannte.
Die Unterbrechung der fast drei Kilometer langen Nord-Süd-Verbindung, die sich schnurgerade durch Berlins Mitte zieht, wirkt wie ein unübersehbares Stopp-Schild für die Autogesellschaft. Autos müssen draußen bleiben. Umwege fahren. Oder besser noch: gar nicht fahren.
Die jetzt viel diskutierten Radler:innen sind auch nur Beiwerk. Hauptprofiteure sind die Fußgänger:innen, denen nun bis zu 80 Prozent des Straßenlandes gehören.
Ganz nebenbei könnte das auch noch die Friedrichstraße retten. Denn die Einkaufsmeile, die nach der Wende von Investoren gern zum Ku'damm des Ostens hochgejazzt worden wäre, lebt – wenn überhaupt – nur noch von ihrem Image aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Trotz einiger hochpreisiger Nobelschuppen am Rande hat sie kaum mehr Charme als eine Fußgängerzone in Recklinghausen. Nur mit dem Nachteil, dass hier bisher auch noch Autos durchbrausten.
Die trotz Corona wieder mehr werdenden Touristen, die sich dank ihrer Reiseführer wieder dorthin verirren, werden ab sofort tatsächlich etwas zu sehen bekommen. Ein Straße, die faktisch eine Fußgängerzone ist. Die, gerade weil sie nur ein Provisorium ist, ihren Charakter als vom Auto befreite Straße nicht verliert. Die sich – ob das nun stimmt oder nicht – einreiht in die gern gepflegten Erzählungen vom rebellischen Berlin. Und die genau deshalb dieses Bild in die Welt trägt: Die Postkartenidylle einer Stadt, die eine Autokorrektur schafft. Und wenn auch nur auf 500 Metern.
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