Verkehrswende auf der Mobilitätsmesse: Euphorische Zukunft und dunkle Realität
Nach „Beam-Me-Up-Feeling“ auf der Verkehrsmesse folgt die Pipi-Trübsal der realen Unterführung. Aber wo entlang geht's zur Zukunft?

I ch habe die Zukunft gesehen: auf der InnoTrans, der weltgrößten Mobilitätsmesse, auf dem Messegelände in Berlin. Enthusiastische Männer präsentierten Züge mit Wasserstoffantrieb, mit saisonal umrüstbaren Mehrzweckabteilen, mit Toiletten so groß, dass sich eine Yogagruppe bequem darin umziehen könnte. Ich versuchte nicht einzuschlafen auf bequemsten Sitzen samt ausklappbaren Fußstützen, Tischchen und Lehnen, stand in modernen Führerständen in Baroptik und augenschonender Beleuchtung und lief an einem kleinen, autonom fahrenden Rufbus vorbei.
Ich lernte, wie Bahnantrieb via recycelter Autobatterien gelingt und mit welcher Technik künftig im Vorbeifahren ausgelesen werden kann, dass das Bordbistro demnächst Wassernachschub braucht, dass in Wagen 3 noch viele Plätze frei sind und die Klimaanlage nachgestellt werden muss. Schwer beeindruckt landete ich in einer Straßenbahn, bei der sogar die Schienen virtuell sind: Lediglich auf die Fahrbahn gemalt, liest der Zug sie aus und kann bei möglichen Hindernissen ausweichen. Auf dem Weg nach draußen stieg ich in das Modell eines Hyperloops. Die Kapsel atmete einen Hauch Raumschiff Enterprise und blieb zwar offen, der Countdownzähler zum Start unserer virtuellen Tour von München nach Frankfurt in zehn Minuten lief aber schon.
Diese Verkehrswende fühlte sich ziemlich technisch an, aber vielleicht überzeugt gerade das? Die Entwicklung ist „Beam me up“ inzwischen viel näher, als der abwegigen Idee, dass Menschen ihre 75 Kilogramm Eigengewicht in 1.500 Kilogramm schweren, gefährlichen Maschinen durch bewohntes Gebiet fahren. Und „bequem“, das Lieblingsschlagwort aller Autoenthusiasten, ist es auch, alles abgenommen zu bekommen: Nicht mal selbst fahren braucht man so einen Zug!
Optimistisch trat ich in den strömenden Regen vor der Tür. Mein Begleiter schlug vor, unsere Räder mit in die S-Bahn zu nehmen. Dazu mussten wir lediglich zweihundert Meter laufen und durch eine Unterführung auf die andere Straßenseite gelangen. Die Rolltreppen auf beiden Seiten funktionierten schon so lange nicht, dass selbst das Graffiti auf den Stufen abgetreten war. Das Deckenlicht flackerte, alte und aktuelle Urinlachen markierten Weg und Luft. Unsere Schritte hallten. Dies war ein idealer Ort, um schreckliche Krimiszenen zu drehen und ein schauriges Symbol für aktuelle Mobilitätsgestaltung: über uns eine fünfspurige Autostraße, hier unten Pipi-Grusel-Trübsal für alle anderen Verkehrsteilnehmer. Wir liefen mutig weiter, die S-Bahn als klares Ziel vor Augen. Die tat uns den Gefallen und kam. Pünktlich, leer genug zur Fahrradmitnahme und schnell. Bei meiner Station angekommen, hatte es aufgehört zu regnen. Ich radelte die letzten Meter nach Hause.
Keine Ahnung, ob die Zukunft der Mobilität nun in kleinen, durch Röhren geschossenen Kapseln besteht oder doch eher in ruhigen Begegnungszonen voller Blumen und Biobikes. Hauptsache keine dunklen Autostraßenunterführungen mehr.
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