: Bundesrat bremst Verkehrswende aus
Überraschend stimmen die Länder gegen das neue Straßenverkehrsgesetz. Kommunen und Verbände hatten auf neuen Schwung für Radwege und Tempolimits gehofft
Von Nanja Boenisch
Thomas Dienberg ist hörbar enttäuscht. Am Freitag hat der Bundesrat die Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) überraschend abgelehnt. „Die Nachricht hat uns ziemlich getroffen“, sagt Dienberg, Baubürgermeister in Leipzig und Sprecher der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“.
Mehr als 1.000 Kommunen sind Teil des Bündnisses. Zusammen setzen sie sich für mehr Spielraum bei der Verkehrswende vor Ort ein – zum Beispiel bei der Einführung von Tempolimits, neuen Radwegen oder Busspuren. Das neue StVG sollte die Möglichkeiten für die Städte und Gemeinden erweitern – wenn auch aus Sicht der Initiative nicht in ausreichendem Maße. Kleine Fortschritte aber wären nach Dienbergs Ansicht immer noch besser gewesen als gar keine. „Dass so viele Kommunen ganz offensichtlich weder im Bund noch in den Ländern genug Gehör für fühlbare Änderungen vor Ort finden, ist eine sehr bittere Erkenntnis.“
Dabei warben noch in der Bundesratssitzung am Freitag sowohl Landes- als auch Bundesvertreter:innen für die neuen Regelungen. Der Bundestag hatte die StVG-Novelle Mitte Oktober abgesegnet, nun empfahl der federführende Verkehrsausschuss dem Bundesrat, ihr zuzustimmen. Daniela Kluckert, die parlamentarische Staatssekretärin des FDP-geführten Bundesverkehrsministeriums, machte sich für das Gesetz stark. Trotzdem war es nicht mehrheitsfähig. Mehrere Länder enthielten sich – darunter Unions-, SPD- und Grün-geführte Landesregierungen. Ein Argument: Die Sicherheit des Straßenverkehrs dürfe durch neue Kriterien der Verkehrsplanung, etwa den Klima- und Umweltschutz, nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Frank Masurat, ADFC
„Der Vorwurf ist absurd: Die erleichterte Anordnung von Radwegen oder Zebrastreifen würde vielerorts helfen, die Straßen für die Menschen sicherer zu machen“, meint die Grüne Swantje Michaelsen, Mitglied im Bundesverkehrsausschuss. Das Problem sei vielmehr das aktuelle Straßenverkehrsgesetz aus der Kaiserzeit, denn „die Flüssigkeit des Autoverkehrs darf nur eingeschränkt werden, wenn es bereits Verletzte und Tote gibt“.
Mit der StVG-Novelle sollten Verkehrsprojekte leichter umgesetzt werden dürfen, wenn sie dem Klima- und Umweltschutz, der Gesundheit oder der städtebaulichen Entwicklung dienen – bisher waren die Flüssigkeit und Sicherheit des Autoverkehrs das höchste Ziel.
Das StVG bildet die gesetzliche Grundlage. Die konkreten Handlungsmöglichkeiten für die Kommunen schreibt die Straßenverkehrsordnung (StVO) vor. Auch für sie standen am Freitag ursprünglich neue Regelungen zur Abstimmung. Noch vor der Sitzung der Länderkammer hatten sich verschiedene Ausschüsse des Bundesrats für weiterreichende Änderungen ausgesprochen, um den Städten und Gemeinden mehr Freiheiten zu lassen. Nach der Ablehnung der StVG-Reform aber flog die StVO ganz aus der Tagesordnung.
„Das Verhalten der Bundesländer ist rückständig und unverantwortlich“, kommentiert Frank Masurat, der Bundesvorsitzende des Fahrradclubs ADFC. Er fürchtet um den Radwegeausbau. „Bund und Länder müssen jetzt im Vermittlungsausschuss schnell eine Lösung finden, wie die Reform noch umgesetzt werden kann“, fordert Masurat – im Einklang mit dem Verband für Fußverkehr und der Initiative für lebenswerte Städte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen