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Verhütungsmethode vor Comeback?Mit einem heißen Hodenbad verhüten

In den 80ern hat eine kleine Gruppe von Männern angefangen, durch Hodenbaden zu verhüten. Jetzt könnte die Methode ein Comeback erleben.

Mithilfe dieses Stuhls schrumpften in den 80ern Feministen in Zürich ihre Spermienzahl Foto: Hodenbaden-Archiv/Beat Schegg, Montage: taz

W enn ich in meiner Jugend im Auto die Sitzheizung aufdrehte, kam dieser Satz von meinem Vater: „Das ist nicht gut für die Klöten!“ Er klingelt mir noch heute in den Ohren. Aber damals dachte ich mir nur: „Wenn ein Auto so eine angenehme Ausstattung hat, warum sollte man sie dann nicht nutzen?“

In der Sorge meines Vaters steckt ein Kern Wahrheit. Denn bei mehr als 35 Grad reduziert sich die Produktion und Beweglichkeit von Spermien. In den 1980er Jahren gab es eine Gruppe von Männern, die sich diesen Umstand in ihrem Kampf gegen das Pa­triarchat zunutze machte.

Damals formierten sich in Zürich die „Hodebädeler“. Das waren Männer auf der Suche nach chemiefreien Verhütungsmethoden, die zudem niemandem die „Taschen voll“ machen – kein Konzern sollte damit viel Geld verdienen. Sie fanden: Wenn wir Feminismus ernst nehmen, dann darf Verhütung keine Frauensache bleiben. In einer Medizinzeitschrift stießen sie dann auf die thermische Verhütung. Dabei soll durch das Erwärmen der Hoden eine zeitweise Unfruchtbarkeit erwirkt werden.

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Ab 45 Grad sinkt die Spermienzahl

Die Männer machten sich also an die Arbeit. Erst ließen sie ihre Fruchtbarkeit testen, dann fing das Baden an. Auf selbst angefertigten Hodenbad-Stühlen hielten sie ihre beschwerten Hoden in mit einem Tauchsieder auf 45 Grad erhitztes Wasser. Mit Erfolg: Nach drei Wochen des Badens ging die Spermienzahl von rund 80 bis 120 Millionen pro Milliliter Samenflüssigkeit gegen null. Revolutionär! In mehreren selbst herausgebrachten Zeitschriften dokumentierten sie ihre Badegänge und hielten Vorlesungen an der Uni.

Ende der Achtziger lösten sich die „Hodebädeler“ jedoch auf. Der Grund: die Aids-Epidemie. Das Kondom wurde für Safer Sex unabkömmlich. Hodenbaden war zu technisch, zu unangenehm, zu umständlich und zu zeitaufwändig. Es geriet in Vergessenheit.

Immer weniger Ausreden für Männer

Heute jedoch erlebt die Verhütung für Männer ein Revival. Mithilfe von thermischer Unterwäsche und Hodenringen rücken manche Kollektive den eigenen Spermien zu Leibe. Eine Gruppe, in der auch ehemalige „Hodebädeler“ aus Zürich mitmachen, sammelt Informationen und organisiert Treffen zu dem Thema.

Und auch in der Pharmazeutik gibt es Fortschritte. Eine hormonfreie Pille, die ein für die Spermienproduktion notwendiges Protein blockt, bestand eine erste Sicherheitsprüfung.

Die Gründe für Männer, sich bei der Verhütung herauszureden: Sie werden immer weniger.

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Jannes Holtherm
2000er Jahrgang. Kommt aus dem Münsterland und wohnt in Südhessen. Brennt für Fußball, Popliteratur und Netzphänomene, schreibt über alles. Studiert Onlinejournalismus.
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