Verkehrsaktivist vor Gericht: Und es war doch ein triftiger Grund
Als „Polizeibeobachter“ lässt Andreas Schwiede Falschparker abschleppen. Der Polizei stößt das sauer auf. Jetzt musste er vor Gericht erscheinen.
Das schmeckt weder den angezeigten Falschparkenden noch der Berliner Polizei. Wie Schwiede unlängst der taz im Interview erläuterte, hat er einen Leitfaden entwickelt, bei dessen akribischer Befolgung durch Meldende den BeamtInnen kaum etwas übrig bleibt, als das Corpus delicti versetzen – vulgo: abschleppen – zu lassen. Begeistert sind sie von so viel ungefragter Hilfestellung allerdings überhaupt nicht.
Im taz-Gespräch erklärte Schwiede auch, warum ihm eine simple Anzeige nicht reicht: Sie führe meist nicht zum Abschleppen des Wagens, also bleibe die Verkehrsgefährdung bestehen. Würden nun die Bußgelder deutlich erhöht, sei das auch keine Lösung, denn: „Es würde nur dazu führen, dass stärker juristisch dagegen vorgegangen und Widerspruch eingelegt wird. Das wird dann alles eingestellt, die Staatsanwaltschaft hat nicht die Kapazitäten.“
Am Mittwoch wurde Schwiede vor dem Amtsgericht Tiergarten vorstellig, denn diesmal war er es selbst, der sich gegen einen Bußgeldbescheid gewehrt hatte: Im Januar 2021 war er auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle gewesen, wozu er am Südkreuz umsteigen muss. Beim Warten auf den Bus wollte er einen Falschparker anzeigen, aber die Beamten, an die er sich wandte, versuchten den Spieß umzudrehen: Damals herrschte ein strenger Coronalockdown, und Schwiede, so jedenfalls ihre Interpretation, war ohne triftigen Grund in der Öffentlichkeit unterwegs.
Zu den Akten gelegt
Für Schwiede ist klar: „Denen geht es darum, uns aus dem Verkehr zu ziehen.“ Gerade der Polizeiabschnitt 42 habe ihn auf dem Kieker. Es war auch nicht das einzige „Lockdown-Bußgeld“ für die Abschleppgruppe, einige seiner Mitstreiter traf es ebenso – und ihn selbst gleich vier Mal. Alle anderen Fälle wurden vom zuständigen Gesundheitsamt wieder zu den Akten gelegt. In einem Fall, so Schwiede, habe er nachweisbar gar nicht seine Wohnung verlassen, sondern nur die Beobachtung einer Bekannten telefonisch der Polizei gemeldet.
Der Vorfall vom Südkreuz hat es nun doch in den Gerichtssaal geschafft. Besonders lange dauert das Ganze aber nicht, der Richter lässt sich von Schwiede Belege seiner Arbeitsschichten zeigen und fragt ein paar Mal nach dem genauen Weg, der dorthin zurückzulegen ist. Dann stellt er das Verfahren ein.
Schwiedes Erklärung, die Polizei möge ihn halt nicht, weil er ihre Untätigkeit bloßstelle, quittiert der Richter mit einem schulterzuckenden „Kann schon sein“. Und ob ein eingestelltes Verfahren nicht ein „Freispruch zweiter Klasse“ sei? „Damit müssen Sie nun leben.“ Dass Schwiede damit leben kann und weitermacht, lässt sich sicherlich zeitnah auf Twitter verfolgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit